"Viele fühlen sich wie im Gefängnis"
08.05.2020, Niedersachsen, Cuxhaven: Das Kreuzfahrtschiff «Mein Schiff 3» liegt am frühen Morgen im Hafen. Die mit dem Corona-Virus infizierten Besatzungsmitglieder des Kreuzfahrtschiffs «Mein Schiff 3» sind am 07.05.2020 auf die Quarantänestation eines Krankenhauses gebracht worden. Auch die negativ getestet Crewmitglieder können nun das Schiff verlassen. Foto: Sina Schuldt/dpa [ Rechtehinweis: picture alliance/Sina Schuldt/dpa ]
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"Viele fühlen sich wie im Gefängnis"
Container- und Kreuzfahrtschiffe fahren nicht mehr, und weltweit sitzen die Seeleute fest. Sie dürfen nicht an Land - auch in Deutschland nicht.
Tim Wegner
12.05.2020

chrismon: Seit 28. April liegt das Kreuzfahrtschiff "Mein Schiff 3" mit knapp 2900 Crewmitgliedern im Hafen von Cuxhaven. Mittlerweile wurden neun Personen Covid-19 positiv getestet und ins Krankenhaus gebracht. Die gesunden Crewmitglieder durften nicht an Land, einige sind ausgeflogen worden. Wie ist die Lage auf dem Schiff?

Markus Schildhauer: Die Leute werden versorgt, aber sie leben auf ganz engem Raum. Das Schiff ist für 900 Angestellte und etwas mehr als 2000 Gäste angelegt, es gibt viele Doppelzimmer, viele liegen nach innen, haben keine Fenster. Viele Crewmitglieder sind seit acht, neun Monaten unterwegs, viele waren seit über 50 Tagen nicht mehr an Land. Sie haben Angst, dass sie sich auf dem Schiff mit Corona anstecken, man weiß ja von anderen Kreuzfahrtschiffen, wie schnell sich das Virus dort verbreiten kann. Viele fühlen sich wie im Gefängnis. Gut, dass Tui Cruises ab dem 8. Mai die gesunden Besatzungsmitglieder nach und nach in ihre Heimat ausfliegt. Das Unternehmen macht da gerade wirklich viel. Aber es sind Menschen aus 73 Nationen an Bord! Und die 800 Filipinos können erst mal voraussichtlich nicht nach Hause.

Warum?

Die Philippinen haben anscheinend keine Kapazitäten mehr, um die Leute erst mal in Quarantäne zu bringen. Deshalb lassen sie niemand mehr rein. Es geht ja auch nicht nur um die 800 Crewmitglieder in Cuxhaven, sondern weltweit arbeiten viele Filipinos auf Schiffen, auch auf Handelsschiffen, die wollen jetzt alle nach Hause.  

Markus Schildhauer

Markus Schildhauer leitet das Seemanns­heim der Deutschen Seemannsmission (DMS) in Alexandria und ist Pressesprecher der Seemannsmission

Was bedeutet das für sie, wenn sie nicht zurückkönnen?

Dass sie erst mal an Bord bleiben müssen. Für viele ist es ja ganz normal, dass sie über Monate nicht an Land gehen. Wenn sie zum Beispiel als Wäscher an Bord sind, arbeiten sie auf manchen Schiffen bis zu zwölf Stunden, und dann brauchen sie zwölf Stunden, um sich zu erholen. Und wenn das Schiff anlegt und die Gäste an Land gehen, muss die Crew die Betten neu beziehen und sauber machen. Auf den europäischen Schiffen geht es den Leuten noch vergleichsweise gut. Auf amerikanischen Schiffen haben sie manchmal nicht mal ein eigenes Bett. Da ist das Verhältnis von Crewmitgliedern zu Gästen nicht 1:3 wie in Europa, sondern in Richtung 1:1. Wenn der eine aufsteht, steigt der andere in das Bett.

Kann man die philippinischen Crewmitglieder, die nicht in ihre Heimat zurückkönnen, in Cuxhaven nicht an Land lassen?

Das kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Ansprechpartner dafür sind wohl die Behörden.

Wie lang sind die philippinischen Seeleute schon unterwegs?

In der Regel haben viele Filipinos auf den Kreuzfahrtschiffen Verträge für neun Monate. Manche sind gerade am Anfang ihrer Vertragslaufzeit, manche am Ende.

Welche Ängste treiben sie um?

Sie sitzen auf engem Raum zusammen, kommen nicht nach Hause, haben Angst, sich anzustecken und wissen nicht, wie es ihren Familien geht. Denn mit dem Telefonieren, Whatsappen, im Internet surfen ist es generell schwierig auf den Schiffen.

Auf See kann man keine Whatsapp verschicken?

Nur über Satellit, und das ist teuer.

Für Kreuzfahrtgäste ist das bestimmt möglich, oder?

