Ach, das ist ja schön hier!
Ach, das ist ja schön hier!
Evelyn Dragan, Nora Klein, Anna-Kristina Bauer
Ach, das ist ja schön hier!
Kasachisch kochen mit Bankern. Den Gottesdienst opulent zelebrieren. Und das Pfarrhaus immer offen lassen. In Frankfurt, Laucha und Hannover ­macht die evangelische Kirche vieles richtig.
Tim Wegner
Tim Wegner
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
23.10.2019

Frankfurt, Neubaustadtteil Europaviertel

Wo früher die Gleise des Güterbahnhofs ­lagen, ist in Frankfurt am Main ein neuer Stadtteil hochgezogen worden, das Europaviertel. Viele eingesessene Frankfurter fröstelt es, wenn sie dort neugierig durchspazieren: gleichförmige Investorenfassaden an den achtgeschossigen Häuserblöcken, dicht an dicht, dazwischen eine furcht­erregende Straßenschneise, die sich Boulevard nennt . . .

Aber nun leben hier schon 8000 Menschen, und es ­ziehen immer noch mehr her, von außerhalb, oft aus dem Ausland. Viele sind zwischen 30 und Anfang 40, haben in Frankfurt den zweiten oder dritten besseren Job nach dem Studium, gern was mit Finanzen und Technik, erfolgreiche Leute, die viel arbeiten und die dank hoher Gehälter in der Lage sind, auch 7000 Euro und mehr für den Quadratmeter Eigentumswohnung zu zahlen.

Tim Wegner

Christine Holch

Morgens kurz nach acht Uhr stillsitzen und meditieren, das ist nicht so das Ding von Christine Holch. Obgleich sie den "Lichtraum" bei "Pax & People" wunderschön findet und die beiden kirchlichen Hauptamtlichen sehr sympathisch.
Tim Wegner

Claudia Keller

Claudia Keller hat noch nie selbst eine Kirchenglocke geläutet. Als sie mit Pfarrerin Wegner unterwegs war, durfte sie es ausprobieren und wurde vom Glockenseil prompt in die Luft gehoben.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff

Burkhard Weitz

Burkhard Weitz kennt Hannover, aber dass in der Gartenkirche eine evangelische Messe gefeiert wird, hat ihn überrascht.

So viele Menschen! Aus so vielen Nationen! Da wollen die katholische und die evangelische Kirche in Frankfurt für Begegnung sorgen und also für Frieden. Aber den Kirchengemeinden in Fußweite werden sich viele der Zugezogenen nicht zuordnen. Also mietete man in einem schnieken Wohnhaus das Erdgeschoss an, engagierte ­Innenarchitektinnen – und hat nun hinter großen Glasscheiben einen Raum, über den hereingeschneite Besucher sagen: "Ach, das ist ja schön hier! Und das ist Kirche?"

Der Raum sieht weder nach Kirche aus noch nach Gemeindesaal, eher nach Restaurant – mit breitem Tresen, langem Esstisch, exzellenter Espressomaschine, Schiefer an den Wänden, Holz auf dem Boden. Und dann leuchtet da noch etwas aus dem Hintergrund: ein Kubus, der "Lichtraum", für Meditation und Stille gedacht.

Klar, die Menschen hier wollen zur Ruhe kommen. Dachte man. Doch die mit je einer halben Stelle für "Pax & People" beauftragte evangelische Pfarrerin ­Katja Föhrenbach und der katholische Pastoralreferent Harald Stuntebeck stellen fest: Die Menschen hier wollen keine Stille, die wollen Gemeinschaft.

Geradezu ein Selbstläufer sind daher die "Koch­abende". Es findet sich immer neu jemand, der sagt: Ach, dann ­koche ich nächstes Mal spanisch! Oder japanisch, ­chinesisch, deutsch, mexikanisch, französisch . . . Bis zu 25 Menschen kommen dann, schnippeln gemeinsam die Zutaten, die von der Kirche eingekauft werden (aber dank eines Spendenkörbchens geht das am Ende auf).

