Peru - Rein in die Kartoffeln
Peru - Rein in die Kartoffeln
Roxana Reiss
Rein in die Kartoffeln
Die Foodbloggerin aus Berlin dachte, 
sie kennt sich aus mit Kartoffeln. Bis sie 
nach Peru kam. Auf 4000 Metern 
wachsen 300 bunte und gesunde Sorten.
Pauline BossdorfPrivat
20.11.2018

Die Luft ist so dünn, dass ich schwer atmend ankomme. Ich bin in den peruanischen Anden, auf 4000 Metern, bei Vilcashuamán. Wie ruhig und friedlich es hier ist! "Hey", ertönt es neben mir. Ich fange gerade noch so zwei lila Kartoffeln, die mir Tito zuwirft. Volltreffer. Heute ist Erntetag beim Bauernpaar Casilda und Tito. Er pflügt den Acker um, sie sammelt die freigelegten Kartoffeln ein. Am Ende des Tages werden sich einige Säcke bunter Kartoffeln gefüllt haben, die ihre Familie für das restliche Jahr er­nähren werden. Ich koche seit fünf Jahren für meinen Foodblog, ich kenne mich aus mit Kartoffeln. Dachte ich. Doch diese hier strahlen in Farben, die ich nie mit Kartoffeln in ­Verbindung gebracht hätte. Lila, rot, orange und schwarz. Es sind papas nativas, die Urkartoffeln der Peruaner. 

Pauline BossdorfPrivat

Pauline Bossdorf

Pauline Bossdorf, Jahrgang 1993, betreibt einen Foodblog. Sie kocht naturbelassen, nährstoffreich und ­unkompliziert. "Living The ­Healthy Choice. Einfach natürlich ­kochen" heißt ihr Kochbuch (Edel-Verlag, 19,95 €). Auf Instagram ist sie unter ­@­livingthehealthychoice zu finden.

Die hatten sie beinahe selbst aus den Augen verloren. Unter westlichem Einfluss stieg die Mehrheit der Indio-Kleinbauern in den letzten Jahrzehnten auf die weiße Kartoffel um. Ließ sich besser vermarkten. Dabei sind papas nativas viel nährstoffreicher als ihre weißen Kollegen. Stolz erzählt Casilda, dass sie und ihre zwei Kinder seit der Umstellung seltener krank werden. Und die papas ­nativas sind resistenter in Zeiten des Klimawandels. ­Indem sie mehr als 300 verschiedene Urkartoffelsorten anbauen, schützen sich die Bauern vor Missernten. Wenn eine ­Kartoffelsorte ausfällt, überlebt eine andere. 

Süß und weich und irgendwie ehrlich

Es ist Mittag geworden, die Sonne scheint unerbittlich, und Casilda ruft zum Essen. Während der Erntezeit, die die Familien auf den Äckern verbringen, wird auch dort gegessen. Auf große Steine, die er in einer Grube erhitzt hat, schichtet Tito frisch geerntete Kartoffeln und Bohnen, darüber noch mehr Steine und Kartoffeln, obendrauf Papier und Moos. Ich lerne, dass die papas nativas schneller garen und so weniger Energie verbrauchen. Ein Vorteil, wenn beispielsweise mit Holz gekocht wird. Derweil bereiten Casilda und ihre Tochter eine Soße aus frischen Kräutern und Käse vor, die sie mit einem Steinmörser zerkleinern. 

Es wird ein festliches Mahl, bei dem wir alle auf Schafsfellen um das große Picknick herumsitzen und glücklich das erste Mal die frischen Kartoffeln essen. Ich probiere jede Kartoffelfarbe mehrmals durch. Süß und weich und irgendwie ehrlich. 

Meine Reise geht weiter zu Elisa, einer anderen Bäuerin. Am Eingang ihres Hofs hängen Listen und Arbeitspläne. Elisa hat mit Chirapaq, einer Partnerorganisation von Brot für die Welt, einen Plan gemacht: Chirapaq schult Bauern, wie sie effizienter wirtschaften und wie sie regionale ­Lebensmittel so kombinieren können, dass die Kinder genügend Nährstoffe bekommen. 

