Polizist unter Verdacht - zu Unrecht

Ausgerechnet er ein Verräter?
Oberkommissar Klaus N.

Valeria Schmidt

60-Stunden-Wochen waren die Regel für Oberkommissar Klaus N., 53. Trotzdem war es sein Traumberuf

Oberkommissar Klaus N.

Der engagierte Polizist wurde fälschlich verdächtigt. Es dauerte lange, bis er wieder vertrauen konnte

Klaus N, 53:

Ich arbeitete im Berliner Landeskriminalamt, ­Abteilung 42. "Dort rödeln die Verrückten", sagten die Kollegen in den anderen Stock­werken. ­60-Stunden-Wochen waren die Regel. Wir ermittelten in der organisierten Kriminalität, es ging um die Rocker- und Türsteherszene, Rotlicht­kriminalität, Mord und Totschlag, Menschenhandel, Schutzgelderpressung. Ich war Oberkommissar; dauernd ­klingelte mein Handy. Trotzdem war das mein Traum­beruf. Ich bin am Ku’damm aufgewachsen und wollte etwas dagegen tun, dass die Kieze meiner Geburtsstadt an die Gangster verloren gehen.

Im Mai 2012 plante unsere Einheit den großen Coup: Wir wollten eine Ortsgruppe der türkischen Hells Angels hochnehmen. Doch die Razzia geriet zur Blamage: Wir fanden nichts. Jemand musste die Rocker gewarnt haben.

Ich, der 24-Stunden-Polizist, sollte das Verräterarschloch gewesen sein

Etwa drei Monate später wurde ich in ein Besprechungszimmer im Polizeipräsidium gerufen. Viele Beamte ­saßen da, Dienststellenleiter und ein Staatsanwalt, wie ein Tribunal. "Gegen Sie wird wegen des Verrats von Dienst­geheimnissen ermittelt", sagte einer. Ich, der 24-Stunden-­Polizist, sollte das Verräterarschloch gewesen sein. Ein paar Monate davor hatte ich noch eine Urkunde be­kommen: "für herausragende persönliche Leistungen".

Ein ungeheurer Vorwurf – und kompletter Unfug. Meine Kollegen waren von meiner Unschuld überzeugt. Sie sollten ein paar Jahre später recht bekommen, als das Berliner Landgericht den Vorwurf des Geheimnisverrats erst gar nicht zur Verhandlung zuließ.

Aber jetzt wurde ich erst einmal suspendiert, musste Marke und Dienstwaffe abgeben. Zum Verhängnis war mir geworden, dass ich ein paar Tage vor der Razzia ins Büro gegangen war, trotz Krankschreibung. Dort hatte 
ich dienstliche E-Mails an meinen privaten Account geschickt, um sie später zu Hause zu bearbeiten – mal ­wieder konnte ich nicht die Finger von der Arbeit lassen. Die Mails in meinem Dienst-Account löschte ich dann, um mein Postfach zu leeren. Die internen Ermittler deuteten das alles als konspiratives Verhalten.

Ich schluckte Antidepressiva

Ich stürzte in eine tiefe Depression. Nachts durchlebte ich immer wieder die traumatische Szene im Kon­ferenzraum. In dieser Zeit bedrohten mich zu allem ­Überfluss zwei Mitglieder eines arabischen Clans vor meiner ­Wohnung. Als ich die Kollegen im zuständigen Polizei­revier über den Vorfall informierte, ließ sie das kalt. Ich galt jetzt als der Bösewicht, der keinen Schutz mehr verdiente. Von da an ging ich immer seltener aus dem Haus.

Ich begann eine Verhaltenstherapie und schluckte Antidepressiva. Ganz langsam gewann ich Vertrauen zurück, ins Leben, in meine Mitmenschen. Ich musste lernen, dass nicht jedes Knattern einer Harley Davidson bedeuten muss, dass darauf ein Rocker sitzt, der mir nach dem Leben trachtet.

Aber am meisten Halt hat mir meine Frau gegeben. Sie kommt aus der Ukraine, hat dort Wirtschaft studiert, war hier als Au-pair. Ich lernte sie ein Jahr nach meiner Suspendierung kennen. Mittlerweile sind wir verheiratet und haben eine kleine Tochter. Ein ungewohntes Gemeinschaftsgefühl – nachdem ich früher immer ein einsamer Wolf war und mich nur selten gebunden hatte.

Meine Frau ist sehr ehrgeizig, und das steckt mich an. Sie organisiert den Vertrieb eines ukrainischen Herstellers von Babymode. Nun unterstütze ich sie, wo ich kann. ­Meine alten Kollegen ziehen mich damit auf, dass ich jetzt Baby­strampler verkaufe. Aber das macht mir nichts. Ich kann mich mit meinem neuen Heile-Welt-Leben anfreunden – weil ich mit lauter netten Menschen zu tun habe.

Jetzt verkaufe ich Babystrampler

Mit meinem alten Beruf habe ich abgeschlossen, auch wenn ich rehabilitiert bin. Ich habe das Vertrauen in ­meinen Arbeitgeber verloren. Manchmal überlege ich, die Beamten anzuzeigen, die mich mit ihren Vorwürfen so aus der Bahn geworfen haben. Nicht nur wegen ­falscher Verdächtigung, auch wegen Strafvereitelung. Denn ­meiner Auffassung nach gibt es in den Akten Spuren, die zum mutmaßlichen Verräter führen könnten, einem Beamten in einem anderen Bundesland. Aber ein weiterer Prozess würde mich derzeit zu sehr aufwühlen. Noch nehme ich Medikamente. Ich hoffe, dass meine Wunden mit der Zeit heilen.

Protokoll: Philipp Wurm

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