Und danach - Fairtrade
Und danach - Fairtrade
Nathalie Bertrams
"Die Welt sollte hinterher gerechter sein"
Corona: Ein Grund, sich mehr für Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz einzusetzen, findet Dieter Overath von Transfair e.V. Und nicht für weniger. Ein Interview.
Tim Wegner
04.05.2020

Herr Overath, vor kurzem haben Sie - per Videobotschaft - ein Gymnasium in Brakel als erste digitale Fairtrade-Schule in Deutschland ausgezeichnet.

Dieter Overath: Uns ist es wichtig, dass wir trotz allem auch weiter etwas "Normalität" zeigen: Immerhin gibt es in Deutschland schon über 700 Schulen, die sich als Fairtrade-Schule für den fairen Handel einsetzen. Ich finde, das zeigt ganz deutlich, wie engagiert junge Menschen sind.

Gab es durch Corona einen Einbruch bei den Bewerbungen von zum Beispiel Schulen oder Universitäten?

Santiago Engelhardt

Dieter Overath

Dieter Overath war von 1992 bis 2022 Geschäftsführender Vorstand/ Vorstandsvorsitzender von Fairtrade Deutschland e.V. Der Verein wurde gegründet, um Produzentenfamilien in Afrika, Asien und Lateinamerika über den fairen Handel so zu unterstützen, dass sie ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern können. Overath, studierter Betriebswirt, war Mitbegründer des Vereins und führte die Geschäfte zunächst noch vom eigenen Wohnzimmer aus. Zu erkennen sind Fairtrade-Produkte an den Siegeln.

Das Engagement ist nicht eingebrochen. Ganz im Gegenteil. Wir wissen: Gerade junge Leute sind aktiv in den Sozialen Medien. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie haben sich Interaktion und Reichweite auf unseren Social-Media-Kanälen quasi verdoppelt. Das ist ein schönes Zeichen, weil es zeigt, dass man sich auch oder gerade in Krisenzeiten nicht nur auf sich selbst besinnt, sondern wissen will, wie es in anderen Ländern aussieht.

Und wie sieht es da aus, bei Ihren Produzenten?

Teilweise natürlich sehr dramatisch. In Kenia beispielsweise haben 50.000 Beschäftigte auf Blumenfarmen ihre Arbeit verloren, weil der Blumenhandel in Europa mit Start der Pandemie eingebrochen ist. Davon ist auch der Handel mit fair gehandelten Rosen und die Beschäftigten auf Fairtrade-Blumenfarmen betroffen.

Gibt es Hilfe vom Staat?

Nicht mal ansatzweise so wie in Deutschland. Wir reden hier von Ländern, in denen Menschen häufig nicht mal genug Trinkwasser haben. Ich will die  Situation hierzulande nicht schönreden, aber dort gibt es ganz andere Probleme als etwa die Höhe des Kurzarbeitergeldes. Wer in Kenia oder Indien seinen Job verliert, hat in der Regel keine Absicherung. Auf Fairtrade-Farmen haben diese Menschen immerhin die Fairtrade-Prämie als finanziellen Ausgleich.

Was genau ist die Fairtrade Prämie?

Ein finanzieller Aufschlag zum Beispiel auf Plantagen, bei Blumen oder im Tee-Anbau. Die Prämie geht an die Arbeiterinnen und Arbeiter, oft fließen die Gelder auch in Gemeinschaftsprojekte. In der aktuellen Krisensituation wird die Prämie auch für Hygienemaßnahmen genutzt, für Masken, Desinfektionsmittel oder Aufklärungskampagnen. Außerdem darf sie jetzt gerade auch dafür eingesetzt werden, Einkommenseinbußen zu kompensieren.

Was wird nach der Krise sein?

Grundsätzlich haben wir bis vor kurzem sehr optimistisch in die Zukunft geschaut. Seit 14 Jahren wächst Fairtrade jährlich im zweistelligen Bereich. Sowohl Discounter wie Lidl oder Aldi, als auch der klassische Lebensmitteleinzelhandel arbeiten mit uns zusammen und auch Markenartikler wie Tchibo, Darboven, Lambertz oder Riegelein sind Partner von Fairtrade. Wir hoffen natürlich, dass sich dieser Trend fortsetzt, vor allem auch bei einem Neustart nach der Krise. In Anlehnung an den Petersberger Klimadialog: Die Corona-Krise sollte kein Grund sein, den Einsatz für Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz zu reduzieren. Im Gegenteil! Im besten Fall sollte die Welt hinterher gerechter sein.

Wie schlimm ist Corona für die Wirtschaftskraft in den Ländern des Globalen Südens?

Katastrophal. Sie müssen sich vorstellen, dass viele dieser Länder Agrar-Rohstoffe exportieren, die zum Teil schnell verderblich sind. Je nachdem, ob die Ernten noch ausstehen, fehlt es an Erntehelfern, der Transport innerhalb des Landes ist durch die Mobilitätseinschränkungen massiv erschwert und verteuert sich. Dazu kommt, dass die Krise zu verstärkten Preisschwankungen führt. Es gibt ein Überangebot an Bananen, weil Länder in Osteuropa Logistik-Probleme haben. In Ecuador verschenken Produzentenorganisationen die Bananen lieber an die lokale Bevölkerung, als sie viel zu billig zu verkaufen.

Eigentlich wissen die Konsumenten in Deutschland doch, warum so ein Dumping-Preis mit einigermaßen fairen Produktionsbedingungen nicht funktionieren kann.

Ich finde, man kann die Verantwortung nicht nur auf die Verbraucherinnen und Verbraucher schieben. Wir kämpfen deshalb für ein Lieferkettengesetz. So könnten Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden. Es gibt schon vorbildliche Initiativen von Herstellern und Händlern, sich in Sachen Nachhaltigkeit zu engagieren, aber durch eine gesetzliche Regelung wäre die Ausgangslage für alle Marktteilnehmer gleich.

Noch mal zurück zu der Schule in Brake. Dort haben die Schüler an einer ziemlich genialen Idee mitgemacht: Was steckt hinter "#WhoMadeMyClothes"

Ja, das war klasse und eine der Aktionen, weshalb wir die Schule ausgezeichnet haben: Die jungen Leute haben ihre Kleidung auf links gedreht getragen und dann Fotocollagen gemacht, auf denen die Herkunftslabels zu sehen waren. Mit diesen Bildern und dem Hashtag #WhoMadeMyClothes haben viele bei der Fashion Revolution Week mitgemacht, die es zum Gedenken an den Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza im Jahr 2013 gibt.  Und sie haben zu mehr fairer Fashion aufgerufen. Ganz einfache Idee, aber mit viel Wirkung. Ich finde überhaupt, dass viele junge Leute mit dem Thema Kleidung mittlerweile sehr viel bewusster umgehen. Ich habe zwei Töchter und schau mir das immer ganz genau an. Da gibt es die Onlineplattform Kleiderkreisel oder Flohmärkte, um Kleidung auch Secondhand zu kaufen, oder Produzenten wie Armedangels. Ich sehe da kleine, aber wichtige Zeichen für die Zukunft.

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