Robinson - Ein Kinderbuch von Peter Sís
Robinson - Ein Kinderbuch von Peter Sís
Peter Sís
Robinson gibt niemals  auf
Und Peter Sís auch nicht. Der Bilderbuchkünstler über seine Kindheit in Prag, sein Leben in den USA – und sein neues Buch
21.01.2020

Sie leben seit 35 Jahren in den USA. Wie fühlt es sich an, wenn Sie heute wieder in Ihre Heimatstadt Prag reisen?

Peter Sís: Immer noch etwas unwirklich, obwohl die Wende ja schon dreißig Jahre her ist. Ich bin in Prag aufgewachsen und hätte früher nie geglaubt, dass der Eiserne Vorhang zwischen Westen und Osten einmal fällt.

Sie sind ja fünf Jahre vorher nach Amerika ausge­wandert. Wie gelang Ihnen das?

Ich habe in den 1970er und -80er Jahren in Prag Filme gemacht und durfte ausreisen, um in Los Angeles ­einen Film für mein Land zur Sommerolympiade 1984 zu ­drehen. Meine Bilder gefielen der Zensur nicht, und es gab immer wieder Änderungswünsche. Irgendwann habe ich entschieden, einfach in Los Angeles zu bleiben.

Peter Sís Joachim Dvorak

Peter Sís

Peter Sís, 70, 
ist ein amerikanischer Bilderbuchkünstler und ­Trickfilmzeichner tschechischer ­Herkunft. Sís 
studierte an der Hochschule für 
Angewandte Kunst in Prag. Während des Prager Frühlings 1968 zeichnete er für eine politische 
Studentenzeitschrift. Während eines 
Arbeitsaufenthalts 1984 blieb er in den USA und kehrte nicht in seine 
Heimat zurück. 
Seine Bilderbücher wurden mit 
zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Wie war das für Ihre Freunde, Ihre Familie?

Erst mal natürlich sehr überraschend, aber sie konnten mich gut verstehen. Mich ermüdete es, mir ständig vorschreiben zu lassen, was ich zu tun und zu denken hatte.

Welche Vorstellungen hatten Sie damals von Amerika?

Ziemlich naive. Dass es schon irgendwie das Land der ­unbegrenzten Möglichkeiten sei.

Und wie war es wirklich?

Ich verdanke Amerika viel. Ich habe dort in meinen ­Beruf als Kinderbuchillustrator gefunden, meine Frau kennen­gelernt und Kinder mit ihr bekommen, die frei auf­wachsen konnten. Aber politisch bin ich inzwischen sehr desillusioniert. Das fing mit dem 11. September 2001 und der politischen Reaktion darauf an und hat mit Trumps Nationalismus und Verhalten gegenüber dem Rest der Welt einen schrecklichen Höhepunkt erreicht. Aber die politische Situation in Osteuropa ist ja leider auch erschreckend: Freiheit, Recht und Demokratie sind schon wieder in Gefahr.

Viele Ihrer Bilderbücher handeln von mutigen Ent­deckern und Forschern: Kolumbus, Galileo, Darwin, Saint-Exupéry. Was hat das mit Ihrer Geschichte zu tun?

Ich habe ja auch einen großen Sprung gemacht, nicht nur auf einen anderen Kontinent, sondern in ein anderes politisches System. Außerdem war ich als kleiner Junge fasziniert von Entdeckern und Forschern. Jetzt ist mir auch klar, was es sie gekostet hat. Die Kirche hat Galileo sehr bekämpft, und Darwin musste lange warten, bis er sich traute, sein Buch über die Evolution zu veröffentlichen.

Peter baut sich eine Unterkunft auf seine Trauminsel. Er fühlt sich dort mutig und stark

Ihr neues Bilderbuch heißt "Robinson". Warum haben Sie sich jetzt mit dem Abenteurer auf der einsamen Insel beschäftigt?

"Robinson Crusoe" ist ja ein Roman von Daniel Defoe aus dem 18. Jahrhundert. Heute wird Defoe Rassismus vorgeworfen, weil sein Held unter anderem seinen schwarzen Diener Freitag missioniert. Ein Freitag kommt in meinem Buch gar nicht vor. Mich hat ­etwas ganz anderes interessiert.

