Ein Gruppe junger Menschen auf dem Weg durch die Stadt
Ein Gruppe junger Menschen auf dem Weg durch die Stadt
AleksandarGeorgiev/Getty Images
Viel "Ich", viel "Lebensqualität"
Die Jugend ist der evangelischen Kirche weitgehend abhandengekommen. Die Synode der EKD versucht das Ruder herumzuwerfen.
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
08.11.2018

Diese Beobachtungen stimmen die Verantwortlichen der evangelischen Kirche äußerst nachdenklich: Ein großer Teil der jungen Generation hat keine Beziehung mehr zur Kirche. Wenn sich junge Menschen überhaupt mit dem Glauben befassen, dann tun sie es auf eine sehr persönliche, privatisierte Weise. Eine Studie der Universität unter der Leitung des Religionspädagogen Friedrich Schweitzer hat das im Juni 2018 ans Tageslicht. Aber eine weitere Studie, erstellt vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), bestätigt dieses ernüchternde Bild. Um diese Befunde ging auf der EKD-Synode Mitte November 2018 in Würzburg.

Portrait Eduard KoppLena Uphoff

Eduard Kopp

Eduard Kopp ist Diplom-Theologe und chrismon-Autor. Er studierte Politik und Theologie, durchlief die Journalistenausbildung des ifp, München, und kam über die freie Mitarbeit beim Südwestrundfunk zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" nach Hamburg. Viele Jahre war er leitender theologischer Redakteur bei dieser Wochenzeitung und seinem Nachfolgemedium, dem evangelischen Magazin chrismon. Seine besonderen Interessengebiete sind: Fragen der Religionsfreiheit, Alltagsethik, Islam, Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Krieg und Frieden.

Den Verlust der Jugend als "Umbruchssituation" zu bezeichnen, wie es Synoden-Präses Irmgard Schwaetzer tat, ist fast noch zu freundlich formuliert. In manchen Gemeinden lässt sich ein Totalverlust der Jugend beobachten. Und die Aufgabe ist immens: "Als Kirche müssen wir erst wieder lernen, die Perspektive der jungen Leute einzunehmen", sagt sie.

Gerhard Wegner, Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts, hat in seiner "Schnellstudie" erfragt, was den 19- bis 27-Jährigen in ihrem Leben wichtig ist. Auf Platz eins steht: Sie nimmt sich selbst wichtig (nicht im egoistischen Sinne, sondern in ihrer Aufmerksamkeit), auf Platz zwei folgt die eigene Familie, die Kirche auf einer der hinteren Plätze. Es wird deutlich: "Die Befragten sind vor allem in ihre Familie eingebunden", nur zu einem geringen Teil in eine Kirchengemeinde. Auch für Vereinigungen und politische Gruppierungen fehlen ihnen die Zeit und das Interesse. "Mit ihnen können sie sich nicht identifizieren." Sie erwarten, so Wegner, auch keine konkrete Unterstützung durch Institutionen, denen sie ohnehin misstrauen. Und: "Die Kirche wird nicht mehr als Institution gesehen, die für Zusammenhalt und Toleranz in der Gesellschaft sorgt."

Viele junge Leute bekommen die kirchliche Realität nicht mehr mit

Mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit hat das zu nichts zu tun. Es ist ein Wahrnehmungsproblem. "Viele junge Leute bekommen die kirchliche Realität nicht mehr mit", sagt Gerhard Wegner. Dass es in Deutschland tausende kirchliche und diakonische Institutionen gibt, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft sorgen, sollte ihnen eigentlich nicht verborgen bleiben. Aber es ist anders.

Wie mit dieser Generation umgehen? Die Kirche muss erkennen: "Da helfen keine Ansätze bei Defiziterfahrungen der jungen Leute", etwa der Art: Ihnen fehlt dies und jenes, was sie aber bei der Kirche bekommen könnten, so Wegner. Die Kirche könnte die Aufmerksamkeit der jungen Leute aber gewinnen, wenn sie ihren Glauben, ihre Spiritualität erkennbar macht. In der Synode fiel öfter das Stichwort "Zeugnis" – nicht in einem missionarisch-engen Sinn, sondern um zu bezeichnen, dass Menschen über ihre religiösen Erfahrungen sprechen.

Johannes Falk, Komponist und Sänger, beklagte: "Die Kirche schafft es nicht, die Spiritualität, die in allen Menschen steckt, abzudecken. Alle haben ein Bedürfnis nach Spiritualität. Kirche vermag es nicht, in Gottesdiensten anzusprechen." Dafür erhielt er in der Synode nur verhaltenen Applaus.

Das Schwerpunktthema der EKD-Synode lautet "Glaube junger Menschen" - erfreulicherweise nicht: "Wie kommen die Kirchengemeinden wieder an die jungen Leute heran?" oder "Wie muss man ansetzen, um sie nach der Konfirmation bei der Stange zu halten?" Dass bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen mehr Religiöses ist, als viele wahrhaben wollen, ahnen manche in der Kirche. Aber was nun konkret tun? Es wird wenig helfen, wenn Kirchengemeinden die Themen der jungen Leute nachahmen: ein bisschen mehr Klimaschutz, Digitales, Multikulti. Es wird auch wenig helfen, wenn sie ihnen die traditionellen Spielwiesen in Gemeinderäumen zur Verfügung stellen, so das bezeichnenderweise "Jugendkeller" genannte Biotop im Untergeschoss. Oder wenn sie ihnen gelegentlich Platz und Stimme in Gremien einräumen, sie mitmachen, "partizipieren" lassen bei Veranstaltungen, die dann doch so ablaufen wie eh und je.

