Männlichkeit
Rosa ist für alle da
Ein Vater will nicht mehr, dass Jungs einem überholten Männerideal entsprechen müssen. Sie sollen weich sein dürfen, ohne dass sie als "Memme" oder "Pussy" beschimpft werden.
Erziehung - Rosa ist für alle da
Antonia Hrastar
Tim Wegner
19.06.2020
12Min

chrismon: Warum sorgen Sie sich um Jungen?

Nils Pickert: Weil Jungen für das ­Verhalten, das wir ihnen traditionell an die Hand geben als "Das sollten Jungen tun", seit einigen Jahren zunehmend bestraft werden.

Also wenn sie großkotzig sind und wild, wenn sie sich prügeln?

Genau. Es gibt sehr viele Bücher darüber, dass Jungen inzwischen die "Bildungsverlierer" seien und nicht mehr so viel Erfolg hätten, und das liege daran, dass wir als Gesellschaft verweiblicht und verweichlicht seien. Deshalb müsse man das Rad zurückdrehen und klassisch männliche ­Eigenschaften wieder wertschätzen.

Damit Jungen wieder so sein ­können, wie sie angeblich sind?

Das ist die These. Ich stimme dem Urteil zu, dass Jungen es schwer ­haben. Ja, sie dürfen tatsächlich nicht so sein, wie sie sind. Aber nicht erst seit zehn Jahren! Sie durften noch nie so sein, wie sie sind! Anschmiegsam, zärtlich, ängstlich, kreativ, bedrückt, überschwänglich.

Nils PickertPrivat

Nils Pickert

Nils Pickert, Jahrgang 1979, hat zwei Töchter und zwei Söhne ­zwischen vier und 15 Jahren. Er ist Autor des Buchs "Prinzessinnen­jungs" (Beltz-Verlag, 18,95 €). Er berät ­Firmen, wie sie eine sichere Arbeits­atmosphäre schaffen in Zeiten von #metoo, redet vor Männern darüber, was Gleichbe­rechtigung für sie bringt, und arbeitet für die Organisation Pinkstinks.

Und inwiefern werden Jungen und Männer heute für traditionell männliches Verhalten bestraft? Sie sagen ja sogar, die säßen in einer Falle.

Die Falle besteht darin, dass wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln – glücklicherweise. Auf dem Arbeitsmarkt heute kommt es nicht so sehr darauf an, im mittleren Management einsame Entscheidungen zu treffen, 60 Überstunden zu schieben und mit niemandem zu sprechen. Sondern wir arbeiten in Teams, wir brauchen Menschen, die kommunikationsstark sind, die Konflikte lösen können, die auf sich aufpassen und nicht aus­brennen. Das sind alles Fähigkeiten, die wir eher mit Frauen assoziieren.

Frauen müssen solche Fähigkeiten auch erst erlernen. Warum lernen Männer das nicht?

Wenn Männer sich solche Fähig­keiten draufschaffen und sich ­weicher, fürsorglicher, kommunikativer und verletzlicher zeigen, wird ihnen ­ihre Männlichkeit abgesprochen, sie ­werden als "Pussy", als "Memme" bezeichnet. Das ist die Falle. Was sollen sie denn jetzt tun?

Übertreiben Sie nicht maßlos?

Die Entscheidung überlasse ich ­Ihnen. Aber wenn Sie es wie ich begrüßen, dass Menschen sich unterstützen, trös­ten und Nähe zueinander aufbauen können, und wenn Sie sich dann vorstellen, wie wohl auch heute noch pubertierende Jungen genannt und behandelt werden, die sich in den Arm nehmen oder Hand in Hand über den Schulhof laufen, dann beantwortet das womöglich Ihre Frage.

"Alle Jungen sind Prinzessinnenjungs"

Sie haben ein Buch über "Prinzessinnenjungs" geschrieben. Ist das eine besondere Sorte von Jungen?

