Symbole Weltreligionen
Skizzomat
"Die vielen Facetten stecken auch in uns selbst!"
Vor allem durch direkte Begegnungen lernen Menschen unterschiedlichen Glaubens einander kennen. Fünf Beispiele gelungener Kooperation.
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
Christoph Boeckheler/Medienhaus der EKHN
Tim Wegner
19.10.2018

Die Gesprächsrunde GIRA am Gymnasium in Hamburg-Wilhelmsburg

Über Religion reden, ohne den anderen zu verletzen? "In unserem Gesprächs­kreis kann ich so sein, wie ich bin", sagt Beyza Yilmaz. "Außerhalb von Wilhelmsburg werde ich als Muslimin oft schief angesehen, aber es traut sich niemand, mich anzu­sprechen. Bei GIRA wollen die Leute alles genau wissen. Das finde ich ­besser." GIRA, Gesprächsrunde für interreligiösen Austausch, nennt sich eine Schülergruppe, die sich einmal im Monat trifft, um so zu reden, wie es im regulären Unterricht nicht möglich ist.

Hamburg-Wilhelmsburg, ein kulturell sehr bunter Stadtteil südlich der Elbe, war lange Zeit durch den ­Hafen und die Landwirtschaft geprägt. Zweckbauten, backsteinerne Wohnblocks und ein paar Hochhäuser der städtischen Baugesellschaft Saga. Heute wohnen hier viele zugewanderte Familien, im Einkaufszentrum findet man Dönerstände und Schalter zum Geldüberweisen. Aber Wilhelmsburg entwickelt sich, szenige Restaurants gibt es, ein Kulturzentrum in der ehemaligen Margarinefabrik und viele Studenten und Kreative. Mittendrin und eine treibende Kraft im Wandel ist das baulich und pädagogisch moderne Helmut-Schmidt-Gymnasium. Die Lehrer wollen den Zusammenhalt der pluralen Gesellschaft stärken. GIRA mit seinen oft 20 bis 30 Teilnehmern ist eine wichtige Säule dabei. GIRA arbeitet gegen religiöse Ausgrenzung und für ein gleichberechtigtes Zusammenleben, "auch um durch Wissensvermittlung Radikalisierungen vorzubeugen und das Miteinander zu stärken", sagt Beyza Yilmaz.

Die 21-Jährige studiert inzwischen Sonderpädagogik. Sie gehört zu den Gründern von GIRA, ebenso wie der 20-jährige Protestant Marc Jagow, der vorübergehend Lernbegleiter am Gymnasium ist. Beide haben nach dem Abitur die Verbindungen zu ­ihrer Schule nicht gekappt, sondern organisieren mit anderen, darunter Lehrern und einem Islamwissenschaftler, die Schülertreffen weiter. Bei den Gesprächen geht es oft um den Islam und um Erfahrungen mit Diskriminierung, um das Islambild von Donald Trump, aber auch ums Deutschsein, um religiösen Gruppen­zwang, den Hitzestau unter dem Kopftuch oder ganz praktisch: Wie halal muss das Schulessen sein? Über welche Themen können sie so richtig schön streiten? Besonders ­interessant, erzählt Marc Jagow, sei ein Treffen zum Thema Heimat gewesen. Es ­stellte sich heraus: "Heimat be­deutet etwas völlig Widersprüchliches." Manche benutzen den Begriff, um Menschen auszugrenzen, andere beschreiben damit tiefe positive Empfindungen.

"Wir werden jetzt Partnerschule von Yad Vashem", sagt Schulleiter Volker Clasing stolz. Mit dem selbst geschriebenen Theaterstück "Kein deutscher Land" waren Schülerinnen und Schüler in Jerusalem und Tel Aviv aufgetreten. Wilhelmsburg war für Beyza so ­etwas wie eine kulturelle Komfort­zone. Wer zum Studieren nach Kiel oder Hamburg ging, musste sich gehörig umstellen. "Ein Problem ist manchmal, dass wir zu wenige Nichtmuslime bei uns haben."

Die "Freunde Abrahams" in München

Wenn Stefan Wimmer und sein Münchner Netzwerk im Nahen Osten unterwegs sind, tragen sie Namensschildchen. "Freunde ­Abrahams" steht darauf. Oft wollen Einheimische wissen, wer denn dieser Abraham ist, mit dem die Reise­gruppe befreundet ist? Und schon ist er da, der Anlass für ein Gespräch über jenen Abraham, auf den sich Juden, Christen und Muslime als Stamm­vater berufen. Zu bereden gibt es viel, denn oft staunen Muslime, wenn sie erfahren, dass Abraham, der im Islam Ibrahim heißt, auch in der Bibel und in der Tora eine zentrale Rolle spielt. Und welcher Christ weiß schon, wie Ibrahim im Koran dargestellt wird? Oder dass Juden die Geschichte von Abraham und seinem Sohn Isaak ganz anders interpretieren? 

