Streitfall - Interview Corona in Südamerika
Streitfall - Interview Corona in Südamerika
Sebastian Silva/Imago images/Zuma Press
Wintereinbruch und Corona in Südamerika
100.000 Infektionen bei nur 19 Millionen Chilenen, wie kann das sein? Fragen an die Virologin Lorena Tapia Faúndes.


Sebastian DrescherPrivat
25.06.2020

chrismon: Wie erleben Sie die Corona-Krise in Chile?

Lorena Tapia Faúndes: Ich arbeite neben meiner Forschung zu Atemwegserkrankungen als Kinderärztin im Krankenhaus Roberto del Río in Santiago. Wir haben jede Woche rund ein Dutzend neu an Covid-19 erkrankte Kinder bei uns, meist mit eher leichteren Verläufen. Zudem müssen wir Kinder von anderen Krankenhäusern aufnehmen, um dort Platz für Covid-19-Patienten zu schaffen. Unser Gesundheitssystem ist am Limit. In Santiago gibt es kaum noch freie Beatmungsgeräte.

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Lorena Tapia Faúndes

Lorena Tapia Faúndes ist Virologin an der Universidad de Chile in Santiago de Chile
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Sebastian Drescher

Sebastian Drescher ist Redakteur beim JS-Magazin, der evangelischen Zeitschrift für junge Soldaten, und chrismon.

Ab Mai infizierten sich plötzlich Tausende pro Tag, vor allem in der Hauptstadt Santiago. Warum?

Im März waren vor allem Chilenen aus der Oberschicht an Covid-19 erkrankt, einige haben sich bei Reisen im Ausland infiziert. Die Regierung reagierte schnell und stellte die Stadtviertel, in denen vor allem Wohl­habende leben, unter Quarantäne. Es gab relativ wenig Tote. Die Situation schien unter Kontrolle, bis sich das Virus in den ärmeren Stadtteilen Santiagos verbreitete. Dort leben die Menschen, darunter auch Migranten aus Venezuela, Kolumbien und Haiti, auf engem Raum. Teilweise teilen sich mehrere Familien eine Wohnung. Hinzu kommt, dass die Hygiene- und Abstandsregeln nicht mehr so ernst genommen wurden.

Hat die chilenische Regierung die Gefahr unterschätzt?

Mehrere Wochen lang waren Infektionszahlen sehr stabil auf niedrigem Niveau. Das hat den Eindruck vermittelt, alles sei okay. Und die Politik hat dies mit verharmlosenden Aussagen unterstützt.

"Die Schulen sollten im Winter geschlossen bleiben"

Hat die Corona-Krise in Brasilien und Peru ähnliche Ursachen wie in Chile?

Die Sozialstruktur in den Städten ähnelt sich. Überall sind die Unterschiede zwischen den Reichenvierteln und den Wohngegenden der Armen groß. Auch in den Favelas in São Paulo und den Armenvierteln in Lima in Peru hat sich das Virus besonders stark verbreitet.

In Südamerika naht der Winter. Breitet sich das Virus in der Kälte schneller aus?

Bislang kaum, weil der Herbst in Santiago außergewöhnlich warm war. Aber wenn es im Juli und August richtig kühl wird, macht das die Eindämmung schwieriger, weil sich die Menschen mehr in geschlossenen Räumen aufhalten. Hinzu kommen andere Erkältungs- und Grippeviren, diese Viren übertragen Kinder besonders häufig. Die Schulen sollten den Winter über geschlossen bleiben, wenn wir verhindern wollen, dass das Gesundheitssystem kollabiert.

Aber in Chile protestieren Menschen jetzt schon ­gegen die Einschränkungen, weil sie Hunger leiden!

Ärmere Menschen brauchen mehr Unterstützung. Sie werden nun immerhin mit Nahrungsmitteln versorgt. Das ist auch wichtig für die Gesundheit der Kinder, ­ da ja die Verpflegung an den Schulen ausfällt.

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