Nein, alle Jungen sind bis zu einem gewissen Grad Prinzessinnenjungs, und zwar in dem Sinn, dass sie sich alle nach Nähe und Geborgenheit sehnen, Trost im Scheitern gebrauchen können, schöne Dinge mögen. In jedem Jungen stecken Träume, Hoffnungen und Eigenschaften, die als unmännlich, schwach und mädchenhaft bezeichnet und als falsch markiert werden. Zum Beispiel interessieren sich viele Jungen für Dinge, die angeblich nur für Mädchen sind. Die mit Verschönerung zu tun haben, mit Ponys, mit Glitzer, mit Sich-Kümmern . . . Es ist völlig in Ordnung, wenn Sie ­einen Jungen zu Hause haben, der an all dem überhaupt kein Interesse hat, der gern kickt, der sich gern misst, der Lust hat auf Dreck und Baggern. Ich muss das nicht abwerten, aber dieses Bedürfnis nach Nähe und dieser Spaß an Verschönerung müssen dringend aufgewertet werden.

Wird denn heute überhaupt noch an Jungen herumgezerrt, damit sie in eine Schablone reinpassen?

Auf jeden Fall! Gleichzeitig gibt es eine gewisse Verbesserung. Hatten früher Jungen eine Art von Welpenschutz nur bis drei, vier – "Na gut, wenn der mal mit Puppen spielt, dann ist das in Ordnung" –, dann dürfen Jungen heute vielleicht noch bis zur ersten Grundschulklasse "gefühlig" sein. Aber spätestens nach der vierten Klasse ist Ende Gelände.

Aber viele Eltern würden sagen: Mein kleiner Sohn darf spielen, womit er will, wir schmusen zusammen, und wir trösten ihn genau so, wie wir seine Schwester trösten – was hat dieser komische Herr Pickert nur?

Ja, das sagen mir viele Eltern. Ich erzähle Ihnen mal von Tony Porter. Der berät amerikanische Footballteams zu gesunder Männlichkeit und zu Gewaltprävention und hat in einer berühmten Rede die Männerrolle als Zwangsjacke beschrieben. Wie unter­schiedlich er zum Beispiel ­seine ­Kinder behandelt habe, wenn sie Trost brauchten! Seine fünfjährige Tochter durfte weinend auf seinen Schoß ­klettern, wenn irgendwas war, sie musste gar nichts erklären, er hat sie getrös­tet. Weinte sein sechsjähriger Junge, sagte der Vater: "Was ist los? Erklär es mir! Schau mich an! Ich versteh dich nicht, wenn du weinst! Geh in dein Zimmer, fasse dich, dann komm zurück und rede mit mir wie ein Mann!" Das ist das, was wir mit Jungen machen. Wir verlangen ­ständig Gründe für Gefühlsäußerungen, die uns zu viel sind.

"Nach der Grundschule ist Härte angesagt"

Spätestens nach der Grundschule hat es sich ausgekuschelt, sagen Sie. Was passiert mit Jungs in der Pubertät?

Dann ist Härte angesagt. Es ist ein deprimierender, aggressiver Mummen­schanz mit viel Geschrei und ­großer Pose. Die Jungen ­müssen immer ­stärker ihre Männlichkeit nach­weisen. Das tun sie, indem sie anderen Jungen und Männern unter­stellen, nicht genug Mann zu sein. Vielleicht mögen manche ja Helene Fischer, begeistern sich für Schach, halten nichts von Raufereien und sind so ­schüchtern, dass sie knallrot anlaufen, wenn ein hübsches Mädchen ihren Namen sagt. Aber das alles gilt als unmännlich. Auf mindestens einen muss mit dem Finger gezeigt werden, weil die ganze Männlichkeitskonstruktion so fragil und so widersprüchlich ist, dass ihr eigent- lich niemand voll entsprechen kann. Man muss sich also dauernd vor einem Geschlechtertribunal wegen unmännlicher Umtriebe verantworten.

"Rock und Kleid waren herrlich luftig in der Sommerhitze"

Haben Sie das selbst erlebt?

Ja. Ich wurde als Schwuchtel und Tunte bezeichnet, weil ich einen ­bes­ten Freund hatte, mit dem ich an den Wochenenden gern schwimmen ging. Aber häufiger war ich auf der Seite, die andere Leute eingeseift hat. Ich habe andere Jungen abgewertet, indem ich sie als Homo bezeichnete, als fett, als langsam, als Schwächling, als weinerliche Mimose . . . Das diente alles dazu, ihnen das Geschlecht ­abzusprechen – damit die Gruppe nicht auf mich guckt, sondern sich auf jemand anderen als Sandsack ­einigt. Damit verbringen Jungen ihre Jugend.

