Illustration, Titelgeschichte chrismon Januar-Ausgabe - Wie Städte fußgänger- und radfahr-freundlich werden können
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Verkehrswende
Bitte wenden!
Die Stadt ist für Autos eingerichtet. Aber Fußgänger und Radlerinnen wollen auch vorankommen und sich dabei sicher fühlen. Wir haben Beispiele aus Deutschland und der Welt, was gut funktioniert - für alle
Tim Wegner
19.12.2018
14Min

Die Frau spricht Klartext: "Der Weg in eine bessere Zukunft kann mit so etwas Simplem wie einem Radweg beginnen." Das sagt Janette Sadik-Khan, die als Leiterin der Verkehrsbehörde in New York City eine Verkehrswende herbeigeführt hat. Jetzt sieht sie ­sogar Kinder, Frauen, ganze Familien mitten in der Großstadt radeln – und freut sich.

Undenkbar vor zehn Jahren, da überlebten nur Extremsportler das Radfahren durch diesen Moloch. Sadik-Khan stand vor einem gewaltigen Problem: New York würde bald um eine weitere Mil­lion Einwohner wachsen, und die dürften auf keinen Fall alle Auto fahren wollen. Nein, die Menschen müssen sich anders fortbewegen können, entschied sie: radelnd, zu Fuß, im Bus. Und das muss leichter werden als bisher.

Also verteilte die oberste Verkehrsplanerin den Straßenraum um: Sie verschmälerte Auto­spuren, nahm auch mal ganze Fahrbahnen weg, legte ein Netz von Radwegen an, erhöhte die Zahl der Expressbuslinien, gab den Bussen eigene Spuren und den Gehenden rund 60 neue attraktive Plätze, sogar ein Teil des Broadways wurde verkehrsberuhigt.

Nimm Autos Spuren weg, und der Verkehr fließt besser

Verkehrschaos? Das Gegenteil passierte: Die Stimmung auf den Straßen veränderte sich – es ging entspannter zu, die Unfallzahlen halbierten sich. Und die Autos kommen schneller voran, die Fahrzeiten sinken, in der Columbus Avenue sogar um 35 Prozent, trotz weniger oder schmalerer Spuren. Weil der Verkehr gleichmäßiger fließt, ohne hektische Überhol- und Bremsmanöver.

Die Radelnden fahren zwar auf der Straße, aber nicht im Strom der Autos, sondern abgetrennt mit schraffierter Sperrfläche, mit Pollern oder Pflanzkübeln. Mittlerweile sind diese "Protected bike lanes" Standard für Hauptverkehrsstraßen in den USA. Und sie sind immer so breit, dass Radfahrende einander stressfrei überholen können.

Denn warum soll in den Städten immer nur der Autoverkehr fließen können? Warum müssen sich Radelnde und Gehende dünnemachen, während Autos überall herumstehen dürfen? Ist das nicht ungerecht?

Es ist nicht nur ungerecht, es ist auch schlecht für die Umwelt. Eigentlich sollte das CO₂ aus den Auspuffrohren schon um 40 ­Prozent gesunken sein (Lesen Sie auch das Dossier "Alles was man wissen muss") Stattdessen ist der Ausstoß heute genau so hoch wie 1990. Die Autos haben zwar effizientere Motoren als damals, aber fahren mehr und sind schwerer – jeder fünfte Neuwagen ist sogar ein SUV oder ein Geländewagen. Und jedes Jahr steigt die Zahl der Fahrzeuge in Deutschland um eine weitere Million. So kann man die Klima­erhitzung nicht aufhalten.

Verkehrswende? Der aktuelle Bundesverkehrsminister von der CSU mag das Wort nicht, es klinge so rückwärtsgewandt.

Man kann das auch anders sehen. "Wer glaubt, sich im 21. Jahrhundert über Radverkehr und Fußverkehr lustig machen zu können, der hat gar nicht begriffen, wie eine moderne Mobilität aussieht", sagt Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

Viele wünschen sich weniger Autos. Und fahren selbst Auto

90 Prozent der Deutschen haben durchaus Sehnsucht nach einem Leben, in dem man nicht so stark auf das Auto angewiesen ist. ­Das ergab eine Umfrage des Bundesumwelt­­minis­teriums. Dass Schulkinder sich auch ohne ­Eltern im Straßenverkehr frei bewegen können, wünschten sich gar 97 Prozent in ­einer Befragung in Baden-Württemberg.

Die meisten dieser Befragten fahren selbst oft mit dem Auto. "Eltern fahren ihre Kinder mit dem Auto zur Schule, damit diese nicht von Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fahren, umgefahren werden." Das steht so auf einem Plakat des Verkehrsclubs Deutschland (VCD).

Natürlich gibt es Situationen, in denen man ein Auto oder ein Taxi braucht – weil man gesundheitlich angeschlagen ist oder ein Regal transportieren will oder in einer dünn be­siedelten Region lebt, wo außer dem Schulbus nichts fährt und auch keine Mitfahrgelegenheit aufzutreiben ist.

Viele Autostrecken kann man zu Fuß, per Rad erledigen

Aber jede fünfte Auto­fahrt in Deutschland ist kürzer als zwei Kilometer. Und etwa jede zehnte Fahrt ist sogar kürzer als ein Kilo­meter. "Erschütternd", nennt das die Chefin des Umweltbundesamts, Maria ­Krautzberger.

Insgesamt ist knapp die Hälfte aller Autostrecken kürzer als fünf Kilometer. Ein ­großer Teil des Autoverkehrs ließe sich also zu Fuß oder mit dem Rad oder mit dem E-Bike zurücklegen. Zur Erinnerung: Für einen Kilometer zu Fuß braucht man 15 Minuten, mit dem Rad vier.

Die Stadt Wien ist da schon weit: Man hat den Autoverkehr geschrumpft. Es gibt so gut wie kein kostenloses Parken mehr, und fast überall gilt Tempo 30. Dafür kann man die Jahreskarte für die allseits geschätzten "Öffis" für 365 Euro kaufen. Im viel kleineren Frankfurt kostet die ÖPNV-Jahreskarte 891 Euro.

Die Wiener Fußverkehrsbeauftragte hat die besten Gehrouten in einem kostenlosen Stadtplan markiert und lässt jetzt mit ­blauen Schildern all die versteckten Schleich­wege und Abkürzungen durch Häuserblocks ­markieren, die sonst nur die nächsten Anwohner kennen. Eine Wien-zu-Fuß-App gibt es natürlich längst.

Autofahrer überschätzen, wie lang es zu Fuß dauert

Warum nur fahren so viele hierzulande so kurze Strecken? Weil sie überschätzen, wie lange ein Weg zu Fuß oder mit dem Rad dauert, und unterschätzen, wie viel Geld und Zeit Autofahren kostet, sagt der Dresdner Verkehrspsychologe Jens Schade. Gewohnheitsfahrer würden nur bei drastischen ­Änderungen ins Nachdenken kommen. Wenn zum Beispiel Kosten um 30 Prozent steigen.

London traute sich so was. Die Stadtregierung bestraft das Autofahren per City-Maut. Gleichzeitig baut man Radschnellwege für Pendler und Pendlerinnen, verdichtet das ÖPNV-Netz, pflanzt Bäume für attraktivere Fußwege. "Heal­thy streets for London", das ist der Plan, gesunde Straßen mit guter Luft.

Aus purer Not. Wenn die Stadt nicht gut funktioniere, sei sie nicht mehr wettbewerbsfähig in der Welt, sagt der Bürger­meister. Lauft und radelt, sagt er, mindestens 20 ­Minuten am Tag! Derzeit bewege sich nur ein Drittel der Bevölkerung so viel. Die Stadt hat ausgerechnet, wie viele Hüftgelenks­brüche, Demenzen, Depressionen und vorzeitige Tode den Menschen erspart blieben. Jüngst wurden in der Rushhour zwischen acht und neun Uhr erstmals mehr Räder als Autos in der City ­gezählt.

Fußgängerfreundlichkeit gilt mittlerweile als Wettbewerbsvorteil. Städte, in denen viele zu Fuß gehen oder radeln, sind beliebt. ­Zürich, Helsinki, Wien, Kopenhagen . . . Solche ­Städte haben einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr und ein komfortables Wegenetz für Radelnde und Gehende. Auch Hongkong wetteifert nun darum, die weltweit am besten begehbare Stadt zu werden.

Frauen gehen mehr als Männer

Natürlich gehen auch Deutsche zu Fuß. Frauen mehr als Männer. 22 Prozent der Alltagswege werden zu Fuß bewältigt, mit ­sinkender Tendenz.

Man könnte sich doch freuen wie ein Hund: Jepp, ich darf raus! Allerdings ist ein flüssiges Gehen selten möglich, man muss sich regelrecht durchschlagen. Gehsteige sind Resterampen – für Straßenschilder, die sich an Autofahrende richten, für Pollerpfosten, Streugutkisten, Werbeaufsteller . . .