Wodka und Pferdefleisch mit Geistlichen

Diesmal kasachisch. Unter der Regie von Ayim aus Kasachstan und ihrem deutschen Mann pellt zum Beipiel eine russische Softwareentwicklerin Kartoffeln, während eine junge Chinesin aus der Logistikbranche, die häufig kommt, ihren Besuch vorstellt: einen chinesischen Christen namens Jakob. Eine Platte mit Pferdefleisch wird herumgereicht, was für Scherze und Gespräche sorgt. Schmeckt wie Tafelspitz, sagt einer. Wodka gibt es auch, Pastoralreferent Stuntebeck schenkt ihn aus. Und zwischen den Beinen der Erwachsenen wuseln Kinder herum. Endlich sitzen alle, wünschen sich in jeder ­verfügbaren Sprache guten Appetit, nippen neugierig an vergorener Stutenmilch und legen sich Teigtaschen auf den Teller.

Das ist Kirche?, fragen die Menschen, wenn sie die schicken Räume von "Pax & People" im Frankfurter Europa-viertel sehen

Und was bitte ist daran nun christlich? Das kann man zum Beispiel den aus dem Rheinland zugezogenen Tischnachbarn fragen, beruflich schätzt er für eine Versicherung Großrisiken ein, ein Katholik mittleren Alters, der mit seiner Kirche hadert, aber gern und regelmäßig zu "Pax & People" kommt, zusammen mit seiner Frau, ehemals DDR-Bürgerin. Was daran also christlich ist? "Ha", sagt er, "wir sitzen hier, in einer Gemeinschaft – Fremde! Da war doch so ein junger Mann damals, der sagte: Wo zwei oder drei in meinem Namen . . ." Aber gehörte da nicht auch das Beten dazu? "Nee", sagt der Mann, "wo steht das? Hier wird nicht missioniert, hier wird Gemeinschaft gelebt!" Dann widmet er sich der nächsten Teigtasche.

Man plaudert über das Viertel, das Essen, die Kinder. Die ernsten Gespräche ergeben sich eher, wenn man ­eigentlich schon zusammenpackt und spült, haben Katja Föhrenbach und Harald Stuntebeck beobachtet. Sag mal, sagt dann jemand, ist Zweifeln am Glauben erlaubt? Wie funktioniert eigentlich Beten? Was ist, wenn man schuldig geworden ist? Und was passiert nach dem Tod?

Oder es kommt vormittags jemand ins "open office", klappt das Notebook auf, klickt lange vor sich hin – und erzählt plötzlich, dass er oder sie nach einem Burnout ­arbeitslos ist. Oder dass der Vater krank ist, was man sonst niemandem sage, weil man immer gleich weinen muss. "Die Menschen spüren, dass wir als Seelsorger eine andere Art haben zuzuhören", sagt Katja Föhrenbach.

Gemeinschaft: läuft. Spiritualität = Baustelle

Ein Ort für "Begegnung und Spiritualität" will das ­Zentrum sein – und das mit der Begegnung klappt schon ganz gut, das mit der Spiritualität noch nicht so recht. Montag bis Freitag gibt es morgens um 8:15 Uhr "Stille & Espresso", ­eine viertelstündige Meditation mit anschließendem ­Espresso. Katja Föhrenbach sitzt dann im "Lichtraum" auf einem Meditationshocker und beginnt mit einem kurzen Gebet: Gott, du Ewige! Der Tag beginnt. Wir sind hier zwischen der Stille der Nacht und der Geschäftigkeit des Tages, um aus der Stille Kraft zu schöpfen und dich in uns zu finden. Sei uns nahe! – Einatmen, ausatmen. Textimpuls. Klangschale.

Mehr als drei Menschen kommen selten. Das sei ihre Hauptbaustelle, sagen die beiden. Warum gehen die ­Leute zur buddhistischen oder esoterischen Meditation, nicht aber zu einer christlichen Kontemplation – die sei doch ganz ähnlich aufgebaut! Natürlich sind sie auf Facebook und Twitter, haben einen Newsletter und eine Homepage – aber vor allem als sie rausgingen an die Bushaltestelle, Espresso ausschenkten und Infokarten verteilten, kamen eine Zeit lang mehr Leute. Sie sind sich einig: "Wir müssen wieder mehr rausgehen!"

