Im Gefängnis
Illustration: Susann Hesselbarth; Klett Kinderbuch Verlag
Papa ist im Gefängnis
. . . und seine Kinder wollen sich vorstellen können, wie er lebt. Monika Osberghaus und ihr Mann haben ein Buch darüber gemacht.
12.09.2018

chrismon: Wie kamen Sie darauf, ein Kinderbuch über das Gefängnis zu machen?

Monika Osberghaus: Die Uelzener Gefängnispsychologin Susanne Jacob hat uns darauf hingewiesen, dass bislang kein Sachbuch ­Kindern das Gefängnis von innen erklärt. Für die betroffenen Kinder ist es schlimm, so ­wenig zu wissen. Mein Mann und ich ­fanden das Thema so spannend, dass wir selbst ­darüber schreiben wollten.

Wie viele Kinder haben denn einen Vater oder eine Mutter im Gefängnis?

Nach einer etwas älteren Studie sind es in Deutschland rund 100 000 Kinder und Jugendliche. Meist sitzt der Vater hinter Gittern. Man kann jedem männlichen Gefangenen zwei Kinder zurechnen, für die das Thema aus persönlichen Gründen interessant ist, also auch Neffen und Nichten oder jüngere Geschwister. Aber so gut wie alle Kinder interessieren sich für dieses Thema, nicht nur persönlich betroffene. Und viele Erwachsene auch.

Klett Verlag

Monika Osberghaus

Monika Osberghaus leitet seit 2009 den Klett Kinderbuchverlag in Leipzig. Sie wuchs in einer pietistischen Familie auf. Mit 17 brach sie die Schule ab, wurde Buchhändlerin, holte das Abitur nach und studierte Germanistik. Sie war elf Jahre Kinderliteraturkritikerin bei der FAZ, bevor sie ihren eigenen Verlag gründete. Nun hat sie mit ihrem Mann Thomas Engelhardt ein Kinderbuch über das Gefängnis geschrieben.

Wie haben Ihr Mann und Sie für das Buch recherchiert?

Susanne Jacob hat uns in die Uelzener JVA eingeladen und uns dort buchstäblich sämtliche Türen geöffnet. Durch ihre Kontakte hat sie uns auch einige andere Gefängnisse zugänglich gemacht und uns mit Anstalts­leitern zusammengebracht. Insgesamt waren wir sechs Mal in verschiedenen Gefängnissen, zwei Mal davon zusammen mit der Illustratorin Susann Hesselbarth. Wir haben auch Bücher gelesen und mit Fachleuten gesprochen.

Warum nahmen Sie die Illustratorin mit?

Wir durften im Gefängnis keine Fotos machen. Also hat Susann Hesselbarth ihren Skizzenblock vollgezeichnet. Wichtig war auch für sie, die Atmosphäre zu erleben, Leuten in die Gesichter zu schauen, ­Geräusche zu hören und das Gefühl, eingeschlossen zu sein, am eigenen Körper zu spüren, um auch das in den Bildern ausdrücken zu können.

Wie ist das Gefühl?

Beklemmend. Man möchte am liebsten sofort wieder raus! Für die Gefangenen, die einfahren, ist es noch schlimmer, da sie erst einmal alles Persönliche ablegen und ab­geben ­müssen. Es ist wohl so, als gebe man sein ­Leben ab, jedenfalls weitgehend. Ich ­habe unwillkürlich überall nach Möglichkeiten Ausschau gehalten, noch etwas Individualität zu erhalten. Wir haben immer aufgeatmet, wenn wir nach einem Tag oder auch nur nach einigen Stunden wieder rauskamen.

Wohin durften Sie nicht gehen?

Wir durften überall reinschauen, wofür wir uns interessierten. Sogar in einzelne Haft­räume – wo die Kinder der Gefangenen niemals hindürfen. Sie kennen höchstens den ­Gefängniseingang und den Besucherraum. Und so haben sie gar kein Gefühl dafür, wo und wie ihr Papa oder ihre Mama jetzt zu Hause ist. Das ist Gift, weil sie so die Abwesenheit des Elternteils nicht richtig verstehen und verorten können. Wir haben also versucht, uns stellvertretend für sie dort umzuschauen und die Fragen an die Gefangenen zu stellen, die Kinder interessieren.

"Überrascht hat uns vor allem die Menschlichkeit"

Welche Fragen?

Was darf man ins Gefängnis mitnehmen, was nicht und warum nicht? Wie sehen die Hafträume aus? Wie läuft der Tag ab? Welche Arbeit gibt es zu tun? Kann man im Gefängnis Freundschaften schließen? Wann darf man mal ins Freie? Und, und, und.

Was haben Sie dazugelernt?