Elisa führt mich in die Küche, zeigt mir den neuen Rauchabzug nach draußen. Vorher erschwerte der Qualm das alltägliche Kochen.

Bäuerin Elisa und ihre Tochter (unten) zeigen Pauline, wie man Mazamorra kocht, ein Dessert aus Kürbis, Zimt und Quinoa. Das Rezept finden Sie auf chrismon.de/foodbloggerin

Sie hat eine lange Tafel vorbereitet, auf der sie ihr selbst angebautes Gemüse präsentiert. Es ist bunt und vielseitig: Bohnen, Kartoffeln, Kürbis, Paprika und Mais. Jetzt drückt sie mir ein Messer in die Hand. Ich wollte ja schließlich beim Kochen mithelfen, oder nicht? Also schäle ich zusammen mit Elisas Tochter, die so schön ist wie ihre Mutter, Kürbisse. Mazamorra wird es werden, ein Dessertgericht nach Familientradition aus gekochtem Kürbis und Quinoa, verfeinert mit Zucker und Zimt. Am anderen Ende der Küche bereitet Elisa den Hauptgang zu. Causa nennt sich der geschichtete Berg aus Kartoffeln, Paprika und Limettensaft, gefüllt mit Mais, Erbsen, Karotten und Mayonnaise.

Viele Frauen kämpfen mit dem Machismo

Ich nehme mir vor: Mazamorra werde ich für meinen Blog nachkochen, als leckeres Frühstück aus Quinoa, eine weitere kulinarische Spezialität aus Peru, die ich jetzt schon viel verwende. Zusammen mit gekochtem Kürbis wird gerade in den kalten Monaten eine vollwertige und wärmende Mahlzeit daraus. 

Während wir kochen, erzählt Elisa aus ihrem Leben. Viele Frauen in Peru haben mit dem Machismo zu kämpfen: stark definierte Männer- und Frauenrollen, aus denen es sehr schwer ist, auszubrechen. Als sie von ihrer eigenen Familie erzählt, fängt Elisa an zu weinen. Von klein auf erlebte sie, wie ihr Vater ihre Mutter schlug. Bei diesen Worten läuft ihr Sohn, der schweigend an der Schwelle zur Küche gestanden hat, auf seine Mutter zu und nimmt sie in den Arm. Noch ist er kleiner als sie und streichelt ihr beruhigend über den Rücken. Ich blinz­le, um meine eigenen Tränen zu verbergen, Elisa wischt sich die Tränen ab, richtet sich auf und blickt mich an. Aber das liegt hinter uns, sagt sie. Das lassen wir Frauen nicht mehr mit uns machen. 

Getrocknete Kartoffeln werden in Suppen und Eintöpfen wieder weich. Da nur einmal im Jahr geerntet wird, wandert die Hälfte der Ernte aufs Dach und schrumpft dort in der sengenden Sonne

Sie haben auf Provinzebene einen Frauenverein gegründet und im nächsten Jahr wird sie, Elisa, sich zur Wahl als Gemeinderätin aufstellen lassen. Jetzt schon arbeitet sie als Promoterin, lädt Frauen in ihre Küche ein und zeigt ihnen, wie man mit lokalen Lebensmitteln abwechslungs- und nährstoffreich kochen kann. Und ­eigenes Geld verdient, um nicht von Männern abhängig zu sein. 

Wir essen gemeinsam an einer großen Tafel, mit Nachbarn und Freunden. Elisa singt mit lauter Stimme traditionelle Lieder der Inka. Was für eine wunderbare und starke Frau!

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der Ernährung wird personalisiert sein. Wir sollten im Interesse der Zukunft unserer Kinder aufhören Lebensmittel von anderen Kontinenten anzupreisen.

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