Die Schwachen im Blick
Warum es ein Akt der Solidarität ist, nicht darüber zu meckern, wenn Großveranstaltungen abgesagt werden.
Tim Wegner
09.03.2020

Nun sollte es jede(r) verstanden haben: Bei Covid-19 geht es darum, Zeit zu gewinnen und eine weitere Ausbreitung des Virus in die helle Jahreszeit zu verzögern, die reich an UV-Strahlen ist. Vereinfacht gesprochen: Viren mögen kein Sonnenlicht, und wenn es draußen wärmer und schöner wird, halten sich nicht mehr so viele Menschen in geschlossenen Räumen auf. Das könnte helfen, auch wenn neueste Modelle darauf hindeuten, dass der Erreger den Sommer überstehen wird, wie es der Virologe Professor Christian Drosten erklärt hat (in einer übrigens sehr empfehlenswerten Podcast-Reihe auf NDR Info).

Tim Wegner

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.

Unser Gesundheitssystem braucht diesen Zeitgewinn, damit nicht alle Patienten mit schweren Krankheitsverläufen auf einmal auf ärztliche Hilfe angewiesen sind, die dann anderen fehlt. Das gilt besonders für ältere Menschen, die leider überdurchschnittlich oft mit Komplikationen durch Covid-19 zu rechnen haben, während Jüngere nur Erkältungssymptome entwickeln oder gar nichts bemerken werden. Auch Vorerkrankte mit anderen Leiden müssen auf unsere tatkräftige Empathie vertrauen. Letztlich kommt der Zeitgewinn uns allen zugute, denn jede(r) kann krank werden, warum und woran auch immer.

Es geht um Solidarität

Es geht also um Solidarität. Deshalb sollten wir Einschränkungen hinnehmen. Ja, es ist ärgerlich, nicht das Fußballspiel oder das Konzert besuchen zu können, auf das man sich so gefreut hat. Aber wenn Fachleute es für sinnvoll halten, auf Großveranstaltungen zu verzichten – dann ist das so.

Zu der Einsicht, Großveranstaltungen fernzubleiben, um letztlich auch andere zu schützen, könne doch auch jede(r) selbst gelangen, wenden manche ein. Ja, das stimmt. Aber die Hamsterkäufe der vergangenen Tage haben gezeigt, dass Egoismus oft nur das hässliche Wort für "Eigenverantwortung" ist, diesem Dogma des neoliberalen Zeitalters. "Wie jetzt, es gibt Menschen, die wirklich dringend Desinfektionsmittel brauchen? Mir doch egal! Und die letzte Nudelpackung nehme ich auch noch mit!" – das ist eine weit verbreitete Haltung, die sich an leeren Regalen ablesen lässt. Wer wochenlang auf ein Konzert gewartet hat, wird sich selbst nun wohl kaum die Einschränkung auferlegen, nicht hinzugehen –  Klopapier ist zu Hause schließlich genug gebunkert, falls man hinterher doch krank oder unter Quarantäne gestellt wird.

Die Fragen für das Danach

Die Hamsterkäufer waren auch Ausdruck eines Misstrauens in die öffentliche Ordnung und ins Wirtschaftssystem samt seiner "Just in Time"-Lieferketten. Darüber, woher das mangelnde Vertrauen kommt, lohnt es nachzudenken, wenn eines Tages hoffentlich alles überstanden sein wird. Vielleicht fällt uns ja etwas Besseres ein? Regionale statt global vernetzte Produktionsketten zum Beispiel?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat Recht mit seiner Empfehlung - Verantstaltungen mit mehr als 1000 Menschen sollten vorerst abgesagt werden. Die konkrete Entscheidung, Fußballspiele ohne Publikum stattfinden und Konzerte ausfallen zu lassen, muss aber immer von denen kommen, die dafür gewählt oder als Beamte dem öffentlichen Wohl verpflichtet sind. Und das ist in einem föderal organisierten Staat wie der Bundesrepublik eben nicht die eine Person wie Jens Spahn, sondern es sind viele Verantwortliche, etwa in den Gesundheitsämtern der Kommunen. Entschließen sie sich nun, die Aktivitäten in Deutschland herunterzufahren, sind sie für diese Konsequenz nicht – wie es bei anderen Fragen oft passiert – an den Internetpranger zu stellen. Ihre Entschlüsse sind zu respektieren, Punkt. Sie sind Fachleute oder hören den Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Forschung derzeit besonders intensiv zu. So viel Vertrauen muss sein.

Wenn wir zusammenhalten, sind wir größer

Für die Zeit nach dem Virus muss dann auch Jens Spahn überlegen, ob uns unser Gesundheitssystem nicht mehr Geld wert sein sollte und ob das Personal wirklich fair bezahlt wird. Nicht erst der Ausbruch von Covid-19 lässt die Antwort schon erahnen. Ein reiches Land muss sich mehr Vorsorge und mehr Krankenhausbetten leisten können!

Und noch eine Frage fällt uns im Sommer vielleicht wieder ein: Warum fühlt sich die Sache mit dem Virus so blöd an? Weil Krankheiten eine Erinnerung daran sind, dass wir klein sind, viel kleiner als gedacht. Wenn wir zusammenhalten, sind wir größer. Klingt nach Pathos, meint aber nur: Gibt es vielleicht ältere Menschen in Ihrer Nähe, für die Sie mal einkaufen könnten?

An solchen Gesten können wir wachsen, nicht nur in dieser Krise, sondern auch in anderen. Zum Beispiel auch, wenn es darum geht, die Erderwärmung einzugrenzen, die uns alle bedroht.

Auch das können wir nur gemeinsam schaffen.

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