Und wo bitte soll man über die Straße kommen? Wer sich aus eigener Kraft fortbewegt, ist empfindlich für Umwege und will nicht bis zur nächsten "Querungsanlage" tippeln.

Dabei sind Gehende die Zukunft! Man sollte ihnen Teppiche ausrollen. Zum Beispiel in Form von Zebrastreifen: Wenn die denn beleuchtet und die Fußgänger schon von ­weitem sichtbar sind, also nicht verdeckt durch ­parkende Autos, sind sie sogar sicherer als "Bettelampeln" mit ihrer langen Wartezeit.

Rund 35 000 Menschen werden jedes Jahr in Ortschaften schwer verletzt. Eine mitt­lere Stadt. Die meisten waren zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Die Zahl sinkt seit Jahren nicht mehr weiter.

"Sofortgrün" für Gehende

Alle 50, spätestens 100 Meter ein Zebra­streifen, das wär’ was! Und an vielspurigen Straßen Ampeln mit "Sofortgrün", wie sie Graz erprobt hat. Denn spätestens ab 40 ­Sekunden rennen die Ersten bei Rot rüber. Man sitzt schließlich nicht in einer klima­tisierten Kiste, sondern steht draußen, in Lärm, Abgaswolken und Wetter.

Kopfschüttelnd stoppte denn auch Bernd Herzog-Schlagk vom Fachverband FUSS e. V. die Wartezeit an einer Fußgängerampel in Chemnitz: 58 Sekunden! Er war von der Stadt für einen mehrtägigen "Fußverkehrscheck" eingeladen worden. Chemnitz fehlen zum Beispiel angenehme und erkennbare Verbindungswege zwischen Innenstadt und angrenzenden Vierteln. Auch die Fußgängerzone ­endet abrupt. Probleme, die viele Städte haben.

Gut, dass der Checker auch mal im Winter da war: Im Schnee sah man die Wege, die Fußgänger bevorzugen. Oft mussten sie sich die erst "ertreten", etwa durch Schneewälle, die die Straßenräumfahrzeuge am Rand der Gehsteige aufgeschippt hatten.

Schneeräumung zuerst auf Rad- und Fußwegen, so was scheint nur in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen selbstverständlich zu sein. Überhaupt: sichere Radwege!

Aber selbst im Radparadies Niederlande sind die tollen Wege nicht vom Himmel gefallen. Sie wurden erstritten, mit Massenprotesten in den 70ern. Die Bürgerinnen und Bürger waren empört über den wachsenden Autoverkehr, der so viele Menschen umbrachte und so viel Fläche beanspruchte. Dazu kam der Ölpreisschock. Regierung und Städte beschlossen, Radwege zu bauen – verlockend breit, getrennt vom Autoverkehr. Bald radelte nahezu jeder und jede, egal welchen Alters.

Gute Wege machen Radler höflich

Ein Genuss, auf solchen Wegen dahinzu­segeln. Endlich ist man mal nicht die schwächs­te Haselmaus am Ende der Nahrungskette. Selbst in Kopenhagen, wo man in riesigen Trauben über die Kreuzung radelt, achten alle aufeinander. Gute Infrastruktur ruft gutes Benehmen hervor.

Für Gehende hingegen sind das Paradies die "Begegnungszonen" in der Schweiz. Selbst Verkehrsknotenpunkte werden mit drei einfachen Regeln zu attraktiven Stadtplätzen: Tempo 20, Fußgänger haben Vortritt, dürfen den motorisierten Verkehr aber nicht un­nötig behindern. Die Stadt Biel hat sogar ihren ­geschäftigen Zentralplatz umgestaltet, und da sind wirklich viele Busse, Autos und Fußgänger unterwegs!

Nun schleichen die Autos – und kommen trotzdem gut voran, weil sie weder abrupt bremsen, noch an Zebrastreifen oder Ampeln warten müssen. Eine Atmosphäre wie auf einem Eisplatz, wo alle umsichtig und elegant umeinander herumkurven. Warum können die Schweizer das und wir nicht?

Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen - davon hätten alle was

In Deutschland fordern die Städte seit langem von den jeweiligen Bundesverkehrsminis­tern, auch an Hauptverkehrsstraßen Tempo 30 anordnen zu dürfen. Dürfen sie aber nicht. Nur im Ausnahmefall und nach mühseliger Prozedur – an Schulen oder Altenheimen etwa. "Dabei wäre Tempo 30 ein riesiger Dienst für die Verkehrssicherheit", sagt Detlev Lipphard vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat.

Und wer kontrolliert, dass tatsächlich 30 gefahren wird? Kein Problem. Man stelle ein Dialog-Display an die Straße: "Danke" liest man darauf, sieht einen grünen Smiley oder ein roten Heuli oder ein Kindergesicht. Diese Zeichen funktionieren richtig gut, wie die Unfallforschung der Versicherer herausgefunden hat, viel besser als die bloße Anzeige des Tempos.

Aber bei Tempo 30 kommt man vollends nicht mehr voran mit dem Auto! Irrtum. Das zeigen Untersuchungen von Hauptstraßen, wo man versuchsweise Tempo 30 eingeführt hat. Die Autos brauchten allermeist nicht mehr Zeit oder nur geringfügig mehr. Den Verkehrsfluss stören nämlich ganz andere Dinge: einparkende Autos, heftiges Beschleunigen oder Bremsen, Parken in zweiter Reihe, schlecht koordinierte Ampeln.

Wenn das Verkehrsministerium nichts tut, außer ein paar kleine Modellprojekte zu bezahlen, wie soll es dann je zu einer Verkehrswende kommen?

Hoffnung geben die Initiativen zum "Volksentscheid Fahrrad". In ­Berlin war man schon erfolgreich – der Berliner Senat übernahm die ­meisten Forderungen und verabschiedete ein Gesetz: Priorität hat jetzt eine umwelt- und stadtverträgliche Mobilität. Und zwar für Kinder wie Alte, Fitte wie gesundheitlich Eingeschränkte. Nun sammeln Initiativen in ­weiteren Städten und Regionen Unterschriften.

Viele Menschen sind bereit für eine Verkehrswende

Vielleicht sind mehr Menschen bereit für eine Verkehrswende, als die Regierung denkt? Wenn es Anreize gibt, ein bisschen Zwang, viele Ausprobiermöglichkeiten. Und Vorbilder – Leute, die sagen: Guck mal, ich mach das so, und das geht wunderbar. Empfehlungsmarketing nennt man das.

So ein motivierendes Vorbild ist der ­radelnde Installateur Theodor Röhm. Der Chef eines Betriebs für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik in Bremen fährt seit 2001 per Lastenrad zum Einsatzort, bepackt mit Werkzeug. Die Heizkessel und Badewannen liefern Großhändler an. Anfangs fand er keine Mitarbeiter, die es ihm gleichtun wollten, also bildete er selbst aus. Der Betrieb floriert.

Ein vernünftiges E-Lastenrad kostet an die 3500 Euro. (Wirklich vernünftig wird es natürlich erst mit Ökostrom.) Mehrere Städte fördern den Kauf – und sind überwältigt vom Interesse. In Berlin war der Fördertopf innerhalb weniger Stunden ausgeschöpft. In ­Stuttgart stockte man den Topf gleich auf, damit niemand leer ausging. Die autodurchflutete, hügelige Stadt spendiert Familien (inklusive Alleinerziehenden) bis zu 2000 Euro Zuschuss für ein E-Las­tenrad. Einen Teil der Summe gibt es aber erst nach drei Jahren, wenn kein Auto angemeldet oder das vorhandene abgemeldet wurde.

Braucht man wirklich ein eigenes Auto? In München bietet die Wohnungsgenossenschaft Wogeno in einer Anlage einen ganzen Fuhrpark – ÖPNV-Monatskarten, E-Autos, Las­tenräder . . . Weniger als die Hälfte der Haushalte hat ein Auto, das ersparte den Bau vieler teurer Garagenplätze. Und immer mehr Leute geben ihr Auto auf, nachdem sie die Alternativen ausprobiert haben, erzählt Verwalterin Claudia Beutel. Neulich sagte ihr ein Bewohner: "Bloß wegen meiner zwei Italienreisen im Jahr brauche ich doch kein eigenes Auto."

Radfahren mit Baby geht und ist erlaubt

Ausprobieren ist wichtig. Zum Beispiel für junge Eltern, die sind oft ratlos. In Leipzig dürfen Erwachsene mit Säugling ein Jahr lang in Bus und Straßenbahn kostenlos fahren – das kommt an, und nicht wenige bleiben dabei. Auch Hannah Eberhardt von der Agentur "Verkehr mit Köpfchen" stieß auf großes Interesse bei jungen Eltern, als sie auf Stadtfesten zeigte, wie ein Babyeinsatz in Radanhängern oder Lastenrädern befestigt wird. Ja, man kann und darf auch mit Baby radfahren, sagt sie. Die jungen Eltern waren angetan. Aber manchen sind die Radwege zu unsicher.