"Ein klassischer Mann führt. Immer."

Wie muss man sein, um als klassischer Mann zu gelten?

Ein klassischer Mann führt. Immer. Er scheitert nicht. Er steht einmal mehr auf, als er niedergeschlagen wird. Er zeigt Stärke. Er geht auf Frauen zu, er bestimmt das Spiel, er fordert. Ein klassischer Mann interessiert sich für Sport, für Motoren, für Geschwindigkeit und Handwerkskram. Viele ­Männer haben noch darüber hinaus Interessen. Und die meisten hatten noch sehr viel mehr, als sie so fünf bis zehn waren, und dann hat man ihnen das abgeschliffen.

Sie aber haben Ihren kleinen Jungen Kleider tragen lassen.

Er hat mit großer Selbstverständlichkeit die Röcke und Kleider getragen, aus denen seine große Schwester, sein absoluter Lieblingsmensch auf diesem Planeten, rausgewachsen war. In Berlin-Kreuzberg war das kein ­Problem, er fand auf dem Spielplatz immer Kinder, die mit ihm herumtoben wollten. Aber als er fünf war, zogen wir nach Villingen-Schwenningen, und dort wurde er ausgelacht, ­angefeindet, ausgegrenzt – von Kindern wie von Erwachsenen. Er wurde als "Missgeburt" beschimpft, als "Mädchen". Mein Sohn verstand überhaupt nicht, was daran falsch sein sollte, ein Mädchen zu sein. ­Seine Schwester war ein Mädchen, seine Schwester war toll.

Trug er dann nur noch Hosen?

Ein paar Wochen. Er war bedrückt und verängstigt. Schließlich fragte er mich, ob ich ihm helfen kann – ob ich im Rock mit ihm rausgehen würde.

Mussten Sie erst überlegen?

Ja, ob das negative Konsequenzen für mich haben könnte. Aber ich bin ­freiberuflich tätig, ich muss mich in keinem Büro dafür rechtfertigen, was ich trage. Ich fand, es ist nicht zu viel verlangt, das zu tun – auch wenn Röcke für mich als Kleidungsstücke nicht gut funktionieren, weil die meis­ten keine Taschen haben. Also richteten wir "Rock- und Kleidtage" ein, an denen wir gemeinsam unter­wegs waren, zum Wochenmarkt, zur Kita, in die Stadtbücherei – er im Kleidchen, ich in einem knöchellangen roten Rock. Wir hatten viel Spaß. Und es war herrlich luftig in der Sommer­hitze.

Wie waren die Reaktionen?

Heftig. Manche Leute waren begeistert, aber ich habe auch viel Feindseligkeit und Hass erfahren, viele Männer fühlten sich enorm bedroht. Das Gute war, dass ich das aushalten kann und dass sich die Blicke von meinem kleinen Sohn gehoben ­haben, der konnte da unten tun, was er wollte, während die Leute über mich redeten.

"Männer haben viele Jahrhunderte Röcke getragen"

Dabei ist ein Rock ja nur ein Rock.

Männer haben viele Jahrhunderte ­Röcke und Kleider getragen, ­Perücken und hochhackige Schuhe. Purpurrot war für Jungen vorgesehen und Hell-blau für Mädchen – die Jungfrau ­Maria hat auf Gemälden oft ein blaues Gewand an. Aber das müssen wir als Gesellschaft gar nicht wissen, um ­Jungen und Männer in Ruhe zu ­lassen, die sich gern Röcke und Kleider anziehen.

Oder um Männer in Ruhe zu lassen, die pfleglich mit ihrem Körper umgehen. Ein Bekannter, Anfang 30, mag es nicht kalt an den Händen, also trägt er von Oktober bis März beim Radfahren Handschuhe. "Mimimi" sei das Mindeste, was Kumpels dann sagen. Oder: "Zieh die Handschuhe aus, Stefan, stell dich nicht so an!"

