Von der Werbung in die Pflege
Von der Werbung in die Pflege
Paul Koncewicz
Von der Werbung in die Pflege
Er schulte um. Nun betreut er alte Menschen mit Demenz. Das ist anstrengend. Und bereichernd.
23.03.2021

Andreas Hamer, Jahrgang 1965:

Ich bin gelernter Werbekaufmann und Kommunikationswirt und habe 30 Jahre in der Werbung und im Marketing gearbeitet. Als dann der Agentur, in der ich zuletzt angestellt war, wichtige Kunden wegbrachen, verlor ich meinen Job. Ich war 54 und stand plötzlich mit leeren Händen da, das hat mir Angst gemacht. Meine Frau arbeitet ebenfalls in der Werbung, sie verdient gut, aber das reichte nicht aus, wir haben auch unsere Tochter zu versorgen. Ich spürte einen starken Druck, schnell wieder einen Job zu finden. Aber Werbung – ich sah darin nicht mehr wirklich einen Sinn. Das mag auch mit dem Älterwerden zu tun haben.

Damals im Zivildienst ...

Dann erinnerte ich mich an meine Zeit als Zivildienstleistender im Krankenhaus. Das hat mir viel Spaß gemacht, auch weil ich mich immer sehr für Medizin interessierte. Und ich sprach gern mit den alten Menschen auf der ­Station, ich versuchte, sie ein bisschen aufzubauen.

Also machte ich mit 54 eine Weiterbildung zur ­Pflege- und Betreuungskraft, die von der Agentur für Arbeit gefördert wurde, knapp acht Monate lang. Ich wusste, dass ich danach auch in meinem Alter schnell einen Job ­finden würde, Pflegekräfte werden überall gesucht. ­Ende 2019 konnte ich in einem Hamburger Seniorenheim im ­Rahmen der Weiterbildung ein Praktikum machen, ­anschließend haben sie mich sofort übernommen.

Auf meiner Station leben 30 Menschen mit ­schwerster Demenz, das Durchschnittsalter ist circa 85 Jahre. Ich bin dort Pflegehelfer. Eventuell mache ich später noch eine Ausbildung zur examinierten Pflegekraft. Das würde ­pa­rallel zu meinem Dienst laufen und drei Jahre dauern.

Der Job ist körperlich hart

Der Job ist körperlich hart, und ich bin nicht mehr der Jüngste. Ich arbeite meist in der Spätschicht, von zwölf Uhr mittags bis abends um halb neun. Eine halbe Stunde kann ich mal sitzen, ansonsten bin ich ständig in Bewegung. Wir arbeiten bei den schwergewichtigen Bewohnern zwar mit Liftern, aber das dauert deutlich länger, bei allen Patienten lässt sich das nicht machen, mein Zeitplan ist sehr straff. Deshalb muss ich immer wieder Menschen heben, vom Rollstuhl auf die Toilette, zurück in den Rollstuhl, vom Rollstuhl ins Bett . . . Ich bin viel am Schleppen.

Es ist nicht leicht, mit dementen Menschen eine Be­ziehung aufzubauen. Da habe ich eine längere Zeit mit jemandem zu tun – und dann vergisst er mich. Mitunter bekomme ich ein Schimpfwort zu hören, oder jemand räumt wieder mal die halbe Station um. Da muss man geduldig sein und darf sich nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Aber mit Ekel habe ich kein Problem

Erstaunlicherweise habe ich mit Ekel kein Problem. Es passiert oft am Tag, dass sich jemand einkotet. Ich sehe das funktional: Das muss eben weg. Vielleicht hilft mir, dass ich damals, als Zivi, auch meine kranke Großmutter bei uns zu Hause gepflegt habe, immerhin zwei Jahre lang.

Klar gibt es Momente, in denen ich zweifle. Ich komme abends nach Hause, mein Rücken und die Füße tun mir weh. Ich verdiene deutlich weniger als früher, das geht mir manchmal massiv auf die Nerven. Dafür, dass mein Job echte Knochenarbeit ist und manche Bewohner auch psychologisch gesehen sehr anstrengend sind, werden wir einfach nicht gut genug bezahlt.

Dafür bekomme ich ganz viel zurück. Manche Be­wohner winken mir zu, wenn ich auf die Station komme, viele nehmen mich in den Arm, küssen mich auf die ­Wange – das kann und möchte ich nicht ganz abwehren, denn Berührungen sind ein wichtiger Teil der Kommunikation von und mit dementen Menschen. Wir Pflegekräfte tragen FFP2-Masken, das ist schon mal ein guter Schutz.

Ich weiß, dass meine Arbeit sinnvoll ist

Ich weiß abends, was ich getan habe und dass es sinnvoll war. Ich habe dann auch wirklich Feierabend. Früher nahm ich ständig Arbeit mit nach Hause, sogar in den Urlaub. Die festen Arbeitszeiten sind eine echte Entlastung, auch wenn ich jedes zweite Wochenende ran muss.

Meine Frau und meine 18-jährige Tochter unterstützen mich, sie sehen, dass mir meine Arbeit etwas gibt. Hatte ich auf der Station einen chaotischen Tag oder ist jemand gestorben, haben sie ein offenes Ohr, wenn ich mir das von der Seele reden will. Einige meiner Freunde wunderten sich am Anfang, dass ich jetzt als Pfleger arbeite, sie sagten: ­ "Ich könnte den Job niemals machen, alte Leute herumschleppen und sauber machen." Mittlerweile haben sie verstanden, warum mich diese Aufgabe bereichert.

Protokoll: Franziska Wolffheim

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