Was denn?

Ich fand immer toll, wie hartnäckig und widerstandsfähig ­Defoes Robinson ist. Er baut sich ein Haus, er pflanzt, er fischt, fertigt sich Kleider aus Ziegenfell. Und als sein selbst gebautes Boot im Wasser zu schwer ist, verzweifelt er nicht, sondern zimmert sich noch ein zweites. Ganze 28 Jahre lässt Daniel Defoe seinen Robinson auf der Insel ausharren, und er gibt niemals auf.

Ist das ein Ideal für Sie?

Jedenfalls ist diese Widerstandskraft auch Thema in meinem Bilderbuch.

Ich bekam den Preis und wurde ausgelacht

Was hat Ihnen also den Anstoß gegeben, das Buch zu machen?

Ich habe Fotos aus meiner Kindheit durchgesehen und ein Foto von mir verkleidet als Robinson gefunden. ­Meine ­Mutter hatte mir ein wirklich tolles, echt wirkendes ­Kos­tüm genäht – mit einer Fellweste und -hose, einer Langhaarperücke und einem Hut. Zuerst war ich begeistert, es war wie ein Zauber. Aber als wir dann zum Kostümfest gingen, das einmal im Jahr bei uns in der Schule stattfand – davon handeln auch die ersten Seiten des Buches - kippte meine Stimmung.

Warum?

Das Kostüm war so gut, dass ich den ersten Preis gewann und mich auf einer Bühne präsentieren musste. Die Erwachsenen kannten Defoes Roman natürlich und waren begeistert. Aber die Kinder konnten nichts mit meinem ungewöhnlichen Kostüm anfangen. Genau wie im Buch haben sie mich ausgelacht.

Und das hat Sie getroffen.

Ich wollte wohl einfach wie alle anderen sein, wie meine Freunde, die Pirat oder Cowboy waren. Ich wollte auch nicht auf der Bühne stehen, sondern mitten unter ­meinen Freunden sein. Ich war damals noch nicht stark genug, ­anders zu sein als die anderen. Letztlich war es eine ­Lektion in Persönlichkeitsbildung.

Der kleine Peter Sís, verkleidet als Robinson Crusoe. Das Foto gab ihm die Anregung für sein jüngstes Buch

Was haben Sie gelernt?

Als Kind erst mal nicht so viel. Erst später habe ich begriffen, dass man sich von niemanden darin beirren lassen sollte, seine Träume zu leben.

Der kleine Junge in Ihrem Buch wird krank und segelt im Fiebertraum auf eine Insel. Das Segel seines Bootes ist ein Buch. Wie kommen Sie denn darauf?

Das Buch von Daniel Defoe liegt aufgeschlagen neben seinem Bett. Wenn ich als Kind zu Weihnachten Bücher bekam, wollte ich sie immer ganz nah bei mir haben und legte sie neben mein Bett. Das war wie ein Versprechen.

Traum und Fantasie spielen immer wieder eine Rolle in Ihren Büchern. Hatten Sie als Kind auch schon so viel Fantasie?

Ich bin ja in Prag groß geworden, und da hatten wir nichts anderes als die Fantasie. Es gab nicht viele ­Bilder, und die Geschichten, die wir erzählt bekamen oder ­lasen, mussten wir uns ausmalen. Jetzt ist das anders, gerade in Amerika gibt es ein Überangebot an Bildern. Dafür wird die Vorstellungskraft hier nicht geschult. Meine Bücher sollen die Fantasie beflügeln.

Wie in "Wo die wilden Kerle wohnen"

Irgendwann lassen Sie Ihren Robinson vom Traum in die Realität zurückkehren.

Aber erst nachdem es ihm auf der Trauminsel gelungen ist, sich à la Robinson ein Zuhause zu schaffen. Über ­seine Traum-Robinsonade gewinnt der Junge sein Selbstver­trauen zurück, das ja durch die Ereignisse auf dem ­Kostümfest in der Schule stark ins Wanken geraten ist.