Stimmt ja auch: Radelnde finden in Deutschland meist einen unzumutbaren Flickenteppich aus zusammenhanglosen und zu schmalen Radwegen vor. In den 80er ­Jahren hatten die Verkehrsplaner vielerorts die Gehwege halbiert und eine Hälfte als ­Radweg ausgewiesen. Seitdem streiten sich Gehende und Radelnde.

Später hat man mit weißem Strich auf der Straße eine schmale Radspur markiert. So ­werden Radelnde besser gesehen. Aber viele fühlen sich trotzdem gefährdet. Denn nur ­wenige Autofahrende wissen, dass sie trotz Strich mindestens 1,50 Meter Abstand halten müssen. Sagen die Gerichte einhellig. Logisch, man pendelt beim Radeln. Manche Radler klemmen sich eine 1,50 Meter lange Schwimmnudel aus Schaumstoff auf den Gepäckträger. Nicht gerade alltagstauglich, wirkt aber.

Es gibt eine einfache Frage, um die Qualität von Radwegen zu checken: Würde man da sein elfjähriges Kind radeln lassen?

Riesige SUV machen Radelnden Angst

Ein riesiger SUV oder ein Sattelschlepper in Ellbogenreichweite – "gruselig", sagt ­Stephanie Krone vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), "die Masse der ­Menschen will so nicht radfahren". Auch Krones Physiotherapeutin nicht, eigentlich eine unerschrockene Frau. Ja, auf dem Gehweg würde sie fahren. "Und warum? Weil der baulich abgetrennt ist vom Autoverkehr", sagt Stephanie Krone.

Solche "geschützten Radstreifen" kann man leicht auf der Straße einrichten – ähnlich wie in New York mit schraffierter Abstandsfläche und Pollern. Aber oft muss man dafür den Autos Platz wegnehmen. Wer wagt das? Deutschland steht da ganz am Anfang. ­Osnabrück hat im September den ersten "geschützten Radstreifen" eröffnet, leuchtend rot, Berlin einen grünen im November. Aber sonst?

Kein Wunder, dass der Radverkehrsanteil stagniert. 2008 haben die Deutschen zehn Prozent ihrer Wege mit dem Rad zurückgelegt, zehn Jahre später sind es elf Prozent.

Zwei Drittel der Menschen würden gern radeln

Dabei würden zwei Drittel der Menschen gerne radeln, das weiß man aus Befragungen. Sie tun es nicht, aus Angst. Was für ein Potenzial für eine Verkehrswende!

Baut die Straßen fuß- und radfreundlich um, und die Menschen werden gehen und radeln. Diese Erfahrung haben schon viele Städte gemacht, die eine Verkehrsachse beruhigt haben. So wie das Limmatquai in Zürich. Wie viele Leute sich auf einmal einfanden!

Menschen sind gern da, wo sie ungestört gehen, stehen, sitzen, gucken können und zwar ohne Konsumzwang. Und wo Leute sind, kommen noch mehr Leute herbei. "Die größte Attraktion der Stadt sind die Menschen", sagt Jan Gehl, der Stadtplaner, der Kopenhagen zu der Stadt gemacht hat, die sie heute ist.

Aber bitte nicht zum fünften Mal die Innenstadt runderneuern und noch mehr Konsumentenrennbahnen anlegen namens Fußgängerzonen! Bitte auch unspektakuläre Straßen gut gestalten!

Denn wie sieht es in den nicht so prominenten Stadtteilen aus? Viele Gehwege sind zu eng. Schließlich sind die meisten Menschen mit "Anhang" unterwegs – mit Taschen, Kinderwagen, Hund, Schirm, ­Rollator, ­Rollkoffer. Da braucht man mindestens 90 Zentimeter. Damit zwei Menschen aneinander vorbeikommen und der eine nicht mit dem Ellbogen in den Verkehr ragt und der andere sich nicht die Hand an der Hauswand aufschürft, sind 2,50 Meter Gehwegbreite nötig. In Nebenstraßen. Deutlich mehr natürlich in Geschäftsstraßen.

Die meisten Gehwege sind zu schmal

So steht es in den Richtlinien für die An­lage von Stadtstraßen. Die stellen den Stand von Wissenschaft und Technik dar, man sollte sich also tunlichst daran halten. "Aber die meisten Städte und Kommunen verstoßen dagegen", sagen die Fachleute vom Verein FUSS.

Und viele Städte dulden auch noch das Parken auf Gehwegen. In Darmstadt möchte der kleine Verein "Wegerecht" nun die Stadt verklagen – weil sie zum Beispiel vor einer Schule das Gehwegparken erlaubt. Jeden Tag zwängten sich dort Hunderte Kinder und Eltern durch die nur 1,30 Meter schmale Furt zwischen parkenden Autos und Schulmauer.

"Wir haben viele Beschwerden einge­reicht, jetzt ist Konfrontation notwendig", sagt Vereinssprecher David Grünewald, 28. Der ­Maschinenbaustudent selbst ist gar nicht so betroffen, er radelt viel, "aber man muss ja auch kein Wal sein, um sich gegen Walfang einzusetzen".

Aber wo sollen die Autos denn ­sonst parken? Das fragten auch in ­Karlsruhe viele Autobesitzerinnen und -besitzer, als die Stadt ankündigte, illegales Gehwegparken nicht mehr zu dulden. "Fakt ist: Es gibt keinen Rechtsanspruch auf einen kostenlosen Stellplatz im öffentlichen Raum", teilte die Stadt mit. Es sei viel Leerstand in Hinterhöfen und Quartiersgaragen. Es gab keine Katastrophe. Man parkt jetzt zum Beispiel ganz legal in einer breiteren Nachbarstraße und geht ein paar Schritte zu Fuß. Oder auf dem Hof. "Manche Leute waren einfach zu bequem, das Hoftor zu öffnen, wo sie einen Parkplatz haben", erzählt Günter Cranz vom Ordnungsamt. Nun sehe man viel mehr Menschen mit Rollstuhl und ­Rollator in der Stadt.

Den Autos Platz oder Tempo wegzunehmen, das scheint jedes Mal einen Aufschrei zu geben. Wobei: Es schreien immer nur einige, die halt sehr laut. So erlebt es zum Beispiel Horst Wohlfarth von Alm vom Berliner Verkehrs­senat, wenn er in Bürgerveranstaltungen sitzt. "Leute, die es gut finden, dass weniger schnell gefahren wird, die sagen während der ganzen Veranstaltung nichts, aber hinterher sprechen sie einen persönlich an: Gut, dass Sie das ­machen!"

Autofahrende sollten sich über jede Radlerin freuen

Eigentlich könnten Autofahrende dankbar sein. Roland Stimpel, Sprecher von FUSS e. V., kann aus dem Stegreif eine Rede an Leute in Autos halten: "Liebe Autofahrer, wenn ihr flucht über Leute, die aus einem Bus quellen, über Radler und Fußgänger – seid froh über jeden, der nicht im Auto sitzt! Säßen die nämlich alle auch im Auto, kämt ihr überhaupt nicht mehr voran." Daran würden übrigens auch Elektroautos nichts ändern – die Menge bliebe ja gleich.

Und wie geht es jetzt weiter in Deutschland? Wird das was mit der Verkehrswende? Verhaltenen Optimismus hört man, wenn man herumfragt, es gebe eben höchstens zaghafte Anfänge. "Wenn ich sehe, wie die Bundesregierung der Autoindustrie hinterherläuft", sagt zum Beispiel Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Das Umweltbundesamt hat jetzt einfach mal einen Aufschlag gemacht und eine "Fußverkehrsstrategie" entworfen, für den Rückbau der autogerechten Städte. Mit sehr viel weniger Autos: 150 statt wie derzeit 450 pro 1000 Großstadteinwohnern und -einwohnerinnen.

Im jungen Stadtteil Freiburg-Vauban ist man schon fast so weit: 190 Autos pro 1000 Leuten. Wer ein Auto hat, stellt es in den Parkhäusern am Rand des Quartiers ab. Fahr­­räder stehen nicht im Keller, sondern direkt vor der Haustür. Überall springen Kinder herum. Die Wohnungen in diesem Viertel sind begehrt.

Infobox

Belege und Hintergrundinformationen zu diesem Text finden Sie in dem von der Autorin aufgearbeiteten Dossier: "Alles, was man wissen muss"

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Diesen Artikel habe ich mit großer Freude gelesen. Es wurde gut recherchiert und ohne Scheu wurden Themen in einem Land, dessen heilige Kuh das Auto ist.
Einige Bemerkungen seien mir trotzdem erlaubt.

