Seyran Ates im Gebetsraum der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee
Seyran Ates, standing at center, founder of the Ibn-Rushd-Goethe-Mosque gestures during the opening of the mosque in Berlin, Germany, Friday, June 16, 2017. Ates the 54-year-old daughter of Turkish immigrants has founded the first liberal mosque in Germany where men and women can pray together, homosexuals are welcome and Muslims of all sects can leave their inner-religious conflicts behind. (AP Photo/Michael Sohn)
Michael Sohn/picture alliance/AP Photo
"Nur Gott kann über den Glauben richten"
In Berlin hat die Rechtsanwältin Seyran Ateş eine liberale Moschee eröffnet. Nun erhält sie Mord­drohungen. Die ägyptische Religionsbehörde, an­gesiedelt an der Al-Azhar-Universität, kritisiert ihre ­Initiative aufs Schärfste. Mouhanad Khorchide findet: zu Unrecht
Manoel Eisenbacher
27.07.2017

chrismon: Al-Azhar sagt, was Seyran Ateş’ Reformgemeinde macht, sei nicht islamisch. Was sagen Sie?
Mouhanad Khorchide: Das Beten zu Gott ist selbstverständlich islamisch. Wir Menschen dürfen dies niemandem absprechen. Das Freitagsgebet von Seyran Ateş ist anders als gewohnt. Ich sehe das entspannt, denn es gibt Muslime, die noch nie in einer Moschee gebetet haben und nun gerade dort für sich einen Zugang zum Gebet finden. Warum nicht? Niemand ist gezwungen, dort hinzugehen.  

Über den IS sagten Gelehrte der Al-Azhar 2014, sie würden niemanden als ungläubig verdammen. Wie ernst nehmen Sie diese Institution? 

Mouhanad Khorchide

Mouhanad Khorchide, Jahrgang 1971, wurde in Beirut geboren. Er studierte Soziologie und Islamische Theologie. In Wien war er einige Jahre als Imam tätig. Seit 2010 ist er Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster.

Niemand darf über den Glauben eines anderen richten. Das obliegt nur Gott. Ich schätze die Al-Azhar als wichtige Uni. Dennoch lehnt der Islam die Idee einer religiösen ­Autorität, sei es eine Person oder eine Institution, strikt ab. Jeder darf für sich entscheiden, wie er seinen Glauben lebt und verantwortet, solange er sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegt.

Am meisten Anstoß nehmen konservative Muslime daran, dass Frauen und Männer gemeinsam beten. Was ist das Problem?
Würde es aus einer islamischen Sicht ein Problem geben, dürften Männer und Frauen in der heiligen Moschee in Mekka nicht gemischt nebeneinander beten. Aber seit den Anfängen des Islams beten sie dort gemischt. In anderen Moscheen hat sich die Tradition etabliert, dass beide getrennt beten. Das ist allerdings eine Konvention. Ich finde es wichtig, dass sich die innerislamische Vielfalt auch in Deutschland widerspiegelt. 

Warum sind konservative Stimmen weltweit so laut? 
Die islamische Welt leidet heute unter einer Bildungskrise. Positionen, die manchen als gottgegeben erscheinen ­mögen, sind nur ein Teil der Islamischen Tradition. Es gab schon früher islamische Gelehrte, die zum Beispiel kein Problem sahen, wenn eine Frau Imamin wurde. Aber wer kennt diese Positionen? Die Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition setzt Bildung voraus.

Frau Ateş wird bedroht. Woher kommt die Aggression?  
Toleranz und Anerkennung des anderen sind Grundwerte, die nicht von allen Muslimen verinnerlicht worden sind. ­Manche gehen davon aus, dass es eine einzige wahre Aus­legung des Islams gebe und alles andere unislamisch sei und bekämpft werden müsse. Wir müssen lernen, konstruktiv mit Vielfalt umzugehen und sie aktiv zu schützen. Aber so weit sind einige noch lange nicht.

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