Die können sich das in der Regel dazubuchen. Das können die Mitarbeiter auch. Aber wenn sie nur 500 Euro verdienen, sind selbst zehn Euro eine Menge. Mittlerweile haben viele auf dem Schiff in Cuxhaven Telefonkarten. Die wurden mit Geld aus der Sozialkasse an Bord bezahlt, dort fließen die Trinkgelder rein. Auch stellt Tui Cruises den Internetzugang jetzt kostenlos zur Verfügung.

Erhalten die Leute weiter Lohn, solange sie an Bord sind?

Im Moment sind die meisten noch unter Vertrag. Und diejenigen, deren Verträge abgelaufen sind, bekommen zwar kein Geld mehr, aber immerhin noch freie Kost und Logis.

Wie viel verdient ein Crewmitglied?

Das ist sehr unterschiedlich, die Spanne reicht von 500 bis über 3000 Euro im Monat.

Wovon hängt das ab?

Von der Nationalität, der Position, ob es Trinkgelder gibt oder nicht, bei welcher Agentur man angestellt ist.

Das Schiff gehört Tui Cruises. Sind die Mitarbeiter nicht dort angestellt?

Tui Cruises betreibt nur das Schiff. Die Crew kommt über internationale Crewagenturen. Auf einem Schiff, egal ob Container- oder Kreuzfahrtschiff, mischen oft so viele unterschiedliche Arbeitgeber mit, das führt zu großen Ungerechtigkeiten. Für Außenstehende ist dieses Geflecht oft schwer zu durchschauen.

Wenn die Nerven wie jetzt in Cuxhaven blank liegen, erhöhen solche Ungerechtigkeiten die Spannungen?

Das glaube ich nicht. Grundsätzlich sind Seeleute sehr umgänglich und trainiert, mit schwierigen Umständen umzugehen.

Es ist nicht abzusehen, wann Kreuzfahrtschiffe wieder fahren können. Sind die Seeleute wirtschaftlich abgesichert, wenn sie nicht arbeiten können?

Die Mehrheit der Crewmitglieder nicht. Die Wäscher, die Barfrau, die Musiker – alle haben Zeitverträge. Wenn die auslaufen, müssen sie neu anheuern. So ist das auch in der Handelsschifffahrt.

Wie geht es den Seeleuten auf den Containerschiffen?

90 Prozent aller Güter, die auf der Welt gehandelt werden, werden mit dem Schiff transportiert. Die Produktion ist weltweit eingebrochen. Das führt zum Beispiel in Ägypten dazu, dass kaum noch Schiffe durch den Suezkanal fahren. Das ist für Ägypten und die Seeleute eine Katastrophe. Weltweit sitzen Seeleute auf ihren Schiffen fest und können nicht an Land.

Warum nicht?  

Ägypten und viele arabische Länder zum Beispiel lassen die Leute einfach nicht von Bord gehen. Die arbeiten zwölf Stunden an sieben Tagen und bekommen 500, 700, 800 Dollar im Monat. Und nach Hause können sie nur telefonieren, wenn sie in einem Hafen sind, in dem ein Internetzugang angeboten wird. Manchmal fragen mich die Seeleute an Bord: Was ist der Unterschied zwischen einem Gefängnis und einem Schiff? Die Insassen im Gefängnis dürfen einmal am Tag das Grüne im Hof sehen.

Hört sich an wie moderne Sklavenhaltung.

Das ist der Auswuchs der globalisierten Gesellschaft. Wir kaufen zwar fair produzierte Schokolade, aber unter welchen Bedingungen sie transportiert wird, machen sich viele Menschen zu wenig bewusst. Deshalb setzen wir uns von der Seemannsmission für die Kampagne "Fair übers Meer" ein, die für bessere Löhne und Arbeits- und Lebensbedingungen der Seeleute eintritt.

Haben Sie Hoffnung, dass sich die Bedingungen auf den Schiffen ändern nach der Krise?

Ich befürchte, dass es noch schlimmer wird, weil das Angebot an billigen Arbeitskräften noch größer wird, je mehr die Bevölkerung in armen Staaten wächst. Früher gab es noch viele deutsche Kapitäne und Offiziere. Aber die Löhne sind so schlecht, dass es für die Deutschen nicht mehr attraktiv ist. Jetzt kommen viele aus Osteuropa, Afrika und Asien.

Wie hilft die Seemannsmission denen, die jetzt festsitzen?

Wo es möglich ist, versuchen wir, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, in Cuxhaven hat Tui Cruises und das Havariekommando uns erlaubt, an Bord zu gehen. Wir haben einen virtuellen Chatroom eingerichtet und verständigen uns mit den Seeleuten auch über Videokonferenzen und Mails. Das wird alles stark genutzt. Auch in Alexandria kommuniziere ich mit den Crewmitgliedern viel übers Internet – weil sie ja nicht an Land dürfen. Das ersetzt kein persönliches Gespräch, ist aber besser als nichts.

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