1. Man kann auch Autofahrer per Vernunft erreichen. 2017 verloren in Europa 25300 Menschen ihr Leben im Straßenverkehr. 68 durch Terroristen. Auch Autofahrer sind sensibel, wenn es um Leben und Tod geht. Der Appell an die Vernunft spielt in der Politik eine Nebenrolle. Er sollte aber an erster Stelle stehen.

2. Wir haben gute und hilfreiche Verkehrsgesetze (allerdings geringe Strafen im Gegensatz zur Schweiz). Vieles würde sich bessern, wenn diese Gesetze konsequent durchgesetzt würden. Man rufe die Polizei, wenn einer eine Stunde im absoluten Halteverbot die Straße blockiert oder wenn zwei Halbwüchsige im Kaufhaus einen Lippenstift gestohlen haben und dabei erwischt wurden. Dann erkennt man die Prioritäten.

3. Wenn es um den Autoverkehr geht, negiert der Staat demokratische Grundrechte wie die Gewaltenteilung. Gerichtsurteile werden ignoriert. Wie beschämend ist es, wenn ein Gericht beim europäischen Gerichtshof die Möglichkeit der Erzwingungshaft für den Ministerpräsidenten Söder prüfen lassen muss, weil dieser gerichtliche Auflagen, bei denen es ebenfalls um Leben oder Tod geht, nicht umsetzt.

4. Radfahren ist fantastisch. Das mache ich lebenslang und das ist in meinem Fall sehr lange. Aber auch für Radfahrer gelten die Verkehrsregeln. Ich wohne im Zentrum von Landshut und weiß genau, wovon ich rede. Fußgängerwege sind für Fußgänger da und für Radfahrer bis zum 8. Lebensjahr. Mit welcher Rücksichtslosigkeit diese Regeln (ungeahndet) missachtet werden ist ungeheuerlich. Das ist genauso schlimm wie das Verhalten der Autofahrer. Vor meiner Wohnung gilt Tempo 30. Dies wird nur in Ausnahmefällen eingehalten. 40 bis 50 ist die Regel. Wenn es der Verkehr erlaubt, werden 60 und 70, in Einzelfällen auch mehr gefahren. Kontrolliert wird nie. (Wenn einmal jährlich verstärkt auf deutschen Straßen kontrolliert wird, informiert man die Autofahrer vorher, wo sie aufpassen müssen, um nicht erwischt zu werden. Der Staat missachtet das Grundgesetz, in dem auch etwas von seiner Verpflichtung für die Gesundheit seiner Bürger stehen soll.)

5. Umfragen zum Autoverkehr (genauso wie zum Klimawandel) sind im Grunde wertlos. Da sind immer große Mehrheiten für vernünftige Lösungen, die sie in der Realität mit Füßen (Gaspedal) treten. Die Wahrheit, was die Mehrheit der Wähler, denen wir die für die Schwerverletzten und Toten verantwortlichen Regierungen verdanken, was diese Wähler denken, erfahrt man auf diese Weise nicht.

Trotz meiner kritischen Anmerkungen: Vielen Dank für Ihren Artikel.

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Die Immer wieder unternommenen Schritte, uns Leser mit grünem Verkehrsverständnis zu versehen, sind mir schon in TV-Sendungen und politischen Zeitungen reichlich bis übermäßig präsent. Jetzt erneut will Chrismon mit diesem Thema punkten. Bitte ersparen Sie sich das, ich möchte Christ sein aber meine politischen Einstellungen nicht von der Kirche serviert oder mehr oder weniger diskret verpackt untergeschoben bekommen!

Antwort auf von Klaus Hüttemann (nicht registriert)

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Sehe ich auch so. Ich habe mich gewundert über die hohe Qualität des Beitrages zu einem Thema, das an sich nichts mit dem christlichen Glauben zu tun hat. Einen solchen Beitrag hätte ich eher in (beispielsweise) einer Mitgliederzeitschrift des ADFC erwartet.

Wenn ein apologetischer Beitrag in dieser Qualität in Chrismon veröffentlicht wäre... Es wäre sehr spannend, dessen Auswirkung zu betrachten!

Nur mit der Kleinigigkeit, dass „die Schöpfung“ nicht vernichtet sondern lediglich gewandelt wird, so wie sie es auch ohne den Menschen seit allen Zeiten selber tat.

Was die Kirchen mit „Bewahrung der Schöpfung meinen“, ist eine Konservierung der Biosphäre zu einem willkürlich gewählten Zeitpunkt. Eine äußerst eingeschränkte Sicht auf die Schöpfung, wo der Mensch, der selber zur Schöpfung gehört, nurmehr als Störfaktor verstanden wird. Da fragt man sich, wieviel Menschenliebe eigentlich abhanden kam und durch Drangsal ersetzt werden soll.

Zum Fahrrad:
Es kann Autoverkehr nicht ersetzen. Es gibt Winter, Regenwetter, alte Menschen, kleine Kinder und Behinderte, die das Fahhrad nicht oder nicht mehr nutzen können. Das Fahrrad ist für den Berufsverkehr und alle sonstigen Pflichtfahrten ungeeignet. Selten kann man sicher sein, dass es unterwegs, spätestens bei der Rückfahrt, nicht regnet. Einkaufsfahrten leiden unter fehlendem Kofferraum. Das Fahrrad ist im Grunde ein zusätzlicher Luxus, da man auf andere Verkehrsmittel samt Verkehrswegen nicht verzichten kann.

Deswegen ist es auch falsch, die Verkehrswege für andere Mobilitätsarten zu reduzieren. Die werden nach wie vor vollumfänglich gebraucht, wenn bei Regen, Kälte, Schnee und Eis kein Fahrrad fahren kann. Man kann zusätzliche Radwege bauen aber nicht zu Lasten anderer Verkehrswege. Ich sehe vor allem die Neigung zur Drangsalierung von Menschen, ohne dass damit etwas grundsätzlich anders und besser gelöst wäre.

Ich halte den Hype ums Fahrrad und auch einige Aspekte der Ökopolitik für eine Modeerscheinung, die wenig mit Religion aber viel mit einer eingeschränkten Sicht auf zu handhabende, wahrlich große Dimensionen, Ergebnis und Nutzen zu tun hat, zumal die größte Hausnummer, die große Weltbevölkerung und ihre Vermehrungsrate (Ressourcenverbraucher!), gar nicht auf der Agenda steht. Unter dieser Voraussetzung verpuffen alle Einschränkungen, die die „Schöpfung bewahren“ sollen. Am Ende geht es allen schlechter.

Bisher habe ich in der Ökopolitik, die auch die Kirchen naturwissenschaftlich-technisch viel zu inkompetent vertreten, noch keine intelligente Antwort gesehen, die tatsächlich etwas lösen oder auch nur halbwegs ersetzen könnte, obwohl der bisherige Aufwand bereits enorm war. Außer hohen Strompreisen nichts gebracht. Öko als unsozialer Luxus zur oberflächlichen Beruhigung des Gewissens, unter dem die Ärmeren leiden.

Und die Widersprüchlichkeiten: Stromsparen müssen, damit die Energiewende überhaupt klappt – aber dann möglichst nur noch Elektroautos auf den Straßen haben wollen, wo jeder Haushalt die mehrfache Strommenge dessen braucht, die er jetzt verbraucht. Eine Waschmaschine oder Herdplatte schluckt vielleicht 3 kW, ein kleineres Auto schluckt 50 kW. Ich sehe nirgendwo ein Konzept, wo diese Strommenge herkommen soll abends und über Nacht, wenn alle sie gleichzeitig brauchen, damit sie am Morgen wieder zur Arbeit fahren können.

Antwort auf von Herbert Wolken… (nicht registriert)

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Punktweise:
- Schöpfung
Konservierung der Biosphäre, etwa wie ein Foto schießen? Nein: Fehlentwicklungen, an die der Mensch Schuld hat, korrigieren. Störfaktor? Ich würde eher sagen: Die erste Art auf der Welt, die Ökosystemüberlastung erkennen kann, und danach handeln.

- Fahrrad
"Das Fahrrad ist für den Berufsverkehr und alle sonstigen Pflichtfahrten ungeeignet". Mit Verlaub: Echt krass! Ich fahre jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit. Und ich kenne persönlich eine Reihe von Leuten, die das auch tun. Auch bei Wind und Wetter (nicht immer, aber häufig - zumal die Wahrscheinlichkeit schlechten Wetters ziemlich gering ist - weniger als 1 von 10 Fahrten).

- Behinderte
Es gibt auch Behinderte, die nicht Auto fahren können.

- Vermehrungsrate
In Kommentare etwa bei Zeitonline wird das Wachstum der Weltbevölkerung als Hauptproblem bei den heutigen Lage gesehen. Jene Schreiberlinge übersehen, dass das Wachstum v.a. dort vonstatten geht, wo das ökologische Footprint viel kleiner ist als bei uns. Somit: das ist nur ein Scheinargument; eine Ausrede.

