Religion für Einsteiger - Brauchen wir heute noch Meister und Jünger?
Lisa Rienermann
Brauchen wir heute noch Meister und Jünger?
Frauen und Männer vertrauten sich Jesus bedingungslos an. So viel (religiöse) Hingabe ist selten geworden.
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
24.09.2020

Vorgelesen: Religion für Einsteiger "Brauchen wir heute noch Meister und Jünger?"

Im Berufsleben sind Meister die Könner, die Erfahrenen. Ein Handwerksmeister hat das Recht, einen Betrieb selbstständig zu führen und Nachwuchs auszubilden. In der bildenden Kunst und in der Musik unterrichten Koryphäen ihres Fachs Meister­klassen.

"Jünger" heißen ihre Auszubildenden oder Studierenden allerdings nicht. Das klänge zu sehr nach gedankenloser Gefolgschaft, nach sektiererischer Unterordnung. 50 Jahre nach der Studentenbewegung gilt es, selbst zu denken, selbst Verantwortung zu übernehmen. Das ist das Ideal. Einst bewunderte charismatische Stars der deutschen Reformpädagogik, die ­weiterhin ihre Schüler als Jünger missverstanden, stürzten über ihre moralischen Verfehlungen.

Portrait Eduard KoppLena Uphoff

Eduard Kopp

Eduard Kopp ist Diplom-Theologe und chrismon-Autor. Er studierte Politik und Theologie, durchlief die Journalistenausbildung des ifp, München, und kam über die freie Mitarbeit beim Südwestrundfunk zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" nach Hamburg. Viele Jahre war er leitender theologischer Redakteur bei dieser Wochenzeitung und seinem Nachfolgemedium, dem evangelischen Magazin chrismon. Seine besonderen Interessengebiete sind: Fragen der Religionsfreiheit, Alltagsethik, Islam, Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Krieg und Frieden.

Auch in den Kirchen hat man ­sonderbare Meister kommen und gehen sehen. Ein lange anerkannter evangelischer Fernsehpfarrer ­wurde Esoteriker und begann, für Heil­wasser und Kellerentfeuchter zu ­werben. Der deutsche Begründer und Leiter einer angeblich christlichen Kolonie in Chile herrschte über Jahrzehnte auf totalitäre Weise und ­missbrauchte Schutzbefohlene.

Vorbild oder Verführer – der Grat dazwischen ist schmal. Was zeichnet einen Meister oder eine Meisterin aus, die ihre Rolle als menschliches und religiöses Vorbild ausfüllt?

Aus der Bibel ist vor allem ­Jesus als Meister bekannt – und ­seine ­Anhängerinnen und Anhänger als Jünger. Die Jünger erwarten von ­ihrem Meister viel. Sie wollen ihm folgen (Matthäus 8,19). Er soll ­Kranke heilen – jemand bittet den Meister, seinen an Epilepsie leidenden Sohn zu heilen (Markus 9,17–18). Er soll Hilfe und Orientierung geben: ­"Meister, was soll ich Gutes tun, damit ich das ewige Leben habe?", fragt ihn ein ­reicher Jüngling (Matthäus 19,16).

Zuwendung und Dienst

Ihre Hingabe an den charismatischen Prediger und Heiler Jesus von Nazareth ist oft bedingungslos. Bisweilen akzeptiert der Bewunderte sie, dann durchkreuzt er sie aber auch wieder abrupt. Auch um sich von statusverliebten Schriftgelehrten abzusetzen, macht Jesus deutlich, worauf sein Charisma beruht: nicht auf Status und Macht, sondern auf Zuwendung und Dienst. "Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin’s auch. Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen." (Johannes 13,13–14) Sonst wuschen eigentlich nur Sklaven die Füße ihrer Herren.

Mit "Meister" übersetzte Martin Luther das griechische Wort "didáskalos" – Lehrer. Denn Jesus lehrte nicht theoretisch und abstrakt. Er tat, was er lehrte, und zeigte darin selbst eine Meisterschaft. Insofern passte für Luther der Vergleich mit einem Handwerksmeister besser als der mit einem Lehrer.
Manche fanden in Jesus ihren Meis­ter, andere blieben lose neugierige Sympathisanten, andere wurden Gegner. Der von seiner Blindheit geheilte Bettler Bartimäus (Markus 10,52) sei Jesus gefolgt, heißt es – mehr erfährt man aus der Bibel nicht über ihn. Schon damals konnte man vom Charisma dieses Mannes erfasst sein, ohne ihm deshalb erlegen zu sein.

Bitte nur freiwillig

Charismatische Rednerinnen und Redner ziehen auch heute bei Kirchentagen, Umweltdemonstrationen, Ge­denkveranstaltungen Tausende in ihren Bann, bringen sie auf neue Gedanken und motivieren sie zum Handeln. Sie geben Orientierung und tragen dazu bei, dass Dinge wieder ins Lot kommen, Verhältnisse geordnet, Missstände ausgeräumt werden. Wem der Einspruch dieser charismatischen Führungspersonen einleuchtet, mag ihnen folgen. Aber dies geschieht stets auf eigene Initiative, ohne jeden äußeren Druck.

Etwas anderes ist die Lust mancher Menschen auf autoritäre Führung. Dass sie Einzelnen zugestehen, ihre Macht durch Einschüchterung zu behaupten, kommt in der Politik vor, aber auch bei Therapeuten und Seelsorgern. Doch autoritäres Denken und Verhalten lässt alles vermissen, was ernstzunehmende Meister aus­zeichnet: dass sie zuhören und auf andere eingehen. Dass sie Vertrauen aufbauen. Und vor allem, dass sie selbst dienen.

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