Religion für Einsteiger - Gewissen
Religion für Einsteiger - Gewissen
Lisa Rienermann
Muss man dem Gewissen immer folgen?
Und was, wenn es irrt? Der Hinweis auf eine Gewissensentscheidung beendet 
so manche Diskussion. Aber das beantwortet nicht alle Fragen.
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
21.12.2017

Geht es um das Thema Homosexualität, sind die Stichworte Gewissen und Gewissensfreiheit oft nicht weit. In der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens ist eine Segnung schwuler Paare zwar erlaubt, Pfarrer dürfen sie aber aus Gewissensgründen verweigern. Kanzlerin Angela Merkel, die sich lange der „Ehe für alle“ widersetzt hatte, äußerte unerwartet in einer Talkshow, diese Entscheidung könne man getrost der Gewissensfreiheit der Abgeordneten überlassen. So war es dann auch, und die „Ehe für alle“ wurde beschlossen. Auf ihre Gewissensfreiheit berufen sich auch Eltern, die ihre Kinder nicht in staatliche Schulen schicken, weil sie befürchten, dort würden ihnen falsche Auffassungen beigebracht: die Evolutionslehre zum Beispiel oder eine aufgeklärte Sexualität.

Die Gewissensfreiheit dient dem Schutz der Persönlichkeit. Diese soll sich innerlich nicht entzweien, sich treu bleiben können, auch wenn sie sich von anderen bedrängt fühlt. Geht es darum, das Leben zu schützen, dann leuchtet die Berufung auf das eigene Gewissen schnell ein. Ein Major der Bundeswehr will keine Software entwickeln, die im Irakkrieg eingesetzt wird. Männer verweigern den Kriegsdienst. Eine Biologiestudentin weigert sich, Tiere zu sezieren, die eigens für ihr Studium getötet wurden.

Das Gewissen ist etwas anderes als ein Trumpf im Ärmel

Kommentare zum Grundgesetz erklären eine Gewissensentscheidung als ernste (!) sittliche Entscheidung, die der Einzelne als unbedingt bindend versteht, so dass er sie nicht ohne Gewissensnot umstoßen kann. Geht es aber eher darum, seine eigenen 
Erziehungsmaximen oder Vorlieben, zum Beispiel die der Heteroehe, zum alleinigen Maßstab zu machen, dann wirft das sehr ernste Fragen auf. Denn das Gewissen ist etwas anderes als ein Trumpf im Ärmel, den man einfach zieht, um alles Nachdenken, jede Nachfrage abzuwürgen.

Wer sich auf eine Gewissensentscheidung beruft, muss auch bereit sein, darüber Auskunft zu geben. So klar und konsequent wie Martin Luther 1521 vor dem Reichstag zu Worms, so möchten viele sein. Luther erklärte dort, er könne seine refor­­ma­torischen Schriften nicht widerrufen, denn die Bibel verpflichte ihn zu seiner Haltung: „Mein Gewissen ist gebunden in Gottes Wort. Widerrufen kann und will ich nichts, weil wider das Gewissen zu handeln nicht sicher und nicht lauter ist. Gott helfe mir. Amen.“ Die Gewissensfreiheit, die Luther in Anspruch nahm, ist allerdings ­eine andere als die, die neuzeitliche Ver­fassungen wie die der Paulskirche von 1848 oder der Artikel 4 des Grundgesetzes garantieren. Für Luther war das Gewissen die innere Instanz, die über seine Treue zu Gottes Wort wacht. Zwar kann man Luther als Wegbe­reiter der heutigen Gewissensfreiheit bezeichnen, aber eine Gewissens- oder die Religionsfreiheit im heutigen Sinn zu fordern war außerhalb seiner Vorstellungswelt.

Auch bei offensichtlich falschen Auffassungen gilt die Gewissensfreiheit

Die katholische Kirche hatte mit diesem Freiheitsrecht sogar noch vor 50 Jahren größte Probleme. Päpste ­sahen sie zuvor als „modrige Quelle der Gleichgültigkeit“ und als „Wahnsinn“ (Papst Gregor 1832). Erst im Zweiten Vatikanischen Konzil 1965 und in dessen Erklärung „Über die menschliche Würde“ bekannte sie sich klar zur Religions- und Gewissens­freiheit.

Auch bei offensichtlich falschen Auffassungen gilt die Gewissensfreiheit – mit einer Einschränkung. Wie Gerhard Robbers, Rechtsprofessor in Trier und Lutherkenner, in einer Rede in Worms betonte, ist diese Freiheit lediglich begrenzt durch die Werte des Grundgesetzes. Und er gab ernste Empfehlungen: Viel für die Bildung des Gewissens tun! Selbstzweifel zulassen! Sich selbst hinterfragen!

Für den Umgang mit verbohrten Haltungen empfiehlt der Apostel Paulus: Schont die Menschen, die sich von rigiden Normen bestimmen lassen! Wer das (irrende) Gewissen eines anderen bedrängt und dadurch verletzt, versündigt sich gegen Gott! (1. Korinther 8) Im konkreten Fall ging es um den umstrittenen Verzehr des Fleisches, das in einem heidnischen Tempel übrig geblieben war. Ganz grundsätzlich geht es um mehr: um Respekt und Liebe, die weiter trägt als alles Besserwissen.

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