Und plötzlich liegt er wieder im Bett in seinem Zimmer.

Ja, und seine Freunde besuchen ihn und wollen mehr über Robinson erfahren. Er hat die Krise überwunden.

Genau wie Max, der Held in Maurice Sendaks berühmtem Kinderbuch "Wo die wilden Kerle wohnen".

Ja, aber das war gar nicht meine Absicht. In der Tat fährt Max auch auf eine Insel und kehrt gestärkt wieder in sein Zimmer zurück. Er hat aber einen ganz anderen Charakter als mein Robinson. Und ich habe auch nichts nachgeahmt. Dennoch freut mich jetzt dieser Bezug. Sendak hat mir in Amerika sehr geholfen.

Wie denn?

In der Anfangszeit in den 1980er Jahren schickte eine ­Dame aus einem Museum ohne mein Wissen ein paar ­meiner Zeichnungen an Maurice Sendak. Er rief mich an und fragte: Sie wollen also Kinderbücher machen? Ich antwortete: Ja klar! Obwohl ich eigentlich Filme drehen wollte. Aber ich hatte kein Geld und brauchte einen Job. Sendak bestand darauf, dass ich zu ihm kam. Also fuhr ich mit einem klapprigen Auto von Los Angeles an die Ostküste, wo er lebte. Sendak gab mir Adressen von drei Verlegern. Das hat nach und nach geholfen.

Wie haben Sie Sendak erlebt?

Er war sehr interessant, aber leider auch sehr düster. ­Politik, die Bücher, die Welt: Er fand alles hoffnungslos. Er hat mir damals gesagt: Als Kinderbuchmacher geht es nicht darum, berühmt zu werden. Kinder brauchen Botschaften in dieser Welt, und das ist eine große Verantwortung. Ich finde das ja auch, es klang nur so pathetisch. Aber ich liebe seine Bücher. Er war ein großer Lehrer für mich.

Peter und seine Freunde lieben Abenteuer. Sie spielen Piraten, Herrscher über die Meere

Was macht Ihnen heute Hoffnung?

Als das World Trade Center 2001 attackiert wurde, dachte ich, es hat doch keinen Sinn, Kinder in Büchern dazu aufzufordern, die Welt zu entdecken. Die Welt ist schrecklich. Aber dann sollte ich ein Poster für die U-Bahn ­ent­werfen. Ich habe einen großen Wal in das Straßennetz von ­Manhattan gesetzt und die Skyline hinzugefügt. Das Bild erschien einen Monat nach dem 11. September in fast allen U-Bahn-Waggons. Es wurde zum Symbol für die Kraft der amerikanischen Gesellschaft und blieb zwei Jahre hängen.

Das Walposter nehmen Sie auch in Ihrem Robinson-Buch wieder auf. Warum?

Eitelkeit? Wiedererkennungswert? Vielleicht auch weil Robinson Kraft braucht, Widerstandskraft. Jedenfalls hängt es – ganz klein – an der Mauer des Schulhauses, in dem am Anfang das Kostümfest stattfindet.

Welche neuen Bücher haben Sie im Kopf?

Vielleicht ein Buch über meine Fahrt zu Sendak durch Amerika – mein naiver erster Blick auf Amerika. Oder darüber, etwas zu tun, wenn man es tun kann. Wie ­Nicholas Winton, ein Engländer, der 1939 nach Prag kam, und dem es gelang, 669 jüdische Kinder in acht Zügen von dort durch Deutschland und Holland bis nach England zu ­retten. Er hat 50 Jahre nicht darüber geredet. Man nennt ihn auch den britischen Schindler. Faszinierend.

Warum interessiert Sie das?

Ich suche Themen, die uns allen Hoffnung machen. ­Politik ist letztlich ja auch nur Politik: Jetzt haben wir diesen ­Präsidenten in Amerika, nach ihm kommt ein anderer. Es geht um das größere Bild, um eine Vision. Sendak hatte eine. Ich bleibe dran.

Produktinfo

"Robinson" von Peter Sís erschien 2019 im Gers­ten­berg-Verlag, 48 Seiten, 16,95 Euro

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