RfE - Ist die Bibel lustfeindlich?
RfE - Ist die Bibel lustfeindlich?
Lisa Rienermann
Ist die Bibel lustfeindlich?
Die Bibel eignet sich nicht als Lehrbuch in Sachen Sexualität. Und man sollte dem alten Buch auch nichts unterschieben, wovon darin keine Rede ist.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
29.04.2019

Vorgelesen: Religion für Einsteiger "Ist die Bibel lustfeindlich?"

Onanie – gab es damit nicht schon in der ­Bibel Ärger? Onan ist ein Mann aus dem Alten Testament, der seinen Samen auf den Boden fallen lässt. Er wird dafür bestraft. Wer auch immer das Wort Onanie erfand, er nahm an, Onan ­habe masturbiert, und die Bibel werte das als Sünde. Ein Irrtum.

Tatsächlich geht die Geschichte in 1. Mose 38 so: Onans Bruder stirbt ­ohne Nachkommen, seine Schwägerin Tamar ist kinderlos. Nach altorientalischem Recht muss der Schwager einspringen und für legitime Erben sorgen. Onan verweigert sich dieser Pflicht. Er hat zwar Sex mit Tamar, verwehrt ihr aber seinen Samen. Er lässt seine Schwägerin im Stich. ­Darin besteht seine Sünde. Von Selbstbe­friedigung ist gar nicht die Rede.

Kein Lehrbuch in Sachen Sexualität

Es gibt mehr solcher Irrtümer. Etwa dass Paulus Homosexualität verurteile. Tatsächlich schrieb der Apostel von Lustknaben und Knabenschändern: Ein älterer Mann nötigt einen Sklaven oder einen Jungen, ihn zu befriedigen. Paulus verurteilte, dass jemand Macht über einen Schwächeren ausübt und ihn demütigt – nicht aber das, was wir heute unter einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft verstehen: von gleichwertigen Partnern, die einander vertrauen und füreinander einstehen.

Man sollte der Bibel nichts unterschieben, wovon in ihr nicht die Rede ist. Man kann sie auch nicht einfach so als Lehrbuch in Sachen Sexualität zurate ziehen. Sie spiegelt oft archaische Verhältnisse wider. Ihre Erzählungen stammen aus Gesellschaften, in denen Frauen weitgehend rechtlos ­waren. Ehen waren Verträge zwischen ­Männern. Die Frau war auf Schutz und Wohlwollen ihres Gatten angewiesen, der sie hoffentlich vor den Nachstellungen anderer Männer bewahrte. War er selbst ihr Verge­waltiger, hatte die Frau kaum eine Chance, ihm zu entkommen. Viele biblische Geschichten muss man so verstehen: als schonungslose Dar­stellungen einer grausamen Welt. Wer die Augen aufmacht, weiß: Vieles davon ist heute noch Realität.

Die Bibel ist alles andere als lustfeindlich

Umso aufmerksamer darf man biblische Regeln und Poesie lesen, die der Grausamkeit etwas entgegen­setzen. Jesus verbot die Ehescheidung (Matthäus 19) und stärk­te die Rechte der Frauen. Nur ein Mann konnte damals die Ehe auflösen – und so seine Frau recht- und mittellos machen.

Wenn der Apostel Paulus darüber hinaus völlige sexuelle Enthaltsamkeit empfahl, ist das für biblische Verhältnisse ungewöhnlich radikal (1. Korinther 7). Paulus forderte Selbstbeherrschung ein. Und wem das zu viel war, der sollte eben hei­raten. Sex in geordneten Bahnen.

Ansonsten ist die Bibel alles andere als lustfeindlich. Von Anfang an beschreibt sie den Menschen als geschlechtliches Wesen, "männlich und weiblich" geschaffen. "Adam erkannte Eva", "Kain erkannte seine Frau" und "Elkana erkannte Hanna". Im Klartext: Sie hatten Sex. Sie sahen einander unverhüllt. Jede Scham fiel, und sie erkannten ihr Gegenüber. Manche Ausleger sagen, im hebräischen Wort für "erkennen" schwinge noch mehr mit: Dass man aufeinander achtgibt und sich kümmert.

Ziemlich explizite Verse

Ein ganzes biblisches Buch widmet sich der erotischen Fantasie: das Hohelied Salomos. Frühere Theologen ­mögen die Gedichte verschämt umgedeutet haben, auf das Verhältnis der Gläubigen zu Gott. Sie sagten, im Hohe­lied gehe es um den Glauben und weniger um körperliche Liebe.

Dabei sind die Verse ziemlich explizit. Eine Frau schmachtet: "Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes . . . Seine Linke liegt unter meinem Haupte, und seine Rechte herzt mich." Ihr Freund antwortet: "Rund sind ­deine Schenkel wie zwei Spangen . . . Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Deine beiden Brüste sind wie zwei Kitze, Zwillinge einer Gazelle."
Alles dreht sich um leidenschaftlichen Sex. Und um Liebende, die einander achten. Mann und Frau sind ebenbürtig, sie kommen gleicher­maßen zu Wort. "Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme . . . Wenn einer alles Gut in seinem Haus um die Liebe geben wollte, würde man ihn verachten?" Bestimmt nicht.

Permalink

Es ist begrüßenswert, dass in diesem Artikel mit manchen Irrtümern aufgeräumt wird. Allerdings unterliegt Burkhard Weitz beim Thema Homosexualität selbst einem Irrtum. Tatsächlich hat Paulus nicht von "Lustknaben und Knabenschändern" geschrieben. Luther hat dies leider falsch übersetzt. Im griechischen Text steht hier tatsächlich: "Lasst euch nicht irreführen! Weder Unzüchtige noch ... mit Männern verkehrende Männer...werden das Reich Gottes ererben." Ebenso auch in 1. Tim. 1, 10. Quelle: Dietzfelbinger Interlinearübersetzung Griechisch/Deutsch. Des weiteren verweise ich auf die Ausführungen im Römerbrief Kap. 1. Von Gewalt und Unterdrückung im Zusammenhang von Homosexualität ist in diesen Bibelstellen überhaupt keine Rede, sondern nur von Sünde.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Motorrad aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.