Wunderbares Beispiel für "Pflegen" im weitesten Sinne! Mir sagen oft Männer: "Worüber sprechen Sie denn? Ich kann mir heute in der Drogerie Pflegeprodukte für Männer kaufen, das war vor 20 Jahren so noch nicht möglich. Wir haben doch alles schon erreicht!" Aber dann schaut man sich an, wie ein Rasierschaum für weiche Haut beworben wird: Der Mann rasiert sich mit der Axt. Er muss unbedingt klarstellen, dass er ein harter Kerl ist und dass das kein Produkt für Frauen ist. Und Ihr Bekannter soll nicht mit Handschuhen fahren, weil das nicht hart genug ist. Ich selbst bin absolut kälteempfindlich, ich brauche von Herbst bis Ostern Handcreme, sonst fühlt sich das an wie Schmirgelpapier. Mein Körper braucht Pflege! Ich will einfach nur eine gute Handcreme, die muss mir nicht als mannhaft verkauft werden.

Aber vielleicht meinten es die ­Kumpels ja nur scherzhaft, als sie sagten: "Zieh die Handschuhe aus, Stefan, stell dich nicht so an!"

Was soll an "Mimimi" und "Stell dich nicht so an" witzig sein? Warum kann Stefan nicht einfach Stefan sein? ­Wofür dieses Runterputzen?

Der klassische Mann braucht ­keine Selbstfürsorge, denn er ist un­kaputt­bar . . .

Männer reden sich Unverwüstlichkeit ein. Männer gehen seltener zur Vorsorge, machen seltener eine Therapie, suchen sich seltener Hilfe, begehen häufiger Suizid als Frauen. Schon ­Jungen werden angewiesen, sich selbst zu überwinden, anstatt dass wir sie ermutigen, zu ihren Gefühlen zu stehen. Selbstschädigendes Verhalten gehört zum Markenkern von Männlichkeit. Männer hierzulande sterben Jahre ­früher als Frauen. Im geschlechtergerechteren Schweden hat sich die Lebenserwartung viel weiter angenähert.

Wir haben auf chrismon.de einige Wünsche ­gesammelt. Beispielsweise: nur noch gemütliche Leggings tragen; ­weinen, sogar vor anderen; die ganze Nacht fruchtige Drinks ­bestellen und mit Strohhalm ­trinken; um Hilfe bitten; mit anderen Männern auch mal über unerfreulichen Sex und ­Intim­probleme ­sprechen können, anstatt ­immer nur mit "­Eroberungen" zu prahlen; mit beiden Händen winken. Und was würden Sie gern tun? Lesen und mitmachen:  chrismon.de/was-maenner-gern-tun-wuerden

Viele Männer zeigen sich gern als kraftvolle Anpacker – auch wenn sie noch nie eine Kommode aufge­baut oder einen Garten umgegraben haben . . .

Ich mach das, ich kann das, ich bin ein Mann. Das sind Muster, aus denen Männer ganz schlecht rauskommen. Auch mir fällt es sehr schwer, zuerst zu überlegen, ob ich Zeit habe und ob ich das überhaupt kann. Man muss ständig zeigen: Ich bin der Macher, ich habe die Kontrolle, ich bin hier in charge. Das bin ich nicht! Zum ­Beispiel dann nicht, wenn ich eine Chefin habe.

Sie haben eine Chefin?

Ja, ich habe eine Chefin bei Pinkstinks, einer Organisation gegen Sexismus, zum Beispiel gegen Sexismus in der Werbung. Was glauben Sie, wie viele Männer mich schon gefragt haben, ob ich mit der geschlafen habe! Dass sie die Chefin ist, kann nicht daran ­liegen, dass sie eben die Chefin ist und ich ­derjenige bin, der auszuführen hat. Das schickt sich für mich nicht.

Sie kann also nur Chefin sein von ­Ihren Gnaden?

Genau, von meinen Gnaden.

"Was wir Männer an Emanzipation verpasst haben!"