Laucha, Kleinstadt in Sachsen-Anhalt

Die Menschen ansprechen, das machen sie auch in Laucha in Sachsen-Anhalt. Von sich aus kommen die wenigsten zur Kirche. Nur zwölf Prozent der Menschen in Sachsen-Anhalt sind evangelische Christen. Statistisch gesehen. Seitdem aber regelmäßig Frauen und Männer im Auftrag der Kirche an ihren Türen klingeln, Geburtstagsgrüße übermitteln und sich bei Kaffee und Kuchen erkundigen, wie es ihnen geht, fühlen sich sehr viele mit der Gemeinde verbunden.

180 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernehmen mit dem Gemeindekirchenrat Verantwortung, organisieren Besuchsdienste und Gesprächskreise, leiten Handarbeits- und Sportgruppen an und fahren auf Kinder- und Jugendfreizeiten mit. "Ich alleine könnte das gar nicht schaffen", sagt Pfarrerin Anne-Christina ­Wegner. Der Pfarrbereich umfasst die Kleinstadt Laucha und 13 Dörfer.

Für Touristen ist es hier paradiesisch: Unstrut und ­Saale fließen an sanften Hügeln, Weinbergen und ­kleinen Ortschaften vorbei. Für die Einheimischen ist es nicht mehr so schön. Seit dem Mauerfall ist die Hälfte der ­Bevölkerung weggezogen, vor allem viele junge Leute sind gegangen. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 6,5 bis 7 Prozent über dem Bundesdurchschnitt, viele Geschäfte ­stehen leer. ­Geblieben ist, was vor allem die Alten brauchen: Ortho­pädietechnik, Physiotherapie.

Die Pfarrerin ist nicht für alles zuständig

Das Pfarrhaus in Laucha mit seinen mächtigen ­Wänden stammt aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Im ­Arbeitszimmer von Anne-Christina Wegner, 57, stapeln sich Bücher bis unter die Decke, unterm Tisch döst ­Momo, die schwarze Labradorhündin. Andachten sind vorzubereiten, Predigten zu schreiben. Und doch wirkt Anne-Christina Wegner entspannt und nimmt sich Zeit für ­Anrufer und spontane Besucher. Das liegt vor allem ­daran, dass die Pfarrerin hier nicht wie in vielen ­anderen Ge­meinden die oberste Managerin ist und für alles ­zuständig. Wegner kann sich aufs Geistliche und die Seelsorge konzentrieren. Um die Verwaltung, die Finanzen und die Bauangelegenheiten kümmert sich der zwölfköpfige ehrenamtliche Kirchenvorstand.

Sie habe gelernt, Kontrolle abzugeben, sagt sie. Jetzt habe sie die Freiheit zu tun, was sie am besten könne: da sein und zuhören, wenn Menschen keine Arbeit finden, von Depressionen und Einsamkeit erzählen, helfen, wenn sich Mietschulden auftürmen oder Drogen im Spiel sind, Trauernde trösten. "Jeder kann zu mir kommen, ich schicke niemanden weg", sagt Wegner. Die Tür zum Pfarrhaus steht immer offen. Bemerkenswert. Vor zehn Jahren hat unten im Flur ein Mann unter Drogen Wegner überfallen und zusammengeschlagen. Dennoch: Nur ihre private Wohnung schließt sie ab.

Pfarrerin Wegner in Laucha in Sachsen-Anhalt nimmt sich Zeit für spontane Besucher

"Oho, Sie besuchen Frau Wegner!", hört man, wenn man sich im Ort erkundigt. Es klingt anerkennend, manchmal ehrfürchtig. Es hat sich rumgesprochen, dass die Pfarrerin für alle da ist und nicht fragt, wer Kirchensteuer zahlt. Vielen hat imponiert, wie entschieden sie Aufmärschen von Rechten Paroli bietet. Nachbarn freuen sich auch, dass die Kirchenglocken saniert wurden und immer so schön klingen, wenn sie sonntags im Garten werkeln. Wegner ist in Laucha eine Instanz – und auch in den anderen Dörfern präsent.

Zuhören, Anteil nehmen

Manchmal, wenn sie aus einem Ort länger nichts gehört hat, geht sie dort mit ihrem Hund spazieren. Momo braucht sowieso eine Stunde Auslauf am Tag und ist ­immer ein guter Anlass für Gespräche. Sie plaudert über Gartenzäune hinweg und erfährt, was gerade los ist und was die Leute umtreibt.