Überrascht hat uns vor allem die Menschlichkeit, auch bei den Justizvollzugsbeamten. Sie sind sehr um ein gutes ­soziales Klima bemüht. Wir waren ­total beeindruckt, wie sie ver­suchen, auch da noch einen Rest Menschlichkeit aufrechtzuerhalten.

Wie gelingt das?

Durch respektvollen Umgang, durch gut durchdachte und verlässliche Routinen, durch Mitdenken. Und durch das Bemühen, den Gefangenen ­Dinge zu ermöglichen, die ihnen wichtig sind und ihnen Stabilität geben: Sport zum Beispiel, Besuche. Durch stoische Selbstbeherrschung, auch wenn ein Gefangener sich aggressiv verhält. Und durch viel Humor.

Was motiviert Menschen, im Gefängnis zu arbeiten?

Die Arbeit im Gefängnis ist vielseitiger, als man denkt. Es ist ja eine eigene Welt. Ein Bediensteter kann sich einen Bereich suchen, der gut zu ihm passt – indem er die Sport­aktivitäten betreut oder die Gärtnerei. Es ist ein verlässlicher Arbeitsplatz. Man hat mit Menschen zu tun, aber auch mit Sicherheit, Ordnung und Klarheit in allen Abläufen. Viele Bedienstete waren früher bei der Bundeswehr und haben kein Problem mit Uniformen und Hierarchien. Und – sehr wichtig: Wenn die Anstaltsleitung ihre Gesamtaufgabe ernst nimmt und gut gestalten will, strahlt das auf die Mitarbeiter aus. Da wir nur in Gefängnissen waren, in denen die ­Leiter unserem Projekt gegenüber aufge­schlossen waren und sich viele Gedanken über den Justiz­vollzug machen, haben wir kaum desinteressierte, frustrierte Mitarbeiter ge­troffen. Die gibt es aber sicher auch.

Was hat Ihnen in den Gefängnissen, die Sie gesehen haben, am besten gefallen?

Wir trafen einen Kunsttherapeuten, der so richtig für seine Arbeit brennt, auch nach vielen Jahren noch. Er lässt gefangene Väter Porträts ihrer Kinder malen, in verblüffender Qualität. Manche dieser Männer erleben erst in der Haft, was es bedeutet, ein Kind zu haben – und sie fangen dort an, an dieser Verbindung zu arbeiten. Das war sehr berührend.

Und was fanden Sie am schlimmsten?

Das bleierne Gefühl von Zeit, die nicht vergeht. Von sinnlos verwarteter, elend langer Zeit. Man versteht, dass viele Gefangene versuchen, sich das Leben zu nehmen. In der Vollzugsanstalt zu sein, legt sich wie Mehltau aufs Gemüt: Dies hier bringt doch nichts! Wofür das alles, dieser ganze Aufwand?

"Das Beste ist eigentlich immer Offenheit"

Haben Sie mit Kindern von Gefangenen gesprochen?

Ja, wir durften mit zu einer Weihnachtsfeier. Etwa 200 Leute kamen in der Uelzener Sporthalle zusammen, Gefangene, Familienangehörige, Beamte – in unserem Buch haben wir ein Bild davon. Da tobten die Kinder herum, und wir konnten mit Familien reden. Es war auch ein Mädchen dabei, das unser Vorbild für die Hauptfigur Sina wurde.

Sina schämt sich erst, ihrer Freundin zu erzählen, wo ihr Vater ist, tut es dann aber doch. Wie ist das in der Realität?

Fast niemand erzählt die Wahrheit. Viele Mütter ziehen aus ihrem Heimatort weg. Aber auch dann bleibt es sehr schwierig für sie, ­eine Legende zu erfinden. Und selbst wenn man noch so sozial kompetent ist und freimütig damit umgehen kann, weiß man nie, wie andere darauf reagieren, und ob man nicht doch von Nachbarn oder in der Schule stigmatisiert wird. Wir haben beschrieben, dass Sinas beste Freundin Emma die Wahrheit erfährt und sie auch nicht weitererzählt. Das ist natürlich ­ideal. Das Mädchen, das Vorbild für Sina war, hat das genauso gemacht. Und ihre Mutter sagte: Ich erzähle das überall, hilft doch nichts, so ist es eben. Aber so jemand ist selten.

Was denken sich die Leute aus?