Nach dem Terrorangriff im September 2001 stellten sich viele Menschen die Frage, was Christen, Juden und Muslime verbindet und was sie trennt – auch Professoren und Theo­logiestudenten an der Ludwig-­Maximilians-Universität München, wo Wimmer damals Assistent war. Als immer mehr Gäste zu den Vorträgen und Diskussionsrunden hinzukamen, gründeten sie den Verein Freunde Abrahams. Mittlerweile hat der Verein 200 Mitglieder, die meisten sind Christen, zehn Prozent sind ­Muslime, auch einige Juden, Bahai und Atheisten machen mit. Stefan Wimmer ist heute der Vorsitzende und lädt im Namen des Freundeskreises mehrmals im Semester zu Vorträgen und Lesungen ein, zu Exkursionen, Begegnungen und Reisen.

Mal trifft man sich in der Univer­sität, mal in einem Pfarrsaal, einer Akademie, in einer Moschee oder in einer Synagoge. Wie vielen inter­religiösen Initiativen geht es den Freunden Abrahams darum, andere Religionen kennenzulernen. Ihr spezieller Fokus liegt dabei auf den gemeinsamen ­Wurzeln im Alten Orient und deren Erforschung. Von dort ausgehend spannen die Freunde einen weiten Bogen bis ins 21. Jahrhundert. Auch Begegnungen mit Bahai, Sikhs oder Quäkern standen schon auf dem Programm. "Die Unterschiede zwischen den Religionen sind für uns keine Probleme, die überwunden werden müssen, sondern eine Bereicherung", sagt Stefan Wimmer. 2017 wurde der Verein mit dem Bürgerpreis des Bayerischen Landtags ausgezeichnet. 

Eine interreligiöse Kindertagesstätte in Gifhorn

Interreligiöses Lernen kann bereits im Sandkasten beginnen. Das zeigt die Kindertagesstätte "Abrahams Kinder". Sie nahm Anfang August im niedersächsischen Gifhorn ihren Betrieb auf. Es ist das erste Projekt dieser Art und wird getragen von der evangelischen Dachstiftung Diakonie, der katholischen St.-Altfrid-Gemeinde und der Ditib-Moschee in Gifhorn. 15 Kinder, davon fünf christliche, fünf muslimische und fünf konfessionslose, werden dort von christlichen sowie muslimischen Mitarbeitern betreut. Religiöse Feste sind ein willkommener Anlass, um mit den Kindern über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu sprechen.

Die Leiterin Linda Minkus erzählt vom islamischen Opferfest Ende ­August: "Wir sind mit den Kindern in den Tagen zuvor eine Bildergeschichte durchgegangen, in der erklärt wird, was das Opferfest ist", so Minkus. Gerade dieses Fest eigne sich für den interreligiösen Dialog, wo doch die Geschichte, wie Abraham fast seinen Sohn geopfert hätte, sowohl im Koran als auch in der Bibel existiert.

Das Opferfest wurde in der Kita mit einem gemeinsamen Frühstück gefeiert – Eltern brachten Essen von zu Hause mit. "Unser Projekt lebt von den verschiedenen Kulturen", sagt Minkus. "Auch wir lernen immer noch etwas dazu, zum Beispiel über Essensgewohnheiten. Das ist auch für uns Mitarbeiter sehr aufregend."

Das multireligiöse "Projekt Dialogperspektiven"

Einmal, auf einem Wochenendseminar, teilten sie sich ein Zimmer, Neta-Paulina Wagner und die junge Muslima. Am Abend des ersten Tages nahm Larissa Zeigerer ihr Kopftuch ab. Und Paulina sah: Sie ist blond. "Ich konnte es nicht fassen. Ich war vollkommen überzeugt, dass eine Frau, die ein Kopftuch trägt, schwarze Haare haben muss. Ich ging rein mit der Überzeugung, dass ich ein sehr liberaler Mensch bin, der wenige Vorurteile hat und sehr offen ist." Und dann das.

Dass Larissa Zeigerer Muslima wurde, ist erst fünf Jahre her. Vor 28 Jahren in Berlin-Kreuzberg geboren, später Schülerin einer anthroposophischen Schule, sagt sie von sich selbst, sie habe sich als Jugendliche "kaum für Religion interessiert". Eher behutsam näherte sie sich dem Islam an, besuchte gelegentlich Moscheen, hörte dort Vorträge. Heute ist sie eine gesuchte Anleiterin für religions­übergreifende Gespräche, schreibt in London an ihrer Magisterarbeit über den jüdisch-islamischen Dialog. Sie wird in Schulen und zu Workshops eingeladen, spricht vor Lehrerkon­ferenzen, nimmt Jugendgruppen mit in Moscheen.

"Weil ich ein Kopftuch trage, ­denken viele, dass ich sehr konser­vativ sein muss", sagt Larissa ­Zeigerer. Aber sie hat viele Seiten. Schon mit 21 Jahren führte sie im ehemaligen KZ Ravensbrück Workshops mit ­Jugendlichen durch, ließ sie mit Video­kameras das Gebäude und Gelände erkunden.