Dafür hält sie auch mehrmals die Woche immer woanders "geistliche Sprechstunden". So bringt sie auch in die Kirchen Leben, in denen sie nur selten sonntags ­Gottesdienst halten kann. Rein ins Auto, zehn ­Minuten Fahrt vorbei an Wiesen und Feldern, und schon ist Wegner bei einem Dutzend Frauen und Männern in der ­kleinen Dorfkirche von Kirchscheidungen angelangt. ­Kurze ­Lesung, Vaterunser, gemeinsames Singen, 20 ­Minuten insgesamt. Beim Ankommen und Verabschieden ist Gelegenheit, Absprachen zu treffen, zu hören, was anliegt, und sich für längere Gespräche zu verabreden. Was Wegner ganz wichtig ist: "Ich betreue die Dörfer nicht, ich lebe in ihnen." Nicht den Leuten von oben herab erklären, was ihnen guttäte, sondern einfach das Leben teilen und so sichtbar machen, was evangelische Christen glauben.

Seit 20 Jahren ist Pfarrerin Wegner in Laucha. Sie hat eine ganze Generation geprägt. Robert Müller, 35, ­wäre ­ohne sie wohl nicht zum Klavierspielen gekommen. ­Damals fand der Jugendliche die Musik in der Kirche so toll, heute ist er der Kirchenmusiker. Die 14 Gemeinden im Pfarrbereich finanzieren ihn, und auch Wegner gibt ­einen Teil ihres Gehalts dazu. Müller leitet zahlreiche Chöre, ­organisiert Musikfeste, gibt Konzerte und unterrichtet in der staatlichen Kita in Laucha.

Dass eine staatliche Institution die Kirche um Zu­sammenarbeit bittet, so was komme hier im Osten nicht oft vor, sagt Müller. "Ein Hauptgewinn!" Wenn Kinder im Kirchenchor singen, dürfen sie kostenlos bei Robert ­Müller Klavierunterricht ­nehmen oder bei Wegner ­Gitarrenunterricht. Ein Ange­bot für alle, die sich die Musikschule nicht leisten können – und eine Chance mehr, Menschen ­kennenzulernen, die sonst nicht zur Kirche kommen würden.

Gartenkirche, Hannover

Die Kirchenmusik ist ein Schatz, den die Kirche hat. Und nutzt. In der Garten­kirche Hannover proben Chöre aus der ganzen Stadt. Als Gegenleistung singen sie dreimal im Jahr in den Gottesdiensten. Einige Choris­ten kommen auch sonst zu den Messen. ­Messe? Ist das denn hier katholisch?

Der Pfarrer im weißen Gewand, Prozessionen mit Messdienern, die dann bei der Bibellesung im Gottesdienst Kreuz, Kerzen und Bibel halten, Weihrauch in der Luft und Leute, die vorm Altar beim Abendmahl knien. Weit über 100 Gottesdienstbesucher sind ganz normal am Sonntagmorgen in der evangelischen Gartenkirche St. Marien in Hannover, einer wilhelminischen Saalkirche mit bunten Muster­fliesen, mit dem blauen Himmel über der Apsis, mit ­farbigen Kreuzrippen und Schlusssteinen im Gewölbe.

Evangelische Messe

Sogar werktags feiert man zwei Messen, auch da kommen regelmäßig 40 Menschen und mehr. Ältere Damen, Chorsängerinnen und -sänger, schwule Männer, zum Christentum übergetretene Iraner. Der schöne Raum, der traditionelle Rahmen, die Feierlichkeit und die pralle Symbolik, all das bringt die unterschiedlichsten Leute ­zusammen. Dafür gab es in diesem Jahr den 1. Preis beim chrismon-Gemeindewettbewerb.