- Reduktion anderer Mobilitätsarten
Ohne wird es nicht gehen. Der Platz ist nun mal beschränkt. Abgesehen davon: Der Mensch ist von Natur aus ziemlich faul. Es bedarf somit sog. Incentives.

- Bisheriger Aufwand
... war nicht enorm. Deutschland betätigt sich in den letzten ca. 10 Jahren als Bremser. Unterschätzt werden zudem Rebound-Effekte.

- Strommenge
Genau. E-Auto ist nicht das Gelbe vom Ei. Fahren Sie Fahrrad!

Antwort auf von Rob Maris (nicht registriert)

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— » Ökosystemüberlastung «
Das Ökosystem ist nicht überlastet. „Überlastung“ ist eine semantische Formulierung, der die Spezifikation fehlt. Es kann auch keine Spezifikation geben, da das Ökosystem sich auch selber wandelt. Darüberhinaus gibt es langfristige, natürliche, irreversible Änderungen (ohne Mensch). Ergo: Es gibt keinen Fixpunkt/Zustand, an dem eine Spezifikation festgemacht werden könnte, weshalb eine Überlastung gar nicht festzumachen ist.

— » Ich fahre jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit. «
Sie denken nur an sich. Egoismus.

— » Es gibt auch Behinderte, die nicht Auto fahren können. «
Es gibt auch welche, die es (ggf. mit Sondereinrichtungen) können. Aber ist das Fahrrad jetzt für die schwereren Fälle eine Alternative – oder Ihre Bemerkung überhaupt nur Ignoranz bzw. Zynismus gegenüber Behinderten?

— » Reduktion anderer Mobilitätsarten: Ohne wird es nicht gehen «
Mit schlechtem Willen und Ideenlosigkeit geht es bestimmt nicht.

— » Bisheriger Aufwand «
Geht in die zweistelligen Milliarden für die bisherige Energiewende. Erfolg: ausgeblieben. Bei dem Betrag kann man kaum von Bremsen reden. Aber von Fehlallokation und falschen Hoffnungen.

— » Strommenge: E-Auto ist nicht das Gelbe vom Ei. Fahren Sie Fahrrad! «
Bei der Enerigiewende wird man über kurz oder lang noch nicht mal mehr Fahrräder herstellen können. Ich empfehle Pferd oder Esel.

Wer Fahrrad fährt, sollte so ehrlich sein, dass er ohne andere Verkehrsmittel nicht auskommt. Jedenfalls geht es den allermeisten Mitmenschen in diesem Lande so. Deshalb darf man auch keine andere Form zur Seite drücken wollen. Es trifft einen meist sogar selber aber zumindest andere Mitmenschen.

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Ich möchte Ihnen und den Leserinnen und Lesern des Chrismonmagazins zu dem gelungenen Artikel über die Verkehrsprobleme in unseren Städten und die Lösungsmöglichkeiten dafür gratulieren! - Text und Illustrationen sind sehr ansprechend, kurzweilig und informativ gehalten, ich kann Ihnen in allen Punkten nur Recht geben: Die Verkehrswende oder wie immer man diese notwendige Änderung der Verkehrsplanung in unseren Städten bezeichnen will sind längst überfällig!

Ich beschäftige mich beruflich als Verkehrs- und Stadtplaner damit seit über 30 Jahren in München, insbesondere mit der Förderung des Radverkehrs,, /.../. Nach den neuesten Untersuchungen liegt der Anteil der in München mit dem Rad zurückgelegten Wege bzw. Fahrten inzwischen bei 18%; das ist der höchste Wert aller Millionenstädte in Deutschland.

Die Verkehrswende in dem von Ihnen beschriebenen Sinne ist damit freilich auch in München noch nicht geschafft, aber wir sind auf dem Weg dazu: Seit 2002 hat der Anteil der mit dem Auto zurückgelegten Wege von 41% auf 34% abgenommen. Zwei Drittel aller Wege und Fahrten werden somit bereits heute in München mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt. Verkehrszählungen an wichtigen Straßen in München zeigen zudem, dass der über den Mittleren Ring und den Altstadtring einströmende Autoverkehr seit Jahren abnimmt.

Ich hoffe, dass diese Entwicklung auch in Zukunft anhält, um allen Verkehrsteilnehmern in München, den Besuchern und Bewohnern einen angenehmen, verkehrssicheren und lebenswerten Aufenthalt in der Stadt zu ermöglichen.

Antwort auf von Georg-Friedric… (nicht registriert)

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Ein wunderbarer Artikel zu einem brisanten Thema, voller Respekt und ohne hinderliche Ideologie geschrieben. Er deckt allerdings auch schonungslos das grundlegende Problem auf: Es fehlt der politische Wille und der Mut einer mächtigen Industrie-Lobby und einer lautstarken gesellschaftlichen Gruppe Kompromisse zu Gunsten von Menschen und einer urbanen Lebensweise abzuverlangen. Die offensichtliche Loyalität des Verkehrsplaners zu seinem Arbeitgeber und die Einschätzuntzung seines persönlichen Beitrags in allen Ehren, was dabei rauskommt, kann man in der Realität als Radfahrer leicht prüfen: Wenig bis nichts! Das beginnt in der Verwaltung wo Jahre lang kein Radverkehrsbeauftragter bestellt wird oder Anträge zur Aufhebung der Benutzungspflicht von unsicheren Radwegen ebenfalls Jahre lang nicht bearbeitet werden können, da das Personal fehlt. Mühsam erstellte Konzepte aus der Stadtverwaltung werden dann in der Politik zerredet, sind mal zu abstrakt mal zu konkret, aber immer wieder zu umfangreich. Aber so ist das nunmal, wenn in einer so grossen Stadt wie München jeder Parkplatz für ein Kfz unter Einsatz des eigenen Lebens verteidigt wird. Wem das jetzt zu hart klingt, der sei auf die Karte der Maßnahmen pro Radverkehr aus dem Rathaus verwiesen (https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Referat-fuer-Stadtplanung-und-Bauordnung/Verkehrsplanung/Radverkehr/Karten.html vom Dezember 2018).
Klar ist, dass - nicht nur in München - Mobilität für alle Menschen ein Grundbedürfnis ist. Wer die verstärkte Nutzung des ÖPNV in einer Stadt wie München für die Lösung hält, soll sich die Verdoppelung der Fahrgastzahlen im MVV, der heute schon über seiner Kapazitätsgrenze operiert, vorstellen. Die beste und flexibelste Lösung für die Wege bis zehn, fünfzehn Kilometer ist das Fahrrad. Dafür gilt es Angebote zu schaffen, damit junge und alte Menschen, schnelle, sichere oder langsame, unsichere FahrerInnen das bewährte, effiziente und fortschrittliche Mobilitätswerkzeug "Fahrrad" im Alltag ganz selbstverständlich nutzen können. Dann werden Verkehrswege und öffenliche Flächen von Blechwüsten zu menschenfreundlichen Lebensadern moderner Urbanität!

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Ich bin begeisterter Radfahrer und auch Öffi-Fahrer. Trotzdem benutzen wir für manche, wenn auch seltene Fahrten ein Auto. Ich bilde mir daher ein, die Probleme der Radfahrer ebenso zu kennen wie die der Autofahrer.

In Ihrem Artikel wird als Beispiel ein Installateur geschildert, der mit seinem Lastenrad zum Kunden fährt. Heizkessel und Badewannen würde ein Großhändler anliefern. Zumindest in dem Beispiel sehe im Hinblick auf Umweltschutz keinen Vorteil. Er benutzt keinen Benziner für die Warenanlieferung, der Großhändler allerdings sehr vermutlich schon. Ist das nicht nur eine Verlagerung?

Ansonsten stimme ich zu, eine Verkehrswende wäre angebracht, sie ist sogar überfällig. Sie sollte allerdings geplant vonstatten gehen. Die Einteilung von Verkehrsteilnehmern in die Guten (Radfahrer) und die Bösen(Autofahrer) halte ich allerdings für wirklichkeitsfremd.

Zum Umweltschutz: Es gibt die Möglichkeit, Autos mit Wasserstoff zu bewegen. Dazu gibt es vielversprechende Forschungsergebnisse. E-Autos sind ein Fortschritt. Dabei werden aber Akkus bzw. Batterien benötigt.
Soweit ich weiß, werden die dafür notwendigen Materialien in Afrika zum Teil unter erbärmlichen Umständen gefördert. Ist uns das egal? Oder haben sich dort die Förderbedingungen schon grundlegend geändert?

35.000 verletzte Menschen in den Ortschaften sind zu viel. Daran dürften nicht nur die Autofahrer schuld sein.

