Streit ist gut – Versöhnung ist besser
Streit ist gut – Versöhnung ist besser
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Streit ist gut – Versöhnung ist besser
Wenn sich ein Unternehmen zerstreitet, kann es trotzdem gute Produkte verkaufen, sagt Mediator Martin Tontsch. Bei der Kirche aber leidet die Glaubwürdigkeit.
Tim Wegner
09.11.2019

chrismon: Sie helfen Kirchengemeinden, Streitigkeiten beizulegen. Worum geht es da so?

Martin Tontsch: Da hatte sich beispielsweise ein Pfarrer in seiner Ernte­dankpredigt sehr für ökologische Landwirtschaft ausgesprochen. In dieser Gemeinde lebten viele Landwirte. Die haben gesagt: Wir wollen zu Erntedank danken und nicht belehrt werden!

Und dann gab es einen Konflikt?

Ja, und das kann ganz schön anstrengend sein. Aber da spürt man auch, wo bei einem Menschen die Energie steckt. Was ihm so wichtig ist, dass er nicht nachgibt, auch wenn ihm das viel Stress ersparen würde. Dem nachzuspüren, ist etwas Wertvolles.

Also sollten Kirchengemeinden ­ihren Streit konstruktiv lösen?

Ja, so lassen sich wichtige Fragen klären. Zudem: Ein Unternehmen, das sich intern nicht gut versteht, werde ich immer noch wertschätzen, wenn es gute Produkte abliefert. Wenn in einer Kirchengemeinde große Missstimmung herrscht, werde ich sie nicht als glaubwürdig 
empfinden, was ihre christliche ­Botschaft betrifft. Deshalb ist es wichtig, dass Kirchen mit Konflik­ten in einer Weise umgehen, die nicht verletzend ist.

"Ich würde einen Mediator einschalten, wenn sich Koalitionen bilden"

Woran liegt es, wenn es in einem Streit nicht mehr vorangeht?

Oft an einer Eskalationsdynamik: Jemand reagiert so auf eine Aus­sage, dass den anderen diese Reaktion ärgert. Und der reagiert wiederum auf diese Reaktion und versteht sie vielleicht auch noch falsch. Dann eskaliert das Ganze und es geht nicht mehr darum, was ursprünglich das Anliegen war, sondern dass es eine Sauerei ist, was der andere im letzten Gespräch gesagt hat.

War der Erntedankstreit ein Ventil für andere Probleme?

Nicht nur, aber auch. Es ging auch um andere Unzufriedenheiten.

Nämlich?

Konflikte haben oft viele Ebenen. Da war die Sorge um den Bedeutungsverlust der Kirche im Dorf, aber auch um die Identität der Dorfkirchengemeinde in der größeren Pfarrei. Als das deutlich wurde, konnte man ­lösungs­orientiert Ideen entwickeln, wie das Gemeindeleben lebendiger werden kann.

Was waren die Folgen?

Neue Leute haben sich in der Ge­meinde engagiert. In einer Gemeinde­versammlung wurde deutlich, dass viele auch ganz zufrieden waren. Das hat die Lage beruhigt.

Martin TontschHeike Rost

Martin Tontsch

Martin Tontsch, geboren 1974 
in München, 
ist Pfarrer und ­Mediator. Er arbeitet als Referent für die "Arbeitsstelle kokon" in Nürnberg, eine Konfliktberatungsstelle 
der bayerischen Landeskirche.

Wann braucht es Hilfe von außen?

Ich würde spätestens dann einen Mediator einschalten, wenn Koali­tionsbildungen im Gange sind. Wenn die Konfliktparteien alle Beteiligten unterscheiden: Bist du auf meiner Seite? Oder auf der anderen? Ab dem Moment wird es für Vorgesetzte und Unbeteiligte schwierig zu vermitteln.

Was machen Sie dann?

Als Konfliktberater und Mediatoren wollen wir den Menschen helfen, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. Ich bin überzeugt, dass Reden immer hilft. Ein Mediator unterstützt die Konfliktpartner dabei, gemeinsam zu entscheiden, was sie machen wollen. Ganz wichtig: Der Mediator selbst hat nichts zu entscheiden.

Sondern?

In der Mediation ist es wichtig, den Streit auf das zurückzuführen, worum es den Konfliktparteien eigentlich geht. Dazu muss man hinter das "Du hast aber gesagt . . .!" wieder zurück­treten. Dann spricht man darüber, 
wie man die jeweiligen Anliegen zusammenbringen kann, ohne den anderen gleich auf die Palme zu bringen.

"Das Wirken durch 
das eigene Vorbild ist viel nachhaltiger als das Wirken durch Worte"

Aber wie gehen Sie vor, wenn es wirklich um die Sache geht und nicht die Art der Kommunikation?

Ein erster Schritt ist auch da zu ver­stehen, welche Bedürfnisse oder Interessen die andere Konfliktpartei hat. Zu verstehen, warum dem anderen etwas wichtig ist. Oft gibt es so eine Win-win-Lösung, manchmal steht am Ende auch ein Kompromiss. Doch wenn ich weiß, warum der andere mir nicht weiter entgegenkommen kann, ist auch der Kompromiss tragfähiger, als wenn ich das nicht verstehe.

Hilft konstruktive Konfliktbearbeitung in der Friedensarbeit?

Durch das eigene Vorbild zu wirken ist viel nachhaltiger als durch Worte. Je besser es der Kirche gelingt, mit ­eigenen Konflikten konstruktiv umzugehen, desto mehr taugt sie als Vorbild für Konfliktlösung in der weiten Welt. Es gibt viele Beispiele, wo die Kirche vermittelt oder gewalt­mindernd gewirkt hat, etwa in der ehemaligen DDR.

Welche Methoden aus der Konfliktlösung können Gemeinden für die Friedensarbeit lernen?

Ich würde gar nicht so sehr sagen, dass es die Methoden sind. Das Leben aus dem Glauben an einen Gott, der sich selbst in Jesus Christus in die Konflikte dieser Welt hineinbegeben hat, um dort zu versöhnen, kann in unserer Demokratie eine positive ­Energie entfalten.

Wie sollte ein Christ damit umgehen, wenn jemand anderer Meinung ist?

Ich glaube, dass ein recht verstandener, christlicher Glaube skeptisch macht gegenüber jedem Absolutheitsanspruch. Wir haben moralische Vorstellungen, die wir als Gläubige, Staatsbürger, Familienmitglieder und Arbeitnehmer in die Gesellschaft einbringen. Für die streiten wir, aber wir wissen auch, der andere muss kein schlechter Mensch sein, wenn er ­anderer Auffassung ist. Wer letztlich recht hat, soll Gott urteilen.

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