Einsamkeit - Besser, als zu Hause zu versauern
Einsamkeit - Besser, als zu Hause zu versauern
Ina Schoenenburg
"Besser, als zu Hause zu versauern"
Emma lässt jetzt auch mal das Handy aus. Frau Werner engagiert sich. Und der Junge im Elektronikmarkt daddelt immer weiter.
Tim Wegner
28.11.2018

Emma Neumann, 20 Jahre

Die Eltern trennten sich, ihre Mutter zog raus aus der Stadt. Emma Neumann wollte aber weiter in Berlin zur Schule gehen, weshalb der Vater ihr eine kleine Wohnung in seinem Nachbarhaus besorgte. Da war Emma 16, und die Mitschüler beneideten sie um die eigene Wohnung. Auf Facebook und Instagram inszenierte sie sich als selbstbewusste junge Frau, gestylt, dynamisch und immer gut drauf. "Am Anfang war es ja auch cool mit der eigenen Wohnung, aber wenn ich dann abends allein zu Hause saß, brach alles zusammen", sagt sie. Sie habe sich schrecklich allein gefühlt, von allem abgeschnitten.

Gleichzeitig ließ sie niemanden an sich heran. Die anderen sollten nicht erfahren, wie schlecht es ihr ging. "Ich wollte das perfekte Bild aufrechterhalten", sagt sie über diese Zeit. Mit Hilfe einer Therapie habe sie allmählich gelernt, sich zu öffnen. Heute ist sie 20 und sagt: "Die wahren Freunde sind die, vor denen man keine Geheimnisse haben muss." Und wenn sie diese Freundinnen trifft, bleibt das Handy auch mal aus.

Johanna Werner, 66 Jahre

Nach der Scheidung zog sie nach Berlin, weil ihre Tochter hier lebt. Doch die hat Mann, Kinder, Freunde und nur selten Zeit. Johanna Werner kannte sonst niemanden in Berlin, sie hätte auf Nachbarn zugehen müssen, doch sie fühlte sich so verlassen und unattraktiv, dass ihr genau das nicht gelang. Sie fiel in eine Depression und verließ ihre Wohnung immer seltener – und lernte erst recht niemanden kennen. Einkaufen ging sie nur, wenn die Tüte mit dem Katzenfutter leer war. "Es war, als würde ich in einem Moor feststecken, und die Sonne ist unerreichbar weit weg", sagt sie. Die Rettung kam über den Verein "KulturLeben Berlin". Hier engagiert sie sich seit zwei Jahren. Der Verein arbeitet mit Theatern, Museen und Konzerthäusern zusammen und vermittelt kostenlose Tickets an Menschen mit wenig Geld.

Dafür rufen die Mitarbeiter die Gäste an und versuchen, besonders die Einsamen unter ihnen zu einem Kulturbesuch zu überreden. Voraussetzung dafür, angerufen zu werden, ist, dass man sich beim Verein angemeldet hat. Dazu war Johanna Werner von ihrer Tochter gedrängt worden. Es war ein wichtiger Schritt. Daraufhin verschwamm die Zeit nicht mehr ganz so konturlos wie zuvor. Einmal im Monat gab es einen Termin. Aber erst seitdem sie selbst ehrenamtlich mitarbeitet, geht es richtig bergauf. Jetzt macht sie anderen Mut und erzählt ihnen von sich selbst. Anfangs sei sie so nervös gewesen, dass sie sich manchmal im Ton vergriffen habe, und abends war sie total kaputt. "Aber besser, als zu Hause zu versauern", sagt Johanna Werner. Indem sie etwas für andere tut, geht es auch ihr besser. Sie setzt das Headset auf und beginnt zu telefonieren.

Der Junge, 15 Jahre

Er hat Kopfhörer auf, sitzt vornübergebeugt vor dem Laptop und kriegt nicht mit, was um ihn passiert. Er spielt "World of Warcraft". Im dritten Stock eines Elektronikmarktes am Berliner Alexanderplatz. Wenn man den Jungen an der Schulter rüttelt, nimmt er die Kopfhörer von den blonden Haaren und schaut verwundert aus großen blaugrünen Augen. Er erzählt ohne Scheu, dass er in die 9. Klasse geht und seit der 6. Klasse jeden Nachmittag hierherkommt. Seine Eltern würden sich keine Sorgen machen, sie wüssten, wo er sei. Warum er nicht nach Hause geht? Er habe später noch Fußballtraining, sagt er. Hertha. Wann später? "Später halt." Es ist aber schon 19 Uhr.

Er schwänze oft die Schule, sagt der Junge. Seinen Namen möchte er nicht nennen. Auch an den Playstations und bei den 3-D-Brillen sitzen Jugendliche. Die Verkäufer haben Schilder aufgestellt: "Erst Schule, dann spielen!" Doch angeblich haben die Jugendlichen nie Hausaufgaben auf, sagt ein Verkäufer. Er wundere sich, dass sich weder die Eltern noch das Jugendamt oder die Schulen um die Kinder kümmerten. Wegschicken will er sie nicht. Denn dann würden sie unten auf dem Platz sitzen, wo ihnen womöglich Drogen angeboten würden.

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