China inszeniert sich als kommende Weltmacht
China inszeniert sich als kommende Weltmacht
Miguel Candela / Getty Images
"China inszeniert sich als kommende Weltmacht"
In Wuhan hat die Corona-Krise ihren Ursprung. China will nun zu neuer Stärke finden - aber die Regierung hat Vertrauen verspielt. Ein Interview mit Sonja M. Müller von der IHK in Frankurt am Main.
Tim Wegner
24.03.2020

chrismon: Hat die chinesische Kultur der Staatsführung in Peking dabei geholfen, die Corona-Krise in den Griff zu bekommen?

Sonja M. Müller: Ja, aus zwei Gründen. Chinesen sind obrigkeitshörig. Sie vertrauen darauf, dass der Staat alles regelt. Der zweite Grund: Chinesen nehmen Rücksicht auf das Kollektiv, die Gemeinschaft steht immer über allem.

Woran machen Sie das fest?

Das beste Beispiel ist der Mundschutz. Der gehörte in China schon vor der Corona-Krise zum Straßenbild. Wer erkältet ist, zieht eine Maske über - aus Rücksicht, um andere nicht anzustecken. Die Menschen in Europa versprechen sich von Masken dagegen vor allem einen Selbstschutz. Das ist der Unterschied. Auch in anderen Lebensbereichen domininiert das Kollektiv. Studierende etwa wohnen mit sechs Menschen in einem Zimmer, daran stört sich auch niemand.

Sonja M. MüllerPrivat

Sonja M. Müller

Sonja Michaela Müller leitet das China Competence Center (CCC) der IHK Darmstadt und Frankfurt am Main. Seit 20 Jahren ist sie zwischen Deutschland und China unterwegs: Zunächst als Studentin der Universität zu Köln und mit einem Stipendium des DAAD in Beijing. Später beim Stifte-Produzenten Staedtler und der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) in der chinesischen Hauptstadt. Nach weiteren Stationen bei den Industrieunternehmen Adidas und Prym Fashion in Deutschland war Sonja M. Müller bei der Deutschen Auslandshandelskammer in Beijing tätig. Heute berät sie deutsche und chinesische Unternehmer bei allen Fragen des Markteintritts. Sonja M. Müller hält Vorträge, moderiert Gesprächsrunden und war als Dozentin für China-Management an der Accadis-Hochschule tätig.

Und es gibt keine Subkulturen, die skeptisch sind und sich diesen Dogmen widersetzen?

Es gibt viele Subkulturen in China, aber das sind jeweils so kleine Gruppen, dass sie nicht ins Gewicht fallen. Der Glaube an die Obrigkeit hat in China eine lange Tradition. Was der Kaiser tut, das macht er richtig - so dachten die Menschen früher schon. Nur wenn er offenkundig und ganz fundamental falsch lag, hätte man dagegen was sagen dürfen. So ist es heute gegenüber Partei und Staatsführung immer noch - aber das Vertrauen einiger Chinesen bröckelt.

Was meinen Sie?

Ein Bekannter, der in Peking wohnt, berichtete mir neulich, wie stark die Einschränkungen sind, die für die Bevölkerung gelten. Wenn er das Haus verlässt, werden sein QR-Code gescannt und seine Temperatur gemessen. Mehr als zwei Leute dürfen nicht im Aufzug fahren. Bei der Arbeit angekommen, wird wieder der QR-Code gescannt und Fieber gemessen. Das alles gibt den Blockwarten eine Macht wie seit der Kulturrevolution nicht mehr.

Blockwart?

Das sind die Menschen, die kontrollieren, ob die Vorgaben in den Wohnblöcken  eingehalten werden. Es gab in China Schlägereien und Wut, die sich gegen diese Leute richtete. Das ist neu, denn die Chinesinnen und Chinesen sind Restriktionen gewohnt. Aber offenbar wurde der Lagerkoller zu groß. Ein anderer Bekannter von mir telefonierte kürzlich mit seinem ehemaligen Professor. Der lästerte erstmals über die Regierung. Das war immer tabu. Auch im Internet waren viele Beschwerden zu finden.

Was folgern Sie daraus?

Wenn die Staatsführung das Virus nicht in den Griff bekommt und die Wirtschaft nicht wieder ins Laufen bringt, droht eine Legitimationskrise. Das Versprechen war immer wirtschaftliche Stabilität und Wachstum. Aber es ist wie jetzt bei uns: Das öffentliche Leben, die Umsätze in Branchen wie der Gastronomie waren zusammengebrochen. Die Menschen erwarten, dass es nun wieder aufwärts geht.

