Erst saufen, dann fasten – das sollte längst abgeschafft sein
Lehrerin Anneliese brachte dem Schüler Arnd Brummer die Wahrheit über Karneval bei
Lena Uphoff
22.03.2017

Humor ist harte Arbeit. Und die Geschichte des Adieu-Sagens nachzuzeichnen allemal. Sagt dem Fleisch „Auf Wieder­sehen!“: Nichts anderes bedeutet „carne levare“, sagen die ­einen. Die anderen behaupten, „Karneval“ käme von einem „carrus navalis“, einem Schiff auf Rädern, das man nach dem Ende des Winters von den Schuppen zu den aufgetauten Flüssen geschleppt hätte.

Es ist unglaublich wichtig, dass man die Geschichte des Blödsinns mit größtmöglichem Ernst analysiert oder „­anneliesiert“, wie mein Schulkumpel Martin blödelte, um damit unsere Geschichtslehrerin Anneliese B. abzuqualifizieren. Kein Witz! Die kluge Oberstudien-„Rättin“ (alaaf!), aus Norddeutschland in ­alemannische Gaue gezogen, versuchte uns mit unendlicher Geduld den Begriff „Fasnet“ oder „Fassenacht“ verständlich zu machen. Mit „Nacht“ habe die Formel schlichtweg gar nix zu tun. Eigentlich hätten die mittelalterlichen Menschen ausgerufen, „das Fas­ten naht!“, um ihre Nachbarn zum Vertilgen der letzten Reste von dann verbotenen Nahrungsmitteln aufzufordern.

"Konsum-Orgien produzieren fundamentalistische Asketikfanatiker"

Die Lehrerin ließ uns den Furor der säkularistischen Aufklärung spüren, indem sie uns die „historische Wahrheit“ präsentierte: Die Leute hätten einander in alten Zeiten quasi genötigt, fette Würste, Schmalz und Butter, verderbliche Alkoholika wie Bier und Likör unter Todesverachtung in die Speiseröhren zu befördern. Dabei sei ihnen so schlecht geworden, dass sie sich schreiend und grunzend vor den Tischen auf dem Boden gewälzt hätten. Und darüber hätten sich dann die besonders Frommen, für die das ganze Jahr Fastenzeit gewesen sei, mit Häme und Herabwürdigung lustig gemacht. So weit, so schlecht.

Aufgeklärt, wie wir heutzutage seien, völlig losgelöst von albernen, menschenverachtenden Traditionen, schloss Anne­liese B., sollten wir nunmehr solch närrischen Unfug ebenso abschaffen wie die darauf folgende Zeit der Verinnerlichung. Ein vernünftiges Leben brauche keine solchen extremen Ausschläge in Übermut oder Askese. Im Sinne Immanuel Kants und seines kategorischen Imperativs gehe es um gelebte Vernunft, um maßvolles Sein, um ein selbstbestimmtes Alltagsleben.

Jooo! Der ganze Rummel, fügte sie gekonnt antikapitalistisch hinzu, habe seine Inhalte im Übrigen ja längst verloren, sei nur noch Kommerz. Die ökonomischen Interessen diktierten den Lebenswandel. Die Oberstudienrätin, das muss gerade nach den islamistischen Mordtaten auf dem Berliner Adventsmarkt hinzugefügt werden, ist sich als linksliberale Denkerin noch heute sicher: Die Dialektik des Extremen, zumal die religiöse, ist die größte Gefahr für menschliches Zusammenleben. 

Das hat sie mir anfangs des Jahres erzählt, als ich sie zufällig bei einem heimatlichen Stadtrundgang entdeckt und begrüßt hatte: „Spaß- und Konsumorgien produzieren fundamentalistische Asketikfanatiker. Und die wiederum werden zum Hassbild für den Rest.“ Da war der – inzwischen älteren – Dame schwer zu widersprechen. 

Kluger Humor ist harte Arbeit

Dass der Humor das Unerträgliche abmildere, lässt sie gelten. Meine Wiedergabe ihrer Geschichtsstunde über Karneval und Fastenzeit wies sie kopfschüttelnd zurück. „Ich liebe Kabarett und ertrage sogar diese Comedy. Wenn ich früher nach München fuhr, besuchte ich Vorstellungen der Lach- und Schießgesellschaft. Und wenn ich demnächst bei meiner Nichte in Mainz zu Gast bin, wird mich mein Weg sicherlich ins ‚Unterhaus‘ führen. Nur: Für Humor und Witz muss man doch nicht Lieder grölen und saufend am sogenannten Rosenmontag durch die Altstädte rennen!“ 

Ihre Nichte und deren riesiger Freundeskreis, schloss sie zufrieden, teile diese Auffassung „zu hundert Prozent. Und die ist gerade mal 28 Jahre alt. Zum Schreien und Toben, meinen die jungen Leute, gehe man ins Fußballstadion.“

Und guter Humor, merkte sie an, bevor sie mir das Du anbot – „Anneliese, das weißt du ja“ –, sei dann am besten, wenn kluge Leute „hart daran arbeiten“. Also: helau und alaaf! Aber solide vorbereiten! Und nicht übertreiben!

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