Schwieriges Erbe
Mit dem Trauma der Eltern umgehen: Diese Bürde tragen viele Kinder (Symbolbild)
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Trauma der Eltern
Schwieriges Erbe
Von den Eltern erbt man nicht nur Porzellan, sondern auch Ängste und Lebensgefühle. Im Interview erklärt Therapeutin Katharina Drexler, wieso Traumatas vererbt werden – und wie Kinder und Enkel damit umgehen können
Tim Wegner
29.05.2019
3Min

chrismon: Viele Menschen haben mit ihren Kindern nicht darüber gesprochen, was sie im Krieg erlebt haben. Geben sie die Erfahrungen trotzdem an ihre Kinder weiter?

Katharina Drexler: Es vermitteln sich auch Erfahrungen, über die geschwiegen wird. Zum Beispiel dadurch, dass die Mutter abrupt das Fernsehprogramm wechselt oder der Vater bei einem Thema Löcher in die Decke starrt. Die Kinder füllen das Ausgesparte mit eigenen Fantasien.

Katharina Drexler Privat

Katharina Drexler

Katharina Drexler ist Ärztin für 
Psychiatrie, 
psychosomatische 
Medizin und 
Psychotherapie. 
Sie arbeitet als Traumatherapeutin in Köln. 2018 
erschien ihr Buch "Ererbte Wunden heilen" im Verlag Klett-Cotta.

Wie äußern sich solche ererbten Traumata?

Etwa durch Alpträume, oder man erinnert sich plötzlich so intensiv an etwas, als hätte man es selbst erlebt. Auch durch Ängste, Lebens­gefühle oder Selbstüberzeugungen, die sich mit dem verknüpfen, was die Eltern erlebt haben.

Was sind Selbstüberzeugungen?

Zum Beispiel, dass man von sich selbst denkt, man sei ein Egoist. Um diesem Gefühl entgegen­zuarbeiten, opferte sich eine Patientin für ­Menschen in Not extrem auf. Es stellte sich ­heraus, dass ihr Vater als Sechsjähriger ­während des Krieges eines Nachts aufwachte und ­alles brannte. Er rannte barfuß zum Bunker – 
ohne sich um seine Eltern zu kümmern. ­Danach war er überzeugt, ein Egoist zu sein. ­Diese Selbsteinschätzung hatte die Tochter ­ererbt, ­obwohl der Vater diese so nie geäußert hat.

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Können sich Erfahrungen auch auf die Enkel übertragen?

Das kann sein, lässt sich aber schwer nach­weisen. Belastende Erfahrungen können zu strukturellen Veränderungen im Gehirn ­führen und sich bis auf die Ebene der Gene aus­wirken. Kanadische Forscher haben Gehirne von Selbstmördern untersucht, bei denen bekannt war, dass sie als Kinder Gewalt er­fahren hatten, sexuell missbraucht oder vernach­lässigt worden waren. Bei allen war ein Gen in einem bestimmten Gehirnareal ausgeschaltet.

Lässt sich das heilen?

Durch Psychotherapie kann man vieles beeinflussen, auch im fortgeschrittenen Alter. Aber nicht alle erben ein Trauma, manche haben die belastende Erfahrung selbst erlebt. Eine Patientin etwa vermutete, dass sie von ihrer Mutter eine Depression geerbt hat. Es zeigte sich, dass sie sich als Mädchen sehr abgekämpft hatte, um die Mutter in ihren depressiven Phasen zu erreichen. Ihre eigene Niedergeschlagenheit ­resultierte aus dieser Erfahrung.

Hilft es, die Orte der Kindheit zu besuchen?

Klar, manchmal gibt es ja auch eine Tante, die noch etwas weiß. Die ererbten Wunden lassen sich aber auch mit wenig Wissen heilen.

Manche Menschen haben eine schlechte Kindheit und führen später ein gutes Leben. Andere scheitern. Wovon hängt das ab?

Wenn Eltern mehrere Kinder haben, über­nehmen einige – die, die sich eher einfühlen können – die Traumata, die anderen eher nicht. Auch genetische Faktoren spielen ­eine Rolle und ob einem selbst ebenfalls ein Trauma zustößt.

Wie kann man sich wappnen?

Wenn man eine ererbte Wunde entdeckt, sollte man sie behandeln und eine Therapie machen. Das nimmt oft sehr den Druck. Bei allen psychischen Herausforderungen hilft es, sich Unter­stützung bei Freunden zu holen, Sport zu treiben, sich gesund zu ernähren, viel in der Natur zu sein.

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Mir erscheint dies nebulös und leicht esoterisch.
Jeder wächst unter seinen Bedingungen auf, die prägen ihn und beeinflussen die Verwirklichung seiner Anlagen.
Die Suche nach den "echten" Erzeugern und dem Leben der Vorfahren ist mit unverständlich; eine Scheinbeschäftigung.

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Traumata können nicht vererbt werden. Wer so was sagt, wendet den Begriff falsch an. Was aber möglich ist, das ist, ein unfreiwillig verinnerlichtes Verhalten weiterzugeben. Typisch dafür die Kriegsgenerationen, die ihre Erlebnisse und Enttäuschungen zu abweisend stillen Menschen gemacht haben. Sie waren dann in der Erziehung ihrer Kinder nicht mehr zur Fröhlichkeit, zum Optimismus in der Lage. Die militärische Strenge, der Gehorsam und die soldatische Kumpelhaftigkeit sind für eine kindliche Erziehung nicht geeignet. Von diesen Traumata als eine über viele Generationen vererbbare Eigenschaft zu sprechen, sprengt jede Vorstellung.

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wird das Meiste! Und zwar von der engsten Bezugsperson. Das wird in der Regel die Mutter sein, denn das hat die Natur so vorgegeben.
Karl Valentin meinte doch schon: " Kinder erziehen braucht man gar nicht, die machen eh alles nach!"

Das passt aber nicht zum aktuellen Feminismus. Aber wenn eine Gesellschaft die grundlegensten Zusammenhänge nicht erkennen will, geht sie halt unter.
"Die Sünden der Väter, werde ich heimsuchen an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied!" Ich vermute, im hebräischen Text war die Bedeutung etwas anders als in unserer Übersetzung. Ich sehe das als familienpsychologische Aussage. Damals war aber eine patriarchale Gesellschaft und so mussten die Männer die Verantwortung übernehmen, welche eigentlich die Mütter tragen.

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Ich verstehe nicht, wenn eine Fachfrau das sagt. Ein Traumata ist eine persönliche Erfahrung, die man weitergeben, aber niemals vererben kann. Als 8-Jähriger wollte ich mal eine angefahrene Katze mit einem Knüppel von ihren Qualen erlösen. Der Ast war morsch und es war minus 10 Grad. Ich hab sie in den Bach geschubst. Ihren Blick habe ich 75 Jahre nicht vergessen. Ich war ihr gutwilliger Mörder. Ein Traumata, aber zum Glück nicht vererbbar. Wenn was vererbbar sein könnte, dann ist es die Sensibilität, aber nicht deren Folgen.

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