Einem Vierjährigen, dessen Vater bald wieder herauskommen sollte, wurde erzählt, dass sein Papa bei der Polizei arbeitet und all die Dienstwagen repariert, die vor dem Gefängnis stehen. Papa sei so wichtig für die Polizei, dass er immer im Dienst sein müsse und deshalb nie nach Hause könne. Der Junge war super­stolz auf seinen Vater. Ich fand das fast zum Heulen. Was, wenn er später mal die Wahrheit erfährt? Viele denken sich aus, dass der Vater auf See ist, krank ist, einen wichtigen Einsatz im Ausland hat, irgendetwas, damit die Kinder stolz sein können. Das Beste ist eigentlich immer Offenheit, aber die hat Konsequenzen, da muss man stark sein. Man kann gut ver­stehen, dass das nicht jeder schafft.

Im Nachwort steht, Sinas Geschichte ver­laufe ein wenig zu ideal. Warum haben Sie sie trotzdem so geschrieben?

Die Geschichte ist nicht unrealistisch. Die Gefängniskarrieren von Vätern, die mit ihrer Familie in gutem Kontakt stehen, verlaufen oft besser als die von anderen. Man hört ja so oft, dass Häftlinge im Gefängnis noch krimi­neller werden, und leider stimmt das auch viel zu häufig. Aber wenn sich einer im Gefängnis mit seiner Vaterrolle beschäftigt und später draußen Bewährungshilfe in Anspruch nimmt, hat er eine sehr gute Sozialprognose. Die Bewährungshelfer sagen, das sind ihre liebsten Klienten, weil sie sich für ihre Familie, für ihre Kinder anstrengen.

Und das wollten Sie erzählen?

Ja, weil es für Kinder besser ist. Es gibt bestimmt viele Kinder von Inhaftierten, die Schlimmeres erleben, aber was hat es für einen Sinn, das zu erzählen? Wir wollten ein bisschen Hoffnung verbreiten, Mut machen. Und ein Buch schreiben, das man gerne liest.

Wie reagieren Kinder bislang auf das Buch?

Wir hören: Wer es in die Hand nimmt, liest es von Anfang bis Ende durch. Das Buch scheint vor allem Jungen magnetisch anzuziehen. Jungs, die sonst nicht so gerne lesen.

"Gefängnisse sollen nicht strafen, sondern resozialisieren: das geht total schief"

Warum?

Na ja, sie finden die Technik spannend, Wachsysteme, Schließsicherheit, Überwachungsbildschirme. Das ist ja keine aus­gedachte Detektivgeschichte, es geht um echte Verbrecher und um das, was nach der Tat passiert. Und was sie bei Lesungen auch neugierig fragen: Wie könnte man aus dem Gefängnis ausbrechen? Es wird ja ein Riesen­aufwand betrieben, damit das nicht geschieht, und trotzdem gelingt es manchmal.

Für wie sinnvoll halten Sie Gefängnisse?

Eher für sinnlos. Ich stimme dem früheren Anstaltsleiter Thomas Galli zu, dem Autor von "Die Schwere der Schuld". Auch er kann das ganze System nicht mehr vertreten. Für schwere, unverbesserliche Gewalttäter braucht man eine Sicherheitsverwahrung, denn vor ihnen muss man die Gesellschaft wirklich schützen. Aber das sind nur rund fünf Prozent. Und daneben sitzen Leute, die vielleicht nur mehrfach schwarzgefahren sind. Die brauchen das Gefängnis wirklich nicht.

Warum nicht?

Gefängnisse sollen ja nicht strafen, sondern resozialisieren, und das geht da total schief. In den meisten Fällen ist das Gefängnis also unnötig und unmenschlich. Es entspricht höchs­tens dem Strafbedürfnis der Gesellschaft. Und dafür kostet es auch noch wahnsinnig viel Geld und Ressourcen.

Warum geht die Resozialisierung im Gefängnis schief?

Die Insassen verlernen den Alltag, weil in allem für sie gesorgt wird. Sie vergessen, wie man ein Konto führt, wie man Essen einkauft, wie man eine Wohnung mietet, wie man sich da verhält. Wenn sie viele Jahre drin sind, haben sie regelrecht Schiss, raus­zu­kommen. Außerdem können Gefangene wegen der mafiösen Strukturen drinnen erst recht kriminell werden. Sie werden geradezu dazu gezwungen. Es wäre gefährlich für sie, sich zum Beispiel der Russenmafia zu wider­setzen.

Was wäre die Alternative?

Zurzeit denken viele kluge Leute darüber nach, welche Formen der Wiedergutmachung es geben könnte. Wir haben offensichtlich ein sehr starkes Strafbedürfnis. Aber viel wichtiger wäre, die Schuld abzuarbeiten, den Schaden wiedergutzumachen und Wunden zu heilen.

Produktinfo

Im Gefängnis. 
Ein Kinderbuch 
über das Leben 
hinter Gittern. 
Klett Kinderbuch, 
96 Seiten, gebunden,
14 Euro.

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