In einem Punkt sind mir Autofahrer lieber, für sie gelten Verkehrsregeln. Für Radfahrer scheint das nur sehr bedingt zu gelten.
Sie können oft in beide Richtungen fahren, was den Verkehr nicht sicherer macht. Wenn ich dann von Politikern lese, es würde die Aufmerksamkeit von Autofahrern erhöhen, wenn sie nicht wüssten, woher die Radfahrer kämen, kann ich nur den Kopf schütteln. Da werden Gefahrenquellen erzeugt, die nicht nötig wären. Und ein Autofahrer, der nicht aufmerksam hinter dem Steuer sitzt, weil er getrunken hat oder sein Handy benutzt, ist bestimmt nicht aufmerksamer, weil er noch mehr auf Radfahrer achten muss.

Drei Beispiele:

Vor gerade einer Woche haben wir einem Rentner mit seinem E-Biker aufgeholfen. Gegen unseren Rat hat er allerdings das Rad nicht nach Hause geschoben, sondern ist aufgestiegen, sobald er meinte, wir würden ihn nicht mehr beobachten. Ihm kam entgegen der Fahrtrichtung auf dem Radweg eine Gruppe Radfahrer entgegen. Ein unsicherer Radfahrer, der auch noch einer Gruppe ausweichen muss. Das ist nicht zu verantworten.
Es gab selbstverständlich auch für die andere Richtung einen Radweg.
Aber Radfahrer können offenbar fahren wo und wie sie wollen, auch wenn sie dann andere gefährden.

Ich habe vor längerer Zeit einen jungen Radfahrer gesehen, der aus einer Nebenstraße nach links in die Hauptstraße abbog. Er hat bereits in der Nebenstraße die Kurve heftig geschnitten, befand sich schon in der Nebenstraße auf der Gegenfahrbahn! Ein Auto, das ihm auf der Hauptstraße entgegen gekommen wäre und hätte abbiegen wollen, hätte ihm sehr, sehr wahrscheinlich nicht ausweichen können.

Ich habe es als Autofahrer erlebt, wie ein Radfahrer vor mir auf der Fahrbahn fuhr, mitten auf der Fahrbahn, vermutlich um jedes Überholen auszuschließen. In seine Fahrtrichtung gab es einen Radweg, den ich selber oft nutze. War der Autofahrer -also ich- bös? Ich fluche nicht über Menschen, die aus Bussen aussteigen. ich verstehe nicht, warum das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme nicht für Radfaher gelten soll.

Ganz zum Schluss: Wenn wir über Nacht alle Benzinautos abschaffen könnten, wäre das sinnvoll? Über die Mineralölsteuer zahlen die Autofahrer heftig Gelder, die an vielen Stellen im Bundeshaushalt gebracht werden. Wie will man über Nacht diese Einnahmen ersetzen?
Sollen Radfahrer Steuern fürs Radfahrern zahlen?

Antwort auf von Ernst Renz (nicht registriert)

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Es gibt Studien die belegen das Autos den Staat mehr kosten als durch Steuern eingenommen werden können. Prof. Dr. Gössling von der Universität Lund (Schweden) hat sich vorliegende Zahlen für Deutschland angeschaut und kommt auf 20 Cent Kosten pro Kilometer, die derzeit nicht durch Steuern und Abgaben der Autofahrer gedeckt sind. Im Gegenzug erwirtschaftet das Fahrrad pro gefahrenem Kilometer einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen von 30 Cent (vgl. https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/aktuell/nachrichten/fahrrad-hat-gesamtgesellschaftlichen-nutzen-von-30).
Ob die Zahlen zu 100% stimmen sei mal dahin gestellt aber die Tendenz ist ja wohl eindeutig.

Antwort auf von Ernst Renz (nicht registriert)

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Bitte verraten Sie mir den Ort, wo sich Autofahrer an die Verkehrsregeln halten, denn dort würde ich gerne radfahren!

Auf meinen täglichen Radstrecken wird mir von Autofahrern die Vorfahrt genommen - besonders häufig, wenn ich einen Radweg benutze, was man unter Sicherheitsgesichtspunkten unbedingt vermeiden sollte. Ich werde mit deutlich zu geringem Seitenabstand überholt. Ich beobachte eklatante Überschreitungen der Geschwindigkeitsbegrenzung. Ich umfahre auf dem Radweg stehende Autos. Ich beobachte Autofahrer, die mit dem Mobiltelefon in der Hand telefonieren oder während der Fahrt in ihr Smartphone tippen. Zum Ausgleich werde ich allerdings von Autofahrern, denen es offensichtlich an Kenntnis der Verkehrsregeln mangelt, über meine Pflicht zur Radwegbenutzung belehrt, ohne dass die ungerufenen und meist äußerst unfreundlichen Berater einen benutzungspflichtigen von einem nicht benutzungspflichtigen Radweg unterscheiden könnten oder schon einmal davon gehört hätten, dass man einen Radweg für das Einordnen zum links Abbiegen verlassen darf.

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Der aktuelle Artikel in der CHRISMON Ausgabe 01.2019 ist das beste was ich bisher gelesen habe zum Thema Verkehrswende. Radikal, klar und mit Argumenten hinterlegt wird hier aufgezeigt, wo wir hin müssen und wo auch offensichtlich ein Großteil der Bevölkerung hin möchte. Allein die Politik hinkt mal wieder hinterher vom Wahn geleitet es allen Lobbyisten recht zu machen.

Gefehlt hat mir nur die wunderbare Bürgermeisterin von Paris Madame Hidalgo, die in vorbildlicher Weise und auch sehr radikal den Autoverkehr in der Hauptstadt begrenzen will und für bessere Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger kämpft, ohne sich von der Autolobby beeindrucken zu lassen.

Mehr davon in Zukunft, damit unser Leben wieder lebenswerter werden kann.

Antwort auf von Rainer Schmidt (nicht registriert)

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Dieser Wertschätzung des Beitrages schließe ich mich an. Frau Holch fährt nicht nur fast ausschließlich Fahrrad, sondern ist - wie sich zeigt - auch noch sehr, sehr gut informiert, und weiß das alles zudem gut zu Papier zu bringen. Der Beitrag ist zwar ausführlich, aber das ordne ich mal als eine Art Rundumschlag ein. Aus Frust über die häufig miserable Radinfrastruktur in Deutschland?
In einer Zeitschrift wie die Chrismon hätte ich einen solch guten Beitrag zu diesem Thema mitnichten erwartet!

Also alle, denen es betrifft: An die Arbeit!

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Es zu beschreiben ist überflüssig: das oft aggressiv geladene Klima auf der Straße kann Jeder und jede Verkehrsteilnehmerin täglich erleben. Wie viele Gespräche drehen sich um die alltäglichen Erlebnisse im Stadtverkehr? Können da nicht alle von ihren jüngsten Erfahrungen am Steuer, auf dem Fahrrad oder als Fußgänger unterwegs, ihre Geschichten erzählen, die sie gerade erst wieder erleben mussten? Und immer geht es um die Rücksichtslosigkeit von konkurrierenden Autofahrern, von Fußgängern, die beinahe von wild rasenden Radlern umgenietet wurden oder von akrobatischen Einlagen von schnellen Männern auf röhrenden Motorrädern.
Offenbach, unsere Stadt im verkehrsreichen Rhein-Main-Gebiet, gilt hessenweit als typisches Beispiel für ein besonders raues Klima im Stadtverkehr. Das Kürzel auf dem Kfz.-Kennzeichen ist OF, und die Hessen lesen es als „Ohne Führerschein“, und sehr Böswillige lesen das OF als „Ohne Verstand“… alles dieses generierte bei einigen Leuten, die sich öfter in einem Fahrradgeschäft trafen, die Idee, etwas zu tun, um die Übellaunigkeit und oft auch Bösartigkeit im sozialen Klima der Verkehrsteilnehmer zu überwinden.
Wie wäre es, wenn wir eine Kampagne für verträgliches Benehmen auf der Straße zum Laufen bringen könnten? Es saßen Leute aus 3 Ämtern der Stadt und 3 Vereinen (Radverein ADFC, Fuß e.V. der Fußgänger und die Verkehrswacht) beisammen und sprachen über Flyer, Aufkleber, Plakate usw. sowie über die Finanzierung. Wenn jeder der Beteiligten 500 EUR aufbringen könnte, wäre eine Basis für die Kampagne vorhanden….
Im Frühjahr 2015 startete die Kampagne. Nun, nach drei Jahren, sprechen Viele von einer spürbaren Verbesserung, insbesondere zwischen den Auto- und Radfahrern. Grund genug, um weiter zu machen. Die Kampagne hat auch einen Namen: Offenbach fährt fair. Der Hessische Ministerpräsident Bouffier verlieh ihr den Titel Ort des Respekts.

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...und den Gehenden rund...

Nein, nicht einfach Fußgänger. Welch ein Wort, was für ein Konstrukt! Wie kann man die deutsche Sprache nur so verhunzen.
Da hat wohl wieder mal die Gender-, Sprach- und Gesinnungspolizei mit aller Macht zugeschlagen. George Orwell lässt grüßen!

P.S.: Besagten Artikel habe ich an dieser Stelle nicht mehr weitergelesen.