Draußen rauscht der Verkehr. Die Gartenkirche steht da, wo der stark befahrene Zubringer Marienstraße die Hannoveraner Südstadt von der Innenstadt trennt. Die ­Gemeindemitglieder südlich der Marienstraße sind oft wohlhabende Familien, die das Viertel mit den kleinen Geschäften und Kneipen schätzen. Auf der anderen Straßen­seite, zur Innenstadt hin mit ihren Banken, Versicherungen und Einkaufsstraßen, wechseln die Mieter häufiger.

n der evangelischen Gartenkirche  in Hannover    feiern sie  Messen, die aussehen wie bei den Katholiken. Das kommt auch bei den iranischen Christen gut an

Pfarrer Dietmar Dohrmann, 44, ist für sie alle da. Vor sieben Jahren rief ihn die Gemeinde aus dem Harz nach Hannover ins Stadtzentrum. Sie wollte jemanden, der die lutherische Messe zelebrieren kann, richtig hochkirchlich. "Wir inszenieren die Heilige Schrift", sagt Dohrmann: "Wenn sich der allseits beliebte Augenarzt am Grün­donnerstag im Gottesdienst vor einer alten Frau niederkniet und ihr die Füße wäscht, dann bewegt das die Leute. Und sie verstehen die biblische Geschichte von der Fuß­waschung gleich viel besser."

Die Iraner lieben es bunt

Das zieht nicht nur die Leute aus dem Stadtteil und die Chöre an. Auch die Iraner lieben das Bunte, Feierliche im Gottesdienst. Schon seit den 1980ern treffen sich in der Gartenkirche die Exiliraner, die seit der Revolution von Ayatollah Khomeini nach Niedersachsen ausgewandert und Christen geworden sind. Die Hannoversche Landeskirche hatte schon damals die zentral gelegene Kirche für sie ausgewählt.

Als er neu war an der Gartenkirche, besuchte Pfarrer Dohrmann hin und wieder die iranischen Gottesdienste, er wohnt ja direkt nebenan. 2013 taufte er sogar einen jungen Iraner. Der kam anschließend zu ihm in den deutschen Gottesdienst – und machte bald als Messdiener mit. Andere folgten. So wuchsen die beiden Gemeinden in der Gartenkirche zusammen.

Mittlerweile erteilt Dohrmann auch den Taufunterricht für die konversionswilligen Iraner. Einmal, so erzählt er, habe er mit iranischen Frauen über die biblische Er­zählung von der Ehebrecherin gesprochen, die vor Jesus gebracht wird. Sie soll gesteinigt werden. Jesus sagt: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein." Niemand wirft – so steht es im Johannesevangelium. Eine Iranerin habe bei der Geschichte geweint, erzählt Dohrmann. Sie hatte Steinigungen im Iran erleben müssen. "Dass ein Mann so viel Verständnis für eine Frau aufbringe, das ­habe sie bewegt."

Man hilft sich

"Die Iraner wirken im Gottesdienst mit als Ministranten, bei der Küstervertretung und auch sonst", sagt Martina Niederlag, 60. Die frühere Professorin für Verwaltungsrecht engagiert sich als Kirchenvorstand: "Ich schreibe in unsere Whatsapp-Gruppe: Morgen, neun Uhr, brauche ich fünf Leute fürs Grillfest. Und fünf Minuten später sind die Zusagen da. Das sind die ersten Schritte: dass man etwas miteinander tut. Dafür muss man gar nicht so viel Deutsch können."

Umgekehrt hilft die Gemeinde den Iranern: mit Sprachkursen und Konversationsabenden, beim Anerkennungsverfahren, bei der Wohnungs- und Jobsuche. 2016 kam der iranische Ingenieur Keivan Ahmadi mit seiner Frau Sasanizadeh und zwei Kindern. Sie haben ihr luxuriöses Leben im Iran wegen ihres Glaubens aufgegeben und mussten wieder bei null anfangen. Eine kleine Wohnung haben sie schon. Die Eltern kämpfen mit der deutschen Sprache, die Kinder sprechen fließend. Am besten geht es dem Sohn Kasra, 19. Er macht nächstes Jahr sein Abitur, spielt ­Theater, besucht den Jugendkreis in der Gemeinde. "Die Kirche ist für meine Eltern ein Ort der Integration", sagt er.
Mittlerweile machen die Iraner ein Viertel der Gottes­dienstbesucher aus. Es ist bunter, lebendiger geworden. Auch lebhafter. Früher saßen Deutsche und Iraner beim Kirchencafé an getrennten Tischen. Jetzt mischt sich das.

Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind – da werden es in Hannover auch schon mal 300. Nicht alle weiß, nicht alle hetero, nicht alle deutsch, nicht alle mit Kirchensteuerbescheid. Aber zu­sammen im Namen des Herrn. So könnte sie aussehen, die ­Kirche der Zukunft.

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