Manche junge Männer beklagen, Frauen würden weiterhin den tradi­tionellen Männertyp bevorzugen. Einer, nennen wir ihn Daniel, sagte mir: "Man soll ein harter Typ im ­Holz­fällerhemd sein und gleich­zeitig intellektuell und empfindsam, das geht doch gar nicht!"

Wenn ich mit Daniel direkt reden würde, würde ich darüber sprechen, was wir Männer an Emanzipation verpasst haben. Denn mal ganz im Ernst: Wir haben jetzt 2020, und wir Männer sind mit der eigenen Emanzipation erst so weit, dass wir darüber reden, wie Frauen uns haben ­wollen! Wie will Daniel sich denn selbst ­haben? Was fühlt sich gut und richtig für ihn an? Wenn er dann jemanden findet, der genau darauf anspringt, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich diese Beziehung gut anfühlt und lange hält.

Was wäre Männeremanzipation zum Beispiel?

Dass Männer darüber reden, worauf sie Lust haben, wie sie sein wollen. Stattdessen gibt es unsäglich viele Plattformen, die Männer darüber belehren, mit welchen Tricks sie Frauen erobern. Und DVDs mit Tipps, damit die Frau eine unvergessliche Nacht hat. Wo ich mich frage: Wie wäre es denn mit einer unvergesslichen Nacht für beide? Was ist mit Nähe und mit Intimität? Da sind wir wieder nur beim Machen, Liefern, Leisten. Das sind erwachsene Männer, aber was die da machen, das ist Kindergarten – Frauen knacken, bah!

Nur wenige Männer haben neben der Partnerin Freunde, denen sie auch von sehr Persönlichem erzählen . . .

Von Liebeskummer, Misserfolgen, Schmerzen, sexuellen Problemen – all das kann unter Männern bestenfalls eingeschränkt thematisiert werden, um nicht die eigene Männlichkeit zu gefährden. Sie können sich nicht offenbaren. Je älter Jungen werden, umso mehr müssen sie auf Distanz gehen zu anderen Jungen. Sich in einer Freundschaft Nähe zu holen, Berührung und Trost, ist nicht vorgesehen. Als männlich gilt, eine Be­ziehung mit einer Frau zu haben und Sex zu haben.

Dann wird es zur Katastrophe, wenn der Mann verlassen wird. Im schlimmsten Fall bringt er die Frau um, weil sie gehört ihm ja. Denkt er.

Richtig, Männer werden aufge­fordert, Frauen als ihren Besitz wahr­zunehmen, und wenn ihnen der genommen wird, müssen sie sich dagegen zur Wehr setzen. Anstatt diesen Menschen als eigenständige Person zu sehen und traurig zu sein, dass sie gegangen ist. Dass Frauen als Besitz markiert werden, merken Sie an ganz kleinen Details. Wissen Sie, wie junge Frauen sich oft ­wehren müssen, wenn sie im öffentlichen Raum von Männern angesprochen werden, damit der Mann merkt, dass das nicht geht? Sie müssen sagen, sie haben einen Freund. Egal ob das stimmt. Sie müssen sich als Besitz eines anderen Mannes markieren, damit man sie in Ruhe lässt. Sehen Sie, Sie haben mich am Anfang gefragt, ob ich das Problem nicht zu hoch hänge, weil es doch gar nicht mehr so sei. Und nun reden wir die ganze Zeit über lauter Beispiele aus dem Alltag. Das zeigt: Wir sind noch nicht mal halb so weit, wie wir kommen sollten.

Wie sähe für Sie eine andere Er­ziehung der Jungen aus?

Maßstab für Männlichkeit darf nicht mehr Unverwüstlichkeit, Gefühls­kälte und unbedingte Leistungs­bereitschaft sein. Wir müssen aufhören, Männlichkeit dadurch zu definieren, dass man andere zu Opfern macht und auch sich selbst schlecht behandelt. Wir müssen schönere, gewaltfreiere Wege ­finden, um Männlichkeit zu erzählen, so dass Jungen denken: Das ist gut, das ist spannend, das gefällt mir, das ­mache ich auch!

"Kennt Ihr Sohn Sie traurig?"

Womit könnten Väter konkret an­fangen?

