Begrüßungsgeld: Die Lederjacke
Sophie Kirchner
"Die Jacke hab ich erst viel später gekauft"
Edda Hey, 65, hat mal ausgeholfen in einem türkischen Laden. Da fand sie das gute Stück
Julia Steinigeweg
20.09.2019

Damals war ich 35 und arbeitete im Bahnhof Schönefeld in einem großen Speiserestaurant von der Mitropa. Ich hatte vorher noch meinen Kellner gemacht, so einen Facharbeiterbrief. Das war genial, nur früh und tagsüber arbeiten, keine Nachtschicht, und ich habe gutes Geld verdient.

So eine Jacke hätte es zu DDR-Zeiten nicht gegeben

Wir sind am 25.11.89 das erste Mal rüber, nach Lichtenrade, zusammen mit unseren beiden Kindern. Im Bus habe ich mich total unwohl gefühlt, das weiß ich noch. Wir sind über die Stadtgrenze von Westberlin, und plötzlich gab es da Straßenlampen überall, es gab Wege, man sah, wo man langfuhr, wo die Straße langging! Und es war so, als würde man plötzlich alles hell und in Farbe sehen.

Die Jacke habe ich aber erst viel später gekauft. Wir waren in Berlin-Mariendorf unterwegs, und da war ein Laden, der eine Aushilfe suchte. Also habe ich da acht Stunden gearbeitet, an diesem einen Tag, als Aushilfe. Der hatte wirklich alles, wie die Vietnamesen. Auch Lederjacken. Tage später bin ich dann noch mal hin und habe mir eine gekauft. Sie hat um die 90 DM gekostet. Diese Jacke hätte es zu DDR-Zeiten schon gar nicht gegeben, diese Machart.

Der Laden wurde von einem Türken betrieben. "Der Türke" war in Westdeutschland ja nicht so viel wert. Und dann kam plötzlich "der Ossi" dazu, und der war noch weniger wert! Die haben mich nicht schlecht behandelt, sie waren sehr nett zu mir, aber irgendwie war diese Kultur für mich fremd, die Türkei.

Wir waren damals schon privilegiert

Mein Leben war bis dato total geordnet und geplant, und dann kam sowas! Und ich dachte nur: "Eigentlich willst du das gar nicht, eigentlich willst du den Kapitalismus gar nicht." Es war nicht alles gut, aber man konnte sich in der DDR gut durch die Gegend schlängeln. Wir waren damals schon privilegiert, daher hatte ich auch nichts vermisst. Mein Mann arbeitete bei Interflug. Im Frühjahr und Herbst flogen wir nach Budapest zum Einkaufen, mit zwei Kindern, und ich hatte auch immer vernünftige Jeans auf dem Hintern. Sogar Kassetten von Michael Jackson besaß ich!

Julia Steinigeweg

Sophie Kirchner

Sophie Kirchner, ­geboren in Ostberlin, war fünf Jahre alt, ­als die Mauer fiel. Die ­Erwachsenen um sie herum, sagt sie, seien damals so glücklich, so euphorisch gewesen – ­das habe ihr Angst gemacht. Seit 2014 ist das Begrüßungsgeld ihr Thema, sie fotografiert Ostdeutsche und deren Käufe – und fragt danach, was sie ­erlebt haben.

Es gab viele Dinge, die damals besser waren als heute. Warum kämpften die Frauen nach der Wende nicht dafür, dass sie einen Haushaltstag bekamen? In der DDR gab es einen Haushaltstag, einen bezahlten arbeitsfreien Tag im Monat, für Frauen. Also zwölf Tage im Jahr. Und diese Kindergärten heute...  Meine große Tochter war mit anderthalb Jahren sauber! Heute sehe ich Kinder, die mit drei oder vier Jahren noch Windeln tragen. So was finde ich beschämend! Damals hat sich jemand mit den Kindern beschäftigt und sich um sie gekümmert. Sie sind versorgt und erzogen worden. Und jetzt? Ich habe eine Enkeltochter, die möchte heute nicht mehr Danke sagen, wenn sie was kriegt. Das finde ich unverschämt.
 

Was würden Sie sich heute kaufen, wenn Ihnen der Staat 100 Euro schenken würde?

Wenn ich eins gelernt habe, dann dass Geld nicht glücklich macht. Es beruhigt, aber nicht mehr. Ich würde das Geld meinen Enkeln schenken.

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