Maria mit Kind und Papageien

Hans Baldung Grien: Maria mit Kind und Papageien, 1533Dirk Messberger/Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Maria mit Kind und Papageien

Hans Baldung Grien: Maria mit Kind und Papageien

Jesus oder Lustknabe?
Und die junge Frau könnte Maria sein – oder eine Hexe! Hans Baldung Grien war ganz schön frech für einen Maler der Renaissance.

Diese Maria ist eine erotische Be­drohung. Makellose, strahlend weiße Haut und ziemlich viel ­blanker Busen für eine Heilige. Dazu passt der niedliche Putto, das kleine Engelchen links oben, das der Dame einen Schleier vom ­Gesicht zieht. Na ja, Schleier ist etwas viel gesagt. Dieser Textilhauch von Nichts verbirgt weniger, als dass er Lust machen soll auf das, was ohnehin zu sehen ist. Ist der Putto also eher ein amouröses Helferlein, die Maria gar eine Venus im Heiligenschein?

Lukas Meyer-Blankenburg

Lukas Meyer-Blankenburg ist Journalist mit Hang zur Kunst
PrivatLukas Meyer-Blankenburg

Auch die beiden Papageien geben Anlass, in diese Richtung zu denken. Einerseits waren die exotischen Vögel gern gemaltes Symbol für den paradiesischen Sehnsuchtsort, ihr schmutzabweisendes Gefieder Sinnbild für heilige Reinheit. Andererseits galten Papageien wegen ihrer regen Paarungsbemühungen als Allegorie auf unkeusches Geschnacksel.

Hans Baldung Grien liebte das Spiel mit Doppeldeutigkeiten, würzte ordentlich erotisch aufgeladene Deutungsmasse unter seine Leinwandkompositionen. Um 1483 in Schwäbisch Gmünd geboren, gilt Baldung Grien eigentlich als einer der größten deutschen Renaissancemaler. Die Betonung liegt auf "eigentlich". Zwar gelangte er mit seinem Altarbild für das Freiburger Münster und hernach als Straßburger Maler­größe bereits zu Lebzeiten zu großem Ansehen. Der Nachwelt sagt der Name aber kaum mehr etwas. Den Namenszusatz Grien verpasste sich der Künstler übrigens selbst ob seiner Vorliebe für die Farbe Grün.

Hat man einen Jesusknaben jemals derart aus dem Bild schauen sehen?

Baldung Grien verdient es durchaus, aus dem Schatten seines zeitweiligen Arbeit­gebers in Nürnberg, Albrecht Dürer, geholt zu werden. In der Kunsthalle Karlsruhe belegt eine große Retrospektive seiner Kunst noch bis Mitte März, dass er auf ­eine ­Ebene mit Dürer gestellt werden müsste. An ­Originalität ist er dem bekanntesten deutschen Renaissancemaler vielleicht sogar um einiges voraus. So arbeitete sich Baldung Grien, etwas verkürzt gesagt, nicht allein an einem antiken Schönheits­ideal ab. Er spielte regelrecht mit den Deutungsmus­tern seiner Zeit, etwa wenn er bekannte Heiligensujets verwendete, wie hier die Maria.

Hat man einen Jesusknaben jemals derart aus dem Bild schauen sehen? Im ernsten Glanz der Augen liegt einerseits das ­Wissen um ein passionsreiches Lebensschicksal; das entspräche der verbreiteten Heiligendeutung. Aber eines von Baldung Griens Lieblingsthemen war auch der Sündenfall. Und wer die Bilder des Künstlers dazu kennt, muss feststellen: Die Lüsternheit, mit der sein Adam dort dem Betrachter zuzwinkert, während er Eva an die Brüste greift, unterscheidet sich nicht groß davon, wie einen der ungewöhnlich große Jesus hier anblickt und mit den Lippen an der Brustwarze seiner Mutter spielt. Vielleicht liegt darin sogar eine Parallele zum neckisch am Hals knabbernden Papageien.

Bei Grien sind immer die schönsten Frauen die schlimms­ten ­Hexen – und umgekehrt

Jesus liegt auch nicht in den Armen ­seiner Mutter, sondern fläzt sich wie ein Liebhaber auf der Balustrade vor der Geliebten. Der graue Stein zieht eine un­überbrückbare Distanz zwischen Maria und den Betrachter des Bildes. Wenn man jetzt noch weiß, dass Baldung Griens zweites Lieblingsmotiv die Hexe war, dann schließt sich ein Kreis. Bei Grien sind immer die schönsten Frauen die schlimms­ten ­Hexen – und umgekehrt. Der Künstler erweist sich als lustvoll jong­lierender Analytiker seiner Zeit. In seiner Maria mit Kind und Papageien von 1533 bringt er treffend das Frauenbild seiner Zeitgenossen auf den Punkt. Ein unnahbares Wesen, so sollte die Frau des 16. Jahrhunderts sein. Und ihre Schönheit war vor allem immer eines: bedrohlich. Da können sie uns Heutigen wirklich schrecklich leidtun, die Männer der Renaissance.

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