Das beweist die Statistik!
Wie Zahlen, Daten und Hochrechnungen unser Dasein bestimmen.
Lena Uphoff
28.08.2018

Die Lebenserwartung in Deutschland steigt – und zwar stetig. Das ist tausendfach statistisch nachgewiesen. Als die Alters­forscher vor ein paar Monaten mitteilten, dass Menschen, die nach 2030 geboren werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit über 90 Jahre alt würden, wollte ich meine Ur­enkel herzlich beglückwünschen. Da sie aber noch nicht auf der Welt sind und ich – rein statistisch – nur noch eine durchschnittliche ­Lebenserwartung von zehn Jahren habe, werde ich ­ihnen dies schriftlich mitteilen müssen.

Der Gesundheitsbetrieb lebt von wissenschaftlichen Analysen, von Hochrechnungen und Durchschnittswerten. Und selbst in Familien und Freundeskreisen heben viele gerne warnend den Zeigefinger und ­weisen auf neueste Ergebnisse aus der Zahlen­welt hin, wenn ihnen die uralte Eröffnungs­frage "Wie geht es dir?" gestellt wird. Meine Antwort lautet zumeist: "Ganz gut. Ich habe jetzt beschlossen, als Fußgänger die Zebrastreifen ­immer zuerst mit dem rechten Fuß zu betreten. Denn eine neue Studie in der Verkehrsforschung hat ergeben, dass die Unfallwahrscheinlichkeit ­damit um 0,37 Prozent verringert wird."

Lena Uphoff

Arnd Brummer

Arnd Brummer, geboren 1957, ist Journalist und Autor. Bis März 2022 war er geschäftsführender Herausgeber von chrismon. Von der ersten Ausgabe des Magazins im Oktober 2000 bis Ende 2017 wirkte er als Chefredakteur. Nach einem Tageszeitungsvolontariat beim "Schwarzwälder Boten" arbeitete er als Kultur- und Politikredakteur bei mehreren Tageszeitungen, leitete eine Radiostation und berichtete aus der damaligen Bundeshauptstadt Bonn als Korrespondent über Außen-, Verteidigungs- und Gesellschaftspolitik. Seit seinem Wechsel in die Chefredaktion des "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts", dem Vorgänger von chrismon im Jahr 1991, widmet er sich zudem grundsätzlichen Fragen zum Verhältnis Kirche-Staat sowie Kirche-Gesellschaft. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt kulturwissenschaftlichen und religionssoziologischen Themen. Brummer schrieb ein Buch über die Reform des Gesundheitswesens und ist Herausgeber mehrerer Bücher zur Reform von Kirche und Diakonie.

Das provoziert meinen alten ­Kumpel Michi, überzeugten Linkshänder und -füßer in Musik und ­Fußball: "Das ist wieder typisch für die Larmoyanz dieser rechtshändigen Welt! Solche Quatschzahlen werden in sogenannten Wissenschaftssendungen in Radio und Fernsehen ständig herausposaunt!" Michi schnappt sich sein Weinglas mit rechts und die Flasche mit links. Dann zischt er: "Dass wir Linkshänder durch die ständige Benachteiligung provoziert und viele von uns deshalb höchst erfolgreich werden, bleibt in den Schubladen! Wer weiß denn schon, dass Albert Einstein und Ludwig van Beethoven Linkshänder waren?" Da mischt sich Susi ein, Michis vierte Ehefrau: "Jetzt lass es mal gut sein! Es ist nicht entscheidend, ob du dein Glas mit rechts hältst und mit links füllst. Wichtig ist, dass du jetzt aufhörst! Ich habe mitgezählt! Das war schon das fünfte Achtel, das du reingezogen hast. Medizinische ­Forscher haben gerade publiziert, wie sehr der Alkoholkonsum Intelligenz und Erinnerungsvermögen negativ beeinflusst. Also: Schluss jetzt! Da drüben stehen Säfte und Wasser." ­Susi hat recht – wenn man die Sache nur medizinisch berechnet.