Seit einem Jahr macht sie mit beim "Projekt Dialogperspektiven". Hier treffen junge Leute aus allen 13 religiösen und politischen Begabtenförderungswerken zusammen. Organisiert wird das Projekt vom jüdischen Studienwerk ELES. Larissa Zeigerer gelangte über das muslimische Avicenna-Studienwerk dorthin, freut sich, dass sie zusammen mit den jü-dischen und christlichen Teilnehmern nächs­tes Jahr nach Israel reisen wird.

Warum verwendet Larissa Zeigerer so viel Zeit und Kraft auf Dialoge über religiöse Grenzen hinweg? "Wenn sich Menschen begegnen und miteinander über Religion und über das eigene Leben sprechen, kann das ganz viel bewirken." Fast beiläufig sagt sie: "Das macht Menschen einfach ein bisschen besser."

Im Projekt Dialogperspektiven hat Larissa Zeigerer einen guten Draht gefunden zu Neta-Paulina Wagner. In Berlin geboren, Kind einer christlichen Mutter und eines jüdischen Vaters, eines Israeli, studiert die 28-Jährige zurzeit in Nimwegen und schreibt an ihrer Doktorarbeit. Sie kam über ELES zu dem Projekt. Ihr Vater starb, als Paulina Kind war. "Meine Mutter hat dann die Aufgabe übernommen, mir die Sprachen und die Religionen ­näherzubringen und die kulturellen Hintergründe." Ihre Mutter, Über­setzerin, spricht sieben Sprachen, die Tochter wuchs mehrsprachig auf. Sie sagt: "Es ist für mich sehr schön, diese vielen Facetten zu haben."

Paulina Wagner besuchte eine jüdische Grundschule. Sie arbeitete in Israel als Volonteer, forschte dort für ihre Magisterarbeit und für ihre ­Dissertation über die Grenzen im Kopf und im politischen Alltag. Sie lässt zum Beispiel Palästinenser Land­karten ihrer Heimat zeichnen. Die ­fallen gewaltig unterschiedlich aus. Mal zeigt sich die Heimat expansiv, mal eher klein. Solche inneren Bilder zu ver­ändern ist möglich, aber das dauert.

Neta-Paulina Wagner findet es problematisch, wenn junge Mädchen auf Druck ihrer Eltern ein Kopftuch tragen müssen. Das Kopftuch selbst lehnt sie nicht ab. "Ein Mensch muss nicht neutral aussehen", sagt sie. "Man kann in seiner Rolle durchaus neutral sein, ohne neutral auszusehen." Es gebe auch Menschen, die sich nach außen liberal geben, gleichwohl eine Ideologie verbreiteten.

Das House of One in Berlin

In Berlins Mitte, unweit vom Roten Rathaus, wollen Juden, Christen und Muslime zusammen ein ­Gotteshaus bauen. In diesem "House of One" wollen sie sich austauschen, feiern und beten – jede Religionsgemeinschaft im eigenen Raum, aber unter einem Dach. Die evangelische Gemeinde St.-Petri-St.-Marien hatte die ungewöhnliche Idee und stellt das Grundstück zur Verfügung. Sie fanden die Jüdische Gemeinde in Berlin, das jüdische Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam und das muslimische Forum Dialog als Partner.

Der Journalist Süleyman Bag ­war von Anfang an dabei und sagt: "Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen, das sind so große Aufgaben. Die lassen sich einfacher verwirklichen, wenn sich die Religionen zusammentun." Bislang gibt es das Haus nur als hölzernen Pavillon, der den Grundriss des geplanten 40 Meter ­hohen Ge­bäudes markiert. 2019 soll der Grundstein gelegt werden, auch wenn die 40 Millionen Euro nicht zusammen sind, die für den Bau benötigt werden. In den vergangenen Jahren lud der Trägerverein in Kirchen, Museen und andere öffentliche Orte zu Vorträgen, Konzerten, Friedensgebeten und Meditationen ein. Es ging um Gewalt und Versöhnung in den drei Religionen, um Frauenrechte, Kunst, Wissenschaft und Umweltschutz.

Die Freunde des House of One suchen auch in anderen Weltgegenden "Botschafter", die sich für Verständigung einsetzen. Im August traf Süleyman Bag in der Zentralafrikanischen ­Republik Bischöfe und einen Imam, die sich gegen die politische Instrumentalisierung ihrer Religionen ­wehren und so helfen, den fragilen Frieden zu sichern. Im März besuchte er in Georgien einen orthodoxen Bischof, der Koransuren in seine Messen integriert. In vielen ­Regionen gehöre viel Mut dazu, Gemeinsamkeiten mit anderen Religionen zu suchen. "Das beeindruckt mich sehr", sagt Bag.

Infobox

80,7 ­Prozent der Protestanten finden es gut, wenn Christen und Muslime in Kitas zusammenarbeiten. Auch bei den ­Katholiken sagen das 78,5 Prozent. Dies ­ergibt sich aus einer ­aktuellen Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD. Und drei ­von vier Christen finden es richtig, sich mit Muslimen zu solidarisieren, wenn deren Einrichtungen an­gegriffen werden. Download der Ergebnisse unter: chrismon.de/christen-und-muslime

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