Fragen an das Leben - Sibel Kekilli
Fragen an das Leben - Sibel Kekilli
Dirk von Nayhauß
"Sagen und denken, was ich will"
Sich selbst entfalten, ohne Angst zu haben. Das ist für sie Freiheit, sagt die Schauspielerin Sibel Kekilli.
Dirk von Nayhauß
25.03.2020

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich arbeite, wenn ich in eine Rolle eintauche. Ich will meine Figur verstehen, wie eine Psychologin ­ihre ­Patientin: Wie denkt sie? Wie funktioniert, wie tickt sie? Es gibt Figuren wie Umay in "Die Fremde", die mich ­lange beschäftigen, dann bin ich für nichts außerhalb zu ­gebrauchen, was mir sehr leidtut für meine Freunde. Auch danach brauche ich Zeit, um runterzukommen.

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Kinder machen einfach. Sie denken nicht groß nach, sie leben im Moment. Das vergessen wir immer wieder. Viele Menschen haben Zukunftsängste, da kann es ­schwierig sein, sich selbst zu sagen: "Stopp! Hör auf mit dem ­Grübeln. Du kannst die Vergangenheit nicht ändern, aber du kannst die Zukunft beeinflussen." Genau das habe ich mir fest vorgenommen: jetzt zu leben und den Moment zu genießen.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Als Kind musste ich arabische Gebete auswendig lernen, durfte aber zum Beispiel nicht in eine Koranschule. Das zu verstehen war für mich sehr schwierig. Ich habe lange mit mir ­gerungen, doch irgendwann konnte ich an einen Gott nicht mehr glauben. Trotzdem bin ich gewiss, dass es da etwas gibt. Ist es das Schicksal? Oder die Kraft, ­
die ich in mir spüre? Meine beste Freundin sagt: "Der Glaube gibt mir Sicherheit." Mit meiner anderen ­besten Freundin gehe ich jedes Jahr an Heiligabend in die ­katholische Kirche. Zum einen ist das natürlich ein ­bisschen Tradition, aber die Predigten des Pfarrers haben mich schon oft sehr berührt.

Muss man den Tod fürchten?

Vor dem Sterben, vor dem Tod habe ich keine Angst. ­
Mir macht aber Angst, dass die Zeit so schnell vergeht.

"Als ich Kind war, wurden mir enge Grenzen gesetzt"

Was ist Freiheit?

Für mich hat Freiheit immer bedeutet, dass ich selbst ­entscheiden kann, wie ich lebe. Ohne Angst, das sagen und denken zu können, was ich will. Als ich ein Kind war, wurden mir enge Grenzen gesetzt. Ich musste mich von vielen Zwängen und Regeln befreien und das hat mich unglaublich viel Kraft gekostet. Freiheit bedeutet für mich, mich als Individuum entfalten zu dürfen. Insbesondere in der Kultur, in der ich aufgewachsen bin, ist das nicht selbstverständlich und kann auch dazu führen, dass man aus dieser Kultur ausgeschlossen wird und nicht mehr ­dazugehören darf. Aber das ist dann wohl der Preis für die Freiheit, den man in diesem Falle zahlen muss.

Sibel KekilliDirk von der Nayhauß

Sibel Kekilli

Sibel Kekilli, 1980 in Heilbronn geboren, wurde 2004 mit dem Film "Gegen die Wand" international bekannt, es folgten die Kinoproduktionen "Der letzte Zug", Winterreise" und "Die Fremde". 2011 bis 2014 spielte sie in "Game of Thrones" die Kurtisane Shae, 2010 bis 2017 war sie die Ermittlerin Sarah Brandt im Kieler "Tatort". Kekilli wurde vielfach ausgezeichnet, darunter auf dem Tribeca Film Festival (New York), sie erhielt den Bambi und zweimal den Deutschen Filmpreis. Mit "Terre des Femmes" setzt sie sich öffentlich gegen Ehrenmorde und für ein selbstbestimmtes Leben von Frauen ein. Sibel Kekilli lebt in Hamburg-Altona.
Dirk von Nayhauß

Dirk von Nayhauß

Dirk von Nayhauß absolvierte die Journalistenschule Axel Springer und studierte Psychologie in Berlin. Er arbeitet als Journalist, Buchautor und Fotograf (vertreten durch die renommierte Fotoagentur Focus). Für chrismon macht er die Interviews und Fotos der Rubrik "Fragen an das Leben".

Wer oder was hilft in der Krise?

Meine engsten Freunde. Sie helfen, indem sie zuhören. Ich darf bei ihnen einfach sein. Das gibt mir Halt. Aber auch der Glaube an die besagte höhere Instanz und daran, dass es schon wieder aufwärtsgehen wird, ganz egal, ob man das dann Glaube an Gott, einen Schutzengel oder einfach Schicksal nennt.

Wo ist Heimat?

Da ich in zwei verschiedenen Kulturen aufgewachsen bin, war es für mich nicht einfach, ein Gefühl für Heimat zu entwickeln. Neulich war ich nach fünf Jahrenmal wieder in der Türkei. Ich habe Türkisch gesprochen, ich liebe das türkische Essen, die türkische Kultur, das ist einfach in mir drin. Aber in der deutschen Kultur kann ich als Frau viel freier sein, hier fühle ich mich zugehöriger, hier werde ich weniger verurteilt für meine Ideale. Am ehesten bringe ich daher den Begriff mit Menschen in Verbindung – und so ist Hamburg mittlerweile genauso eine Heimat geworden, wie wenn ich bei meiner Freundin in Baden-
Württemberg bin.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Die Liebe zu einem selbst, also mit sich völlig im Reinen zu sein, auch mit den eigenen Schwächen – das stelle ich mir sehr erfüllend vor. Ich bewundere es, wenn jemand das kann. Bei den Menschen, die gerade in meinem Leben sind, habe ich gelernt, zuzulassen, dass sie mich so lieben, wie ich bin. Wahrscheinlich ist das der erste Schritt zur Selbstliebe und Selbstakzeptanz.

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