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Gute und vielschichtige Gedanken zum Thema Verkehr. Dafür vielen Dank. Unglaublich wie aggressiv und verhärtet oft die Diskussionen sind, wenn es um Veränderungen im Verkehr geht. Auf allen Seiten bei Autoverkehr-Bewahrern und bei Verkehrs-Wendern.

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Liebe Redaktion,

mit großem Interesse habe ich den ausgezeichneten, abwägenden Artikel von Christine Holch gelesen und mich auch in einieg der angegebenen Quellen vertieft. Vielleicht habe ich nicht genau genug gelesen, aber vermisst habe ich den Aspekt des Abstellens und Parkens von Fahrrädern. Gerade jetzt, wo es immer mehr größere E-Bikes und Lastenfahrrader gibt, wird dies aus meiner Fußgängersicht zu einem immer größeren Problem. Auf den ohnehin durch Laternenmasten, Stromverteilerkästen, Straßenschildern u.a. Infrastruktureinrichtungen eingeschränkten Gehwegen, gelegentlich auch durch Bäume, was ja grundsätzlich begrüßenswert ist, gesellen sich an Laternenmasten, Straßenschildern oder Gartenzäunen abgestellte Fahrräder, die den Platz für Fußgänger weiter reduzieren.
Viele, die mit dem Fahrrad unterwegs sind, gehen davon aus, dass sie bis unmittelbar zu ihrem Ziel radeln könnten und dann ihr Rad dort abstellen dürften, unabhängig davon, ob es ausgewiesene Abstellplätze für Räder gibt oder nicht. Da ich gerade in Tokio bin, fällt mir hier äußerst angenehm auf, dass das Abstellen von Rädern im öffentlichen Raum fast überall verboten ist, wo es nicht durch ausgewiesene Fahrradabstellplätze erlaubt ist. Außerdem gibt es viele Fahrradparkplätze oder an viel besuchten Veranstaltungsorten auch Tiefgaragen für die Räder. Oft sind die erste oder die beiden ersten Stunden gratis, man kann aber auch einen Wochen- oder Monatsmietvertrag abschließen und sein Rad dann zeitlich unbegrenzt dort abstellen. Und das Wichtige, die Ordnungskräfte, die den ruhenden Verkehr kontroliieren, achten nicht nur auf falsch abgestellte Autos, sondern auch auf falsch geparkte Räder und versehen sie mit einer Banderole.
Im Artikel und den Quellen wird zwar über die Kosten von Parkraum informiert, dies aber nur bezogen auf den ruhenden Autoverkehr. Auch Fahrräder nutzen jedoch zum Parken sehr häufig öffentlichen Raum und hier scheint mir ein Umdenken nötig, wenn immer mehr Menschen vom Auto aufs E-Bike oder Lastenfahrrad umsteigen.

Marlies Ockenfeld

Wenn es darum geht, dass Fahrradfahren zu fördern, ist es m.E. wichtig, dass das Abstellen von Fahrrädern möglichst kostenlos ist. Das erst mal vorweg!

Das von Ihnen angesprochene Problem würde sich automatisch entschärfen, wenn es denn in den Städten - insbesondere natürlich in der Innenstadt - ausreichend Abstellplätze gibt. Wichtig ist dabei: ganz nah an üblichen Ziele für diese Radfahrer. Ich zitiere hier gerne Ivan Illich, der schrieb:

"Unter all diesen Fahrzeugen erlaubt nur das Fahrrad dem Menschen wirklich, von Tür zu Tür zu fahren, wann immer, und über den Weg, den er wählt. Der Radfahrer kann neue Ziele seiner Wahl erreichen, ohne daß sein Gefährt einen Raum zerstört, der besser dem Leben dienen könnte."
Fundort z.B.: https://prorad-dn.de/lob-des-fahrrads/

Illich liefert gleich ein Kriterium mit. Und wenn es da zu Probleme führt, muss selbstverständlich mehr Ordnung rein. Dazu kann auch gehören: Lastenräder haben weniger Freiheiten, was Abstellorte anbelangt. Ansonsten: Lieber mehrere kleinere Abstellanlagen sinnvoll verteilen als wenige große!

Bedenke: Diese "Eigenschaft" des "von Tür zu Tür" ist ein ganz wichtiger Parameter, denn auch der Radfahrer radelt häufiger, wenn er schnell (und sicher) von A nach B kann,vor allem dann, wenn es mit dem Pkw kaum oder nicht schneller geht. Deshalb ist es richtig, wenn der Radfahrer bis kurz vor der "Türe" fahren kann. In der Praxis gibt es in Deutschland keine ernsten Probleme, zumal der Fahrradanteil in vielen Orten noch relativ niedrig ist.

— » ist es m.E. wichtig, dass das Abstellen von Fahrrädern möglichst kostenlos ist «

Nichts ist kostenlos, das unter Aufwand entsteht. Entweder bezahlt man es auf intransparente Weise irgendwo mit, oder man belastet die Allgemeinheit, also Mitmenschen, die es einem auf Forderung hin schenken sollen. Moral?

Liebe Frau Ockenfeld,

ja, das wäre toll, wenn es mehr Fahrradparkplätze gäbe! Eigentlich müsste man dazu nur ein paar Autostellplätze umwidmen und mit Bügeln fürs Radanschließen versehen. Denn Sie haben recht: Auf engen Gehwegen auch noch um abgestellte Räder herumzukurven, das ist die Pest.

Herzliche Grüße
Christine Holch/Redaktion chrismon

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Vielen Dank für Ihren nicht nur informativen, sondern vor allem auch ermutigenden Artikel zum Thema Verkehrswende. Diese Artikel brauchen wir, die pragmatische Lösungen aufzeigen, die für alle umsetzbar sind und Beispiele aufzeigen, wo es bereits umgesetzt wird. Und siehe da: Die Bürger/innen machen mit. Das können doch auch wir Deutschen!
Einen solchen Artikel wünsche ich mir in den lokalen Blättern, um das Bewusstsein der Masse zu schärfen.

Antwort auf von Ulrike Lengwenat (nicht registriert)

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Wie viele Kilometer kann und wird man mit einem Fahrrad wohl fahren? Es werden ein paar Kilometer sein, vielleicht 4-5 km. Wer 10 km und mehr fährt, muss schon sportlich ambitioniert sein. Wer eine längere Strecke zum Arbeitsplatz zurückzulegen hat – das haben die meisten – kann kein Fahrrad benutzen.

Man vergleiche dies mit der Kliometerleistung von Autos. Was kommt objektiv heraus? Mit den paar wenigen, durch das Fahrrad eingesparten Auto-Kilometern, wird an CO2 nur eine vernachlässigbare Größe hinter dem Komma gespart.

Und dafür so ein Aufbäumen?

Antwort auf von Herbert Wolken… (nicht registriert)

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Ich begnüge mich diesmal mit einem anderen Zitat von Ivan Illich:

> Auf dem Fahrrad kann der Mensch sich drei- bis viermal schneller fortbewegen als der Fußgänger, doch er verbraucht dabei fünfmal weniger Energie. Auf flacher Straße bewegt er ein Gramm seines Gewichts einen Kilometer weit unter Verausgabung von nur 0,15 Kalorien.

Das Fahrrad ist der perfekte Apparat, der die metabolische Energie des Menschen befähigt, den Bewegungswiderstand zu überwinden. Mit diesem Gerät ausgestattet, übertrifft der Mensch nicht nur die Leistung aller Maschinen, sondern auch die aller Tiere. <

Link zum Illich-Beitrag finden Sie bei einem anderen Kommenarbeitrag zu diesem Artikel. Damit soll gesagt sein, dass täglich 7-8 km zur Arbeit (halbe Stunde) überhaupt kein Problem ist.

Übrigens: deutlich über die Hälfte aller Pkw-Fahrten ist kürzer als 5 km. Wenn SIE Autofahrer sind, freuen Sie sich doch, wenn es viele Radfahrer gibt. Dann gibt es weniger Pkw-Verkehr, und kommen Sie schneller voran.

Antwort auf von Rob Maris (nicht registriert)

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Leider haben Sie den Großteil meiner Argumente ignoriert.

Die Anzahl der Fahrten unter 5 km ist überdies für die Verringerung des CO2 nicht entscheidend. Es kommt auf die eingesparten Kilometer im Vergleich mit der Gesamtkilometerleistung des Autos an. CO2 fällt nicht „pro Mal“ an sondern nach Streckenlänge.

Was den Sport angeht, wäre es hübsch, wenn jeder die Freiheit auf eigene Entscheidung behalten dürfte. Psychologische Zwänge an dieser Stelle sind unmenschlich, zumal es kaum etwas für das deklarierte Ziel bringt. Man kann auch zu passenderen Zeiten Sport eigener Wahl betreiben, wenn man nicht in Eile ist. Mobilität hat schließlich etwas mit schnellem Vorankommen zu tun. Nicht jeder ist Student oder Pfarrer, der seine Zeit vertrödeln kann – und trotz genügender Zeit versäumt, sich in die Lage anderer Menschen zu versetzen und mitzufühlen.