Es muss "ihre" Gemeinde werden, auch wenn es dann eine ganz andere werden sollte

Die Kirche muss radikaler ansetzen. Jugendliche brauchen einerseits weitreichende Freiräume, ihr eigenes Ding zu machen. Und sie müssen, damit das überhaupt möglich wird, ein selbstverständlicher Teil der Entscheidungsstrukturen werden, mit Personal- und finanzieller Verantwortung. Sie müssen eigene Themen setzen, eigene Handlungsfelder besetzen können. Sie müssen, wo ihnen Fachwissen fehlt, geschult und unterstützt werden. Es muss "ihre" Gemeinde werden, auch wenn es dann eine ganz andere Gemeinde werden sollte.

Tatsächlich aber fehlt es bereits an Grundsätzlichem: die gezielte Ansprache und Einladung von jungen Leuten zur Mitarbeit. Pfarrer und Gemeindemitarbeiter sind dazu nicht bereit oder in der Lage. Jedenfalls erklärt die Hälfte der für die Tübinger Studie befragten Jugendlichen, nie angesprochen worden zu sein. Tun sie dann etwas ehrenamtlich, fehlen in der Hälfte der Fälle Wertschätzung und Anerkennung. Eine verheerende Rechnung: ein Großteil nie eingeladen, die Hälfte nie wertgeschätzt – so kann der Kreis der Mitmachenden nur radikal schrumpfen.

Der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, beklagt: "Noch immer sind Jugendliche unterrepräsentiert an Orten, an denen Zukunftsentscheidungen getroffen werden. Dahinter steht ein systemisches Problem: Menschen werden in Entscheidungsgremien gewählt, wenn sie sich in irgendeiner Weise hervorgetan haben und entsprechend bekannt sind. Aber Jugendliche haben noch nicht die Jahre dafür und sie sind mobiler."

Auf der anderen Seite: In einem einzigen Sommer haben 20 000 Jugendliche am Jugendcamp für Konfirmanden 2017 in Wittenberg teilgenommen. Und junge Leute wie die evangelische Bloggerin Jana Highholder berichten: "Kirche und Gemeinde sind Orte der Gemeinschaft. Kirche kann und soll dir guttun."

Stimmrecht für Jugenddeligierte auf den Synoden

Strukturell muss und wird sich in den kommenden Jahren einiges in der evangelischen Kirche ändern. Die Rolle der Jugenddelegierten auf der EKD-Synode wird für die nächste Legislaturperiode verändert werden, auch das Verfahren, wie sie bestimmt werden und wie lange sie dort Delegierte sind. Für die nächste Synode soll auch geklärt werden, ob die Jugenddelegierten ein Stimmrecht erhalten sollen. Und: "Eine Jugendquote kommt auf jeden Fall", sagt Präses Schwaetzer.

Und dann wird vielleicht auch Schluss sein damit, was das Synodenmitglied Merle Fromberg kritisierte: "Unsere Jugenddelegierten führen auf der EKD-Synode immer ein Schattendasein. Sie sitzen hinten unter der Empore. Ich werde mich freuen, wenn Sie einmal vorn oder unter den anderen sitzen.

Die evangelische Kirche steht vor einer größeren Herausforderung, als viele ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermuten. Wenn sich viele junge Leute überhaupt nicht mehr für religiöse Fragen interessieren, dann ist es nicht mit ein paar strategischen Tagungen getan. Dann ist die Grundsatzfrage zu beantworten: Warum fasziniert der christliche Glaube nicht (mehr)? Warum erscheint nicht nur die Kirche, sondern der Glauben als belanglos, als ganz weit weg vom Leben der jungen Leute?

Es fiel auf der EKD-Synode das Wort von der "pragmatischen Generation". Wichtig ist den jungen Leuten, kurz- und mittelfristige Perspektiven zu haben, aber keine umfassende Idee einer "idealen" Lebensführung. Ein großer Wurf mit großen Werten ist nicht ihre Sache. Eher sind ihnen Eigenverantwortlichkeit wichtig, und zugleich so gegensätzliche Lebensinhalte wie Lebensqualität und Genuss.

Die "neue Innerlichkeit", die wachsende Subjektivität junger Leute im Glauben hat allerdings rein gar nichts zu tun mit der klassischen protestantischen Innerlichkeit, die dem Pietismus im 19. Jahrhundert so wichtig ist. Das seien zwei ganz verschiedene Erscheinungsbilder, sagte überdeutlich Gerhard Wegner, der Sozialwissenschaftler. "Wenn wir uns das einreden, dann ist das eine reine Fehlinterpretation". Und so ging auch diese kleine Hoffnung der Evangelikalen auf der EKD-Synode dahin, dass der massive religiöse Rückzug der jungen Leute im Grund etwas Positives sei, eine Art Besinnung. Das ist wohl eher eine Selbsttäuschung.

 

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