Geben Sie Gegenständen, Farben und Verhaltensweisen kein Geschlecht. Erzählen Sie Ihren Söhnen nicht, dass dies oder jenes nur für Mädchen sei. Werten Sie Weiblichkeit nicht ab. Was bringen wir denn als Gesellschaft Jungen über Mädchen bei, wenn "Mädchen" für sie ein Schimpfwort ist! Sagen Sie etwas, wenn Ihr Sohn Mädchen als "Schlampen" bezeichnet oder Homosexuelle verächtlich macht. Und zeigen Sie sich als Vater nahbar. Kennt Ihr Sohn Sie traurig? Weiß Ihr Junge, wer Sie sind und was Sie empfinden? Meine Kinder sollten ungefähr wissen, warum ich ihre Mutter liebe, was wir noch für Ziele haben, wie meine Arbeit aussieht, was mich stresst . . .

Ihr großer Sohn ist heute 13, ist er noch prinzessinnenhaft?

Ein Stück weit. Er interessiert sich überhaupt nicht mehr für Röcke und Kleider, er hat keine langen Haare mehr, er findet sich total cool, aber er ist immer noch sehr fürsorglich mit kleinen Kindern. Ich rate den Leuten ja nicht, die Kinder zu Prinzessinnenjungen zu erziehen, alles, was ich ­sage, ist, dass sie das schon immer waren und dass wir sie das dann auch sein lassen sollten.

Hat er das Praktikum in der Kita ­gemacht, das er mal vorhatte?

Hat er nicht gemacht. "Das kriegen die anderen Jungs doch raus!" Obwohl er supergut darin gewesen ­wäre. Es ist, wie es ist. Er scheitert daran genauso, wie ich es auch tue. Es geht nicht darum, dass mein Sohn meinen Rollenerwartungen, auch nicht den neueren, gerecht werden muss. Ich will, dass meine Söhne ihr Ding machen, dass sie sich und an­dere dabei nicht verletzen und dass sie so glücklich wie möglich dabei sind. Das ist das Ziel.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
o.a. Artikel: "Erziehung - Rosa ist für alle da“ hat mich in mehrfacher Weise erstaunt, irritiert und mit Besorgnis erfüllt.
Seit meinem Studium der Psychologie, der Erziehungswissenschaften und Soziologie in den 70ziger Jahren ist mir eine solche Ansammlung von Stereotypien nicht mehr vor Augen gekommen .
Die beschriebenen Vorurteile und Allgemeinplätze gerieten schon damals ins Wanken und erschienen mir auch nicht mehr in meiner nun fast vierzigjährigen Berufspraxis als Psychotherapeut und Psychoanalytiker.
Um allen weiteren Vorurteilen entgegen zu treten: In meine Praxis kommen Männer mit einer kleinen Überzahl gegenüber Frauen, alle Altersgruppen von 18 Jahren bis über 80 Jahre und alle Bildungsgrade und Berufe, vom ungelernten Arbeiter bis zum Hochschullehrer - Handwerker und Ingenieure sogar in der Überzahl.

Warum muß es denn „Prinzessinnenjungs" heißen und nicht einfach Prinzen? Prinzen - und die scheinen zeitweilig alle Jungen zu sein, wie Mädchen Prinzessinnen - auf der ganzen Welt haben sich schon immer gerne geschmückt - bis heute.
In vielen Teilen der Welt tragen Männer heute auch noch Gewänder, die wie Kleid und Rock geschnitten sind, aber eben anders als Frauen und Mädchen. Schauen Sie nach Asien oder in arabische Länder, dort verstehen sich Männer und Frauen gut!
Dürfen Jungen tatsächlich nicht schreien, toben, raufen und schmusen und eben auch weinen, wie der Artikel vorgibt? Sie tun dies - eben auf ihre Art und brauchen dabei Väter und männliche Vorbilder, um zu lernen, ihre Identität zu entwickeln.
Der Artikel gibt hierzu nichts her, stiftet dagegen zu Identitätsverwirrung an. Der im Artikel beschriebene Sohn hat hier sicher keine Hilfe. Kleine Anmerkung am Rand: Eine meiner Patientinnen war in ihrer Kindheit immer Prinzessin mit Pistole.
Abgesehen vom wehleidig klagenden Tenor des Interviews hat sich mir ein Zusammenhang mit einem christlich evangelischem Inhalt nicht erschlossen.
Ihrer Antwort sehe ich mit Interesse entgegen und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Dipl.-Psychologe/Dipl.-Pädagoge
Roland Schultze

