Ein "Lockdown" ist kein Wettbewerb
Vor allem in sozialen Netzwerken echauffieren sich viele Menschen über den Begriff "Lockdown" für die Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie. Zu Recht?
13.10.2020

Da ist sie wieder, die Debatte um das Wort "Lockdown". Dabei hat sich der Begriff im alltäglichen Sprachgebrauch längst durchgesetzt. Die Sprachforscherin Annette Klosa-Kückelhaus vom Leibniz-Institut für Deutsche Sprache hat schon im April einen Aufsatz dazu verfasst. Unter anderem schlägt sie vor, "Lockdown" in das Neologismenwörterbuch aufzunehmen. Das ist inzwischen geschehen. Die Definition lautet, wie von Klosa-Kückelhaus vorgeschlagen: "Zeitraum, in dem fast alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten auf politische Anordnung hin stillgelegt sind (z. B. zur Eindämmung einer Seuche)".

Tim Wegner

Michael Güthlein

Michael Güthlein ist Redakteur am Magazin-Desk von chrismon, epd Film und JS-Magazin. Zusammen mit Konstantin Sacher schreibt er die Kolumne "Väterzeit". Er hat Journalismus, Geografie und Germanistik in Mainz und Bamberg studiert. Er schreibt am liebsten über gesellschaftspolitische Themen und soziale Gerechtigkeit.

Da in letzter Zeit mehr und mehr deutsche Städte und Landkreise zu Risikogebieten erklärt und strengere Maßnahmen ergriffen werden, ist der Begriff "Lockdown" nun wieder häufiger zu lesen. Und ebenso häufig die Gegenrede in den Kommentarspalten diverser Onlinemedien oder sozialen Netzwerken: Die Bezeichnung sei irreführend, es wurde ja nicht alles geschlossen und strikte Ausgangssperren habe es in Deutschland nie gegeben. Außerdem seien die Maßnahmen in Italien und Spanien wesentlich strenger gewesen. Vermessen und respektlos sei es daher, die Beschränkungen in Deutschland damit zu vergleichen.

Ein gemeinsamer Begriff macht es leichter, über Erfahrungen zu sprechen

Das mag sein. Aber die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr waren für viele Menschen in Deutschland ein tiefer Einschnitt in ihre Gewohnheiten und Freiheiten. Zu sagen "Woanders war es noch schlimmer!", macht es für Menschen nicht besser, die wochenlang allein zu Hause saßen, ihren Job verloren haben oder ihre Familie nicht sehen konnten. Die Beschränkungen sind kein Wettbewerb darum, wen es härter trifft. Sie sollen die Ausbreitung der Pandemie stoppen - welcher Weg letzten Endes der richtige ist, wird sich noch zeigen.

Es ist aber auch nicht nur eine Frage der Sprache. Wer Leute spitzfindig korrigiert, dass sie nicht "Lockdown" sagen sollten, riskiert, dass sie denjenigen auf den Leim gehen, die alles an der Corona-Politik kritisieren. Das gefährdet Zusammenhalt, Empathie und Solidarität, auf die wir nun einfach angewiesen sind.

Ist es also letztlich nicht eine Besserwisser-Debatte? Im Gespräch mit Freunden aus Italien und Spanien kann man ja darauf hinweisen, dass der "Lockdown" in Deutschland weniger drastisch ausgefallen ist. Trotzdem decken sich viele Erfahrungen und ein gemeinsamer Begriff macht es einfacher, darüber zu sprechen. Und: "Lockdown" geht nun mal leichter von der Zunge als "Phase teilweiser Ausgangsbeschränkungen".

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