Peking feiert sich dafür, das Virus besiegt zu haben.

Man kann von Deutschland aus nicht verlässlich sagen, ob das stimmt. Sie tun wahnsinnig viel, um Covid-19 zu besiegen - mehr, als wir hier in Deutschland je tun werden. Allein schon, dass sie den Leuten ständig Fieber messen. Ich bin keine Virologin, aber ich kann mir gut vorstellen, dass sie damit Erfolg haben werden. Aber: Peking ist nun auch auf ein bestimmtes Narrativ angewiesen: "Seht her, wir haben es geschafft! Und nun helfen wir sogar anderen Ländern!" Die Staatsführung will nicht, dass diese Erzählung gestört wird.

Welches Ziel verfolgt Peking mit den Lieferungen von medizinischer Ausrüstung nach Italien?

China inszeniert sich als kommende Weltmacht. Immerhin: Sie streben diese Stellung durch Fleiß, ein gutes Krisenmanagement und die Produktion wichtiger Güter an - und nicht durch militärische Interventionen, wie manche es hierzulande befürchten. Aber nach der Krise braucht Europa endlich eine Debatte darüber, wie es den chinesischen Ambitionen entgegentreten will. Es wird der Führung in Peking sicher gefallen, wie sich die Europäische Union angesichts der Bedrohung durch das Coronavirus eher zerstreitet, als sich um gemeinsame Lösungen zu bemühen.

Die Chinesen sind sauer auf Donald Trump

Neuerdings ist aus Peking zu hören: Der Covid-19-Erreger stamme aus den USA. Was halten Sie davon?

Die Chinesen sind sauer, weil Donald Trump von einem "Virus aus China" spricht. Ich lese im Netz chinesische Medien, und die Wut kann man deutlich herauslesen. Meine Vermutung ist, dass die Staatsführung ein paar Gelehrte engagiert hat, um die Verschwörungstheorie zu verbreiten, das Virus habe damit zu tun, dass die USA erst kürzlich ein Forschungsinstitut in China geschlossen hätten.

Und die Wahrheit ist?

So tragisch wie banal: Irgendein Wildtier hat auf dem Markt in Wuhan das Virus auf den Menschen übertragen.

Was wird China aus der Krise lernen?

Nicht viel, fürchte ich. Es wird weiter um Wachstum gehen. Dabei hat jeder gesehen, wie die Belastung an Feinstaub in Wuhan zurückgegangen ist. Feinstaub ist für viele Krankheiten und Todesopfer verantwortlich, man könnte also viele Rückschlüsse aus der Zeit des Wirtschaftseinbruchs ziehen. Aber ich glaube nicht, dass das passieren wird.

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Was wird das Virus für uns und alle anderen zum Verständnis von Politik und Gesellschaft tun? Wenn jetzt Wochen, oder monatelang in ganz Europa Vereine, Bauern, Dienstleister und eine Vielzahl von Einzelhändlern (außer Lebensmittel) nicht mehr die üblichen Einnahmen haben, werden sie mit Schulden schließen. Viele „Hand- in den Mund-Existenzen“ werden nach kurzer Zeit in Not geraten. Es ist mehr als ungewiss, ob nach dem Ende der Epidemie die früheren Verbrauchsgewohnheiten nahtlos fortgesetzt werden können. Wer Kunden verliert, auch ohne eigenes Verschulden, hat Mühe sie wieder zugewinnen. Nichts wird danach wie früher sein. Einzelschicksale werden zu einer Mauer, zu einer psychischen Bürde für die Zukunft. Auch bei uns werden viele Personen „freigesetzt“ (hinterhältiger Begriff!), die frühere Berufswege verlassen haben und nicht mehr den hohen Ansprüchen der gewerblichen Wirtschaft entsprechen können. Wenn die Epidemie auch nur in Nuancen zur Bewusstseinsveränderung führt, werden Domino-Folgen in kürzester Zeit unberechenbar. Die Klimadiskussion hat für alle Konsumenten als globales Ziel ein in mehreren Jahrzehnten kontinuierlich verändertes Verantwortungsgefühl. Diese „Überzeugungsarbeit“ könnte Corona in wenigen Wochen erledigen. Es wird sich zeigen ob das Virus auch die Werte und kulturellen Bedeutungen der Religionen infrage stellen kann.

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