Theaterstück 'Revolution!'
Theaterstück 'Revolution!'
Alex Calvert
Historisch genau und trotzdem auch Theater
Wie bringt man Geschichte lebendig auf die Bühne? Mit vielen Fakten, ein bisschen Herz und Schmerz und wenigen Requisiten, sagt Schauspieler und Theaterproduzent Oliver Hermann.
Tim Wegner
23.10.2018

Herr Hermann: "Revolution!?" heißt Ihr Theaterstück, mit dem Sie derzeit durch Deutschland touren. Wie lange haben Sie für das Stück recherchiert?

Oliver Hermann: In Summe vielleicht ein Jahr. Ich selbst bin viele Monate zu Archiven und Bibliotheken gereist, um so viel Material wie möglich zu sammeln. Außerdem haben wir eng mit Historikern zusammengearbeitet, Symposien besucht und natürlich auch die aktuelle Literatur gelesen. Am Ende hatten wir dann einen Riesenhaufen an Tagebuchauszügen, Fotos und Briefen und Literatur – und den bekam unser "Headwriter" Erik Schäffler sozusagen vor die Füße geschmissen.

Oliver HermannAlexandra Calvert

Oliver Hermann

Oliver Hermann, Jahrgang 1960, lebt und arbeitet als Schauspieler, Sprecher, Theaterproduzent und Autor in Hamburg. Er spielte an zahlreichen deutschen Bühnen, war in zahlreichen Fernsehproduktionen zu sehen und spricht viel für TV-Dokumentationen. In diesem Jahr sind seine ersten beiden Hörbücher im Griot-Verlag erschienen.

Und der schreibt daraus im stillen Kämmerlein sein Stück?

So einfach ist das nicht, denn wir arbeiten im Kollektiv. Jeder sagt seine Meinung, ergänzt, korrigiert, dann taucht wieder neues Material auf. Selbst wenn das Stück schon fertig ist, kann es sein, dass wir nach Aufführungen Rückmeldungen aus dem Publikum bekommen, dann würden wir, wenn uns der Aspekt plausibel erscheint, auch noch was ändern.

Ihr Stück besteht nur aus Originalzitaten und Aufzeichnungen?

Es ist immer ein Mix aus tatsächlich Geschehenem und Fiktion: In "Revolution!?" treten unter anderem zum Beispiel Gustav Noske und Werner von Melle auf, damals Hamburger Bürgermeister, dann mit Originalzitaten. Aber es gibt auch die fiktionale Liebesgeschichte zwischen einer Hamburger Fabrikarbeiterin, ihrem Freikorps-Ehemann und dem Geliebten, einem revolutionären Kieler Matrosen.

Ohne Herzschmerz geht es nicht?

Nicht in diesem Fall. Wir wollten ja erzählen, wie zerrissen die Menschen 1918 waren. Was alles auf sie einströmte, wie unfassbar brutal sie war und dass die Menschen sich in all ihrer existenziellen Not doch auch nach normalen menschlichen Gefühlen und Bedürfnissen sehnten.

Kriegen Sie manchmal Schelte von Historikern, die finden, dass Sie die Realität verkitschen oder falsch darstellen?

Natürlich gibt es auch Kritik. Bei so einem sensiblen Stoff wie  der Revolution von 1918 erst recht. Wie beispielsweise stellen wir Friedrich Ebert dar? Als den Retter der Demokratie? Oder als den Mann, der maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die reaktionären Kräfte schon kurz nach 1918 wieder die Oberhand gewannen? Wir versuchen immer, so historisch wie möglich zu sein – aber: Wir sind keine Historiker. Wir spielen Theater! Da muss es Interpretationen geben dürfen.

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Ensemble für historisch-politisches Theater auf die Bühne zu gründen?

Ich hab in den 1990er Jahren länger in einer Fernsehserie gespielt und wollte unbedingt wieder Theater spielen. Zufällig war ich dann in einer Ausstellung über den Untergang der Titanic und stellte mir die Frage: Was ging im Kopf eines Auswanderers vor, der damals auf einem dieser Schiffe nach Amerika ausreiste? Daraus entstand ein Soloprogramm, das ich später mit dem Musiker Markus Voigt erweitert habe: "Der Auswanderer".

Sie haben dann das Team Axensprung ins Leben gerufen und seitdem mehrere Stücke mit historischen Themen auf die Bühne gebracht. Immer nach dem gleichen Muster: reale und historische Persönlichkeiten, viel Realität, etwas Erfindung. Ein Erfolgsrezept?

Ich würde sagen: Ja. Gerade sagte eine Schülerin, dass unser Stück ihr die Novemberrevolution in 90 Minuten besser erklärt hätte als ein ganzer Oberstufenkurs. Mit "Revolution!?", "Weltenbrand" und "Kampfeinsatz" touren wir durch Deutschland, allein in diesem Herbst sind es 50 Vorstellungen. Und es kommen weiter Anfragen über Anfragen. Dank der Übersetzungsförderung durch das Kulturreferat des Auswärtigen Amtes auch von deutschen Botschaften in Brüssel, Riga und Lyon.

Sie arbeiten mit einem sehr reduzierten Bühnenbild?

Absolut, das ist unser "Markenzeichen". Beim "Auswanderer" reichte eine alte Reisetruhe, vom Flohmarkt gekauft, ein Kostüm, ein paar Hüte. Kernelement unserer Bühne ist die Leinwand für die Rückprojektion von Bildern, Fotos und Videos. Wenn wir auf Tour gehen, passt alles in einen Kleintransporter.

Und wo treten Sie auf?

Gedenkstätte, Museumsfoyer, Seminarraum oder Schulaula, wir verwandeln die Orte in unsere Bühne. In Gera traten wir mit "Weltenbrand" in der Taufkirche von Otto Dix auf. Ein großartiger Ort für dieses Stück. Aber "normale" Theater mögen wir natürlich auch. Am 14. November gastieren wir zum Beispiel im Nationaltheater Luxemburg.

Ihr Zielpublikum?

Ich würde sagen: jeder politisch mündige Bürger. Schüler aber erst ab 16. Mit jüngeren macht das nach unseren Erfahrungen keinen Sinn, da unsere Collageform und die teilweise sehr komplexen Inhalte ein kognitives Grundverständnis voraussetzen. Vorstellungen vor Achtklässlern waren für uns und die Schüler kein Vergnügen, weil die definitiv irgendwann aussteigen und laut werden.

Und nun geht es wieder zurück ins Fernsehen?

Nicht so richtig - aber: Wir sind als Ensemble dabei mit einem Dokudrama von Jens Becker: "1918 Aufstand der Matrosen", am 30. November auf Arte und am 4. November im NDR. Das freut uns natürlich sehr.

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