Sehr geehrter Herr Schultze,
danke für Ihr kritisches Interesse an unserem Magazin.
Sie schreiben, das Interview, das ich mit Nils Pickert geführt habe, habe einen "wehleidig klagenden Tenor". Diese Ihre Wahrnehmung erstaunt mich. Und ich frage mich, ob Sie damit nicht genau das machen, was Herr Pickert als Problem beschreibt: "Mimimi" zu anderen Männern zu sagen, denen gerade etwas sehr am Herzen liegt.
Dann fragen Sie, was an diesem Text christlich-evangelisch sei. Nun, sich an die Seite von Verspotteten und Beschimpften zu stellen und damit den Spott auf sich selbst lenken, so wie es dieser Vater für seinen kleidertragenden kleinen Sohn gemacht hat, das war nun sicher ein Tun, wie es Jesus gefallen hätte.
Mit freundlichen Grüßen
Christine Holch, Chefreporterin Redaktion chrismon

Eine pure Luxusdiskussion. Da werden Probleme aufgeführt, die normal sind. Die zu jedem Leben gehören. Wer sich lächerlich macht und sich dann über die Reaktion beklagt, bestraft sich selbst. Ein Verhalten kann wie ein Tattoo sein. Die gewollte Stigmatisierung verfolgt bis ins Grab. Aber bitte nicht klagen, wenn man der Zeichen überdrüssig wird. Keine Selbstfindung ist auf Dauer ideal.

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" Trug er dann nur noch Hosen?"
Aus psychologischer Sicht ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass der Junge Kleider seiner Schwester tragen wollte, denn ein Kind hat sehr feine Sensoren dafür, was in der Erziehung nicht stimmt. Ein Vater, der so extrem seine Männlichkeit unter Beweis stellen musste, wie Herr Pickert, kann nicht behaupten, dass es purer Zufall gewesen ist, dass ausgerechnet sein kleiner Sohn wohl gerne wie ein Mädchen wäre, und dies auch durch das Tragen von Kleidern seiner Schwester demonstriert hatte. Im Grunde vergötterte er wohl seine Schwester, weil er, seitens seines Vaters , so unklar als Junge definiert wurde. Das ist meine Vermutung. Es war sicher gut, dass die Eltern damit die Flucht nach vorne ergriffen hatten, und das Thema in einem Buch zur Sprache brachten.
Aber ich finde, dass das Kind hier von seinem Vater BENUTZT, sicher gutwillig, wurde, um sein persönliches Problem mit der Männlichkeit, öffentlich zu machen.
Es gibt einen feinen Unterschied zwischen Weich Sein Dürfen und Zärtlich Sein Dürfen, und einer unentschiedenen, psychisch verunsichernden Identität, die schwach für Spott macht, und dadurch hervorgerufen wird, dass ein kleiner Junge nicht wirklich weiß, ob er ein Junge oder ein Mädchen ist, weil er merkt, dass seine Schwester ganz klar weiß, wer sie ist, b.z.w. von den Eltern auch so wahrgenommen wird, er aber nur den kleinen Bruder darstellt, der vor allem aber dann jemand für seinen Vater wird, wenn er Mädchenkleider trägt.

Dass der Sohn sich nicht getraut hat, das Praktikum in der Kita anzugehen, vor allem seine Erklärung, zeigt doch deutlich, dass dieser Vater mehr Macho ist , als ihm lieb ist.

Fazit: Was den Jungen und seine Rolle als Mann im Leben betrifft , sehe ich vor allem seine Mutter in der Pflicht, die hier leider recht unsichtbar bleibt.

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Da geht es jemand (zu?) gut, der nicht von Feldarbeit oder von der Nachtschicht im Krankenhaus leben muss. Sein Sohn könnte unter den Lebensunwirklichkeiten des Vaters leiden. Erziehen bedeutet auch psychisch manipulieren.

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