Studien sind die Religion der Gegenwart

Mich würde mal interessieren, wie wohltuend sich Gemeinschaft auf Gesundheit und Lebenserwartung auswirkt, auch wenn man in froher Runde mal über die durchschnittlich gesundheitsverträglichen Promillewerte hinaus zecht. Da schaltet sich der bisher schweigsame Joe ein. ­"Ja, auch dazu gibt es eine spannende ­Untersuchung. Wenn ich mich recht erinnere, stammt sie von der Univer­sität Oxford. Danach tut es der Gesundheit von Männern gut, sich mindestens zweimal pro Woche mit maximal ­
vier anderen zu treffen. Ob sie dabei mehrere Bierchen trinken, zocken oder Sport treiben, sei nebensächlich."

"Haha", unterbricht ihn Susi, "davon habe ich im Radio auch gehört. Immerhin hat der Londoner Korrespondent dem Moderator berichtet, dass diese Studie von der Brauerei Guinness gesponsert worden sei." Mich würde, rein sadistisch, Entschuldigung: rein statistisch, mal interessieren, wer hinter all den "wissenschaftlichen" Untersuchungen steckt, die unser Leben heutzutage stärker beeinflussen als alles andere. Wie oft begegne ich in Ge­sprächen über Welt und Wirklichkeit der Schluss­formel "das ist wissenschaftlich bewiesen"? Das ist die Religion der Gegenwart. Die Formel will jeden Widerspruch stoppen, wie einst der Satz "So steht es in der Bibel". Ich hebe die Hand und rufe in die Runde: ­"Ich glaube an die Oxford-Studie! Noch ­eine Flasche Riesling bitte!"

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Ich habe viel mit älteren Menschen zu tun; ich bin selbst 10 Jahre älter als Sie u.a. studierter Statistiker (an der Uni in Würzburg). Zudem habe ich in der Versicherungswirtschaft mit der Thematik und Sterbetafeln zur Berechnung von Rückstellungen jahrelang zu tun gehabt.
Ich gebe daher meinen Kampf gegen die Verbreitung von irrigen Volks- und Stammtischmeinungen nicht auf, dass Männer heute mit dem 78 Jahren und Frauen mit 84 Jahren längst überfällig seien.
Neulich sagte eine Ärztin in der Helios-Klink, München zu meinem Bekannten, der jetzt 92 Jahre alt ist und akute Probleme mit dem Stuhlgang hatte: " H. A., wollen Sie 93 werden?" Mehr Dummheit am Krankenbett geht nicht! H.A. wird schon am 30 9.18 93 Jahre alt! Ich beruhigte ihn und sagte ihm, dass seine Lebenserwartung natürlich noch einige Jahre mehr sein wird.
Denn lt. Statistik und jüngster Aussage unseres Bundesamtes (s. Anlage) gilt: "Das erreichbare Durchschnittsalter eines männlichen Neugeborenen in Deutschland beträgt laut der Sterbetafel 2014/2016 durchschnittlich 78,31 Jahre." Bei neugeborenen Mädchen sind es 83,2 Jahre. Wie die Grafik auch zeigt, haben 90 jährige Männer noch eine Erwartung von 3,7 und gleichaltrige Frauen von 4,1 Jahren.
Im Internet seht, dass Sie 1957 geboren und 61 Jahre alt sind. Demnach beträgt Ihre Lebenserwartung noch ca. 22 Jahre und nicht wie Sie schreiben: "nur noch 10 Jahre!" Ob die Verdoppelung allerdings ausreicht für heute noch nicht geborene Enkelkinder, liegt nicht in Gottes- und auch nicht Ihrer Hand.
Meine ganz große Bitte: Machen Sie Ihren Leser mehr Lebensmut und schauen Sie wirklich in die Statistik des Bundesamtes, bevor und wenn Sie diese zitieren.

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