Fahre freiwillig Rad, wer möchte, meinetwegen auch bei Regen, Eis und Schnee. Aber macht es zu keinem politischen Projekt für alle. Dafür ist es zu ambivalent.

Antwort auf von Herbert Wolken… (nicht registriert)

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80% der Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, sind unter 5 km. Dann ist KEIN Motor richtig warm und die meisten Katalysatoren haben noch nicht die Arbeit aufgenommen. Da nutzt deshalb auch keine verbesserte Abgasreinigung (die beim Diesel ohnehin nur oberhalb von 15 Grad in Betrieb ist.

5 km sind eine optimale Fahrradstrecke.

Sogar das Umweltbundesamt behauptet nur, dass „das Auto in fast der Hälfte aller Fälle für Fahrten genutzt wird, die nicht länger als 5 km sind und genau auf diesen Distanzen das Rad ein ideales Alltagsverkehrsmittel darstellt“

Sie behaupten hingegen 80% (statt unter 50%). Muss man so inflationär mit Zahlen umgehen, um zu „überzeugen“, weil die Wahrheit nicht reicht? Außerdem geht es im Vergleich nicht um die Zahl der Fälle sondern der summierten Fahrstrecken. Fährt ein Auto 100 km weit, müssen zwanzig andere Autos 5 km fahren, um pari zu sein. Es wären also 95% der Fahrten mit 5 km nötig, um überhaupt in diesem Beispiel gleichzuziehen. Da es aber um „Fahrten UNTER 5 km“ geht, wird es noch krasser.

Dass das Rad auf diesen Distanzen ein ideales Alltagsverkehrsmittel darstellt, wie das Umweltbundesamt meint, ist allerdings im Winter sowie bei schechtem Wetter und wegen des größeren Risikos bei Nacht, je nach Fitness, Gesundheitszustand usw. als auch für verschiedene Personengruppen vom Kinde bis zum Greis aber auch je nach Nutzungsfall zu bezweifeln, wo ein Rad nicht infrage kommen kann. Man darf nicht allein aufgrund einer bewältigbaren Kilometerstrecke behaupten, dass etwas „ideal“ sei, wenn es aus anderen Gründen nur dermaßen eingeschränkt zutrifft.

Fährt man 4 km zum Einkaufen von Lebensmitteln für eine Familie für eine ganze Woche, kann man dies mit dem Fahrrad der Menge wegen nicht transportieren. Also muss man jeden Tag mit dem Fahrrad hin, kann es aber – abgesehen vom mehrfach größeren Zeitaufwand – nicht immer, weil das Wetter einen Strich durch die Rechnung macht. Gerade die Fälle, bei denen ein Fahrrad zwar von der Länge der Strecke aber nicht vom Nutzwert her zu gebrauchen ist, bleiben in der öffentlichen Betrachtung einfach unbeachtet.

So geht es, wenn sich Theoretiker und Ideologen im Hinterzimmer etwas ausdenken, aber der Blick für die gelebte Praxis und das Einfühlungsvermögen für die Betroffenen fehlt, die unverdient zum Buhmann gemacht werden, wenn sie nicht „mitmachen“ (können). Damit wird ein gesellschaftlich schlechtes Klima erzeugt. Kirche sollte viel gründlicher und praxisnäher nachdenken, bevor sie ein Thema derart einäugig unterstützt, einen einzigen, bestimmten Zweck als den allein wichtigen betrachtet und betrommelt. Welche Spannungen sie damit gesellschaftlich auslöst, kann eigentlich nicht in ihrem Sinne sein. Das gesellschaftliche Klima rettet man nicht mit einer kognitiv beschränkten Moralkeule.

Im Umkehrschluss heißt dies, dass das Auto weiterhin gebraucht wird, ein Fahrrad nur eine sporadisch aber nicht zuverlässig nutzbare Ergänzung sein kann.

Mir kommt es bei der Begeisterung und der Einseitigkeit der gedanklichen Verarbeitung pro Rad so vor, als ginge es hier um ein Spiel, bei dem es nicht darauf ankommt, wie es ausgeht, weil der Ernst des Alltagslebens davon nicht betroffen wäre. Dazu passt freilich nicht die gesellschaftliche Hitze, die dabei erzeugt wird. Die wird dann doch ernst.

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Vielen Dank, dass Sie in Ihrem Artikel auch Rollstuhlfahrer erwähnen. Ich bin selbst einer und außerdem berufstätig, damit bin ich auf ein Verkehrssystem angewiesen, das mir den Weg zur Arbeit und zurück gestattet, außerdem zum Einkaufen, zu Besuchen und zu Kulturangeboten. Ich fahre ein Auto mit Handsteuerung, das mir viele dieser Wege ermöglicht. Ich habe damit auf die Verkehrswende eine etwas andere Sichtweise.
Ein Fahrrad mit Handantrieb, auch Handbike genannt, ist mit über 3000 Euro für ein haltbares und belastbares Modell deutlich teurer als ein konventionelles Fahrrad und wird nur ausnahmsweise von Krankenkassen oder anderen Kostenträgern bezahlt. Somit kann ich nicht zu den gleichen Bedingungen am Radverkehr teilnehmen wie Nichtbehinderte. Deswegen ärgern mich Radfahrer, die die Meinung vertreten, an ihrer Fortbewegungsweise könne sich jeder Mensch jederzeit ein Beispiel nehmen. Sie wirken auf mich überheblich.
Der öffentlichen Nahverkehr ist auf den vier Rädern eines Rollstuhls ebenfalls schwieriger zu benutzen als für Menschen, die auf zwei Beinen unterwegs sind, wenn zum Beispiel der Bus nicht dorthin fährt, wohin man eigentlich möchte - besonders in ländlichen Gegenden oder den Außenbezirken größerer Städte -, oder die Aufzugsanlagen zu U- und S-Bahn außer Betrieb sind. Letzteres ist in den meisten Fällen übrigens eine Folge von Vandalismus.
Ein Teilen von individuellen Verkehrsmitteln, ob Leihrad oder Car-Sharing, kommt aufgrund der fehlenden Anpassung an die Anforderungen von Gehbehinderten nicht in Betracht.
Eine Verkehrswende, die Gehbehinderte nicht ausschließt, muss also auch auf deren Belange Rücksicht nehmen und für entsprechende Lösungen sorgen. Alles andere würde eine gesellschaftliche Inklusion hintertreiben.
Als positives Beispiel für ein behindertenfreundliches Nahverkehrssystem kann ich Wien nennen, wo nicht nur die U-Bahnstationen ausnahmslos mit Aufzügen zu jedem Bahnsteig ausgestattet sind, sondern auch diese stets betriebsbereit und sauber sind. Von den Stationen aus erreicht man viele Ziele in der Stadt auf kurzem Wege, ohne ein weiteres Verkehrsmittel außer dem eigenen Rollstuhl nutzen zu müssen. Busse, Niederflurstraßenbahnen und Regionalbahnen mit bahnsteiggleichem Einstieg ergänzen das Angebot.
Für Handbikes könnte es einen Zuschuss geben, damit auch Behinderte die neue Radinfrastruktur nutzen (und sich umweltfreundlich abseits der Bus- und Bahnfahrpläne bewegen) können.
Und Autofahrten als gelegentliche Mobilitätslösung sollten nicht verteufelt und verboten werden.

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Auf meiner Fahrt von Hamburg nach Köln hab ich chrismon 01.2019 gelesen.
Es gibt ein ganz einfaches und wirksames Mittel die im Artikel "Bitte
Wenden!" angesprochenen Ziele zu erreichen:
Die Steuer auf die für das Fahren notwendigen Kraftstoffe wird solange
erhöht bis sich ein "vernünftiger"Anteil beim Autoverkehr einstellt. Die
hierbei eingenommenen Gelder werden für die notwendigen Infrastrukturen
verwendet - so stehen die Alternativen für die Nutzung zur Verfügung und
nicht mehr für das Argument dass das Autofahren unverzichtbar ist - weil
die Alternativen fehlen.
Solange noch Strom durch die Verbrennung von Kohle oder
kohlenstoffhaltiger Brennstoffe erzeugt wird, ist die E-Mobilität ein
heilklimatischer Irrtum.
E-Antriebe wie auch die von Flüssiggas oder Wasserstoff müssen
gleichartig an der Steuer auf den Verkehr beteiligt werden. Die jetzige
Steuerfreiheit steuert nicht auf den notwendigen und sinnvollen Weg.
Weihnachten ist schon etwas her aber vielleicht noch nicht vergessen und
die damit verbundenen Geschenke noch gegenwärtig: Machen wir unseren
Kindern nachhaltige und ehrliche Geschenke.

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