Dörte Hansen, © 2017 Dirk von Nayhauß
Dirk von Nayhauß
"Ich möchte so gern das Polarlicht sehen!"
Bestsellerautorin Dörte Hansen zog vom Alten Land in eine neue Heimat
Dirk von Nayhauß
28.02.2017

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Beim Schreiben kann ich mich vergessen – das fühlt sich wunderbar an. Es ist, als sei ich in einer anderen Welt. Das hat etwas Räumliches, ich bin an dem Ort mit diesen Menschen zusammen. Zugleich bin ich Teil eines Geschehens, es passiert mit mir. Wenn es klappt, dann komme ich plötzlich in Sätzen an, von denen ich vorher nichts wusste. Es ist aufregend, zu spüren: Da ist noch etwas Unbekanntes. Aber dann plagen mich auch Selbstzweifel, da bin ich bestimmt nicht die Einzige. Ich gehe jeden Tag in mein Zimmer und muss erst einmal diese Stimme abwehren, die sagt: Ach, das wird eh nichts. Lass es doch!

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Spielen, und zwar auf eine selbstvergessene, zweckfreie Art. Also Schleichtiere mit in die Badewanne nehmen und damit spielen, bis das Wasser kalt ist. Und sich nicht fragen: Warum mache ich das? Ich würde gern wieder lernen, vollkommen in Dingen zu versinken, die man nur um ihrer selbst willen tut.

Dirk von Nayhauß

Dörte Hansen

Dörte Hansen, geboren 1964 in Husum, studierte Sprachwissenschaften in Kiel und Galway (Irland), schrieb eine Doktorarbeit über Mehrsprachigkeit, arbeitete für Wissenschaftsmagazine und Reisezeitschriften, kam als Quereinsteigerin zum Radio und war ein paar Jahre lang Redakteurin bei NDR Info. Heute arbeitet sie als freie Autorin für Hörfunk und Print. Für ihre Reportagen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Medienpreis der Kindernothilfe.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Ich habe das Gefühl, dass ich geführt oder geschoben wurde. Ich bin für so vieles irre dankbar, weiß aber nicht, wohin mit dieser Dankbarkeit, weil ich denke: Wenn es jemand so gut mit mir meint, wer ist das? Denn der meint es mit anderen offensichtlich überhaupt nicht gut. Ich komme über diese Hürde nicht hinweg. Nicht tiefer fallen können als in Gottes Hand, wie es Margot ­Käßmann ausgedrückt hat, das muss ein tolles Gefühl sein. Aber: Wenn ein syrisches Kind in Aleppo in seinem Krankenhaus getötet wird, dann hat Gottes Hand doch nichts Abfederndes oder Tröstendes für dieses Kind. Wenn man sich anguckt, was Menschen widerfährt, dann ist für mich Gottes Hand der Boden eines tiefen, tiefen Abgrundes. Ich suche Gott noch immer. Es gibt Menschen, die eine Begabung zum Glauben haben. Ich hätte das auch gern.

Muss man den Tod fürchten?

Das Leben kann furchterregend sein, wenn man das Pech hat, im falschen Land, zur falschen Zeit, in die falsche Familie geboren zu sein. Oder wenn man schwer krank ist und sehr leiden muss. Aber aus meiner Sicht denke ich: Tod, hau bloß ab! Ich möchte nicht, dass das aufhört, ich möchte nicht, dass ich oder meine Familie sterben muss. Ich kann mir noch keinen Zustand vorstellen, wo man lebenssatt ist. Noch ist jeder Morgen anders und jeder Tag irgendwie neu. Als mein Vater gestorben ist, habe ich gelernt, dass man sich auf den Tod der Eltern nicht vorbereiten kann. Das gleicht einem Seebeben, der Tsunami kommt viel später. Man fühlt sich schon sicher, und dann wirft es einen doch um. Plötzlich weint man unvermittelt, fühlt sich so furchtbar allein und verlassen. Der andere ist auf eine vorher unvorstellbare Weise aus der Welt. Endgültig. Das kann man vorher nicht ermessen.

"Manche Schuldgefühle verfolgen mich lange"

Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?

Ich würde so gerne das Polarlicht sehen! Das muss überwältigend sein. Wenn ich etwas habe wie ein Erlebnis von Schöpfung oder eine Idee von Gott, dann bei solchen Phänomenen in der Natur.

Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?

Man kann an Schuld zerbrechen, wenn man nicht irgendwann anfängt, sich selbst zu vergeben. Manche Schuldgefühle verfolgen mich lange. Auf der Schule hat sich mal ein Lehrer vor einen Schüler gestellt und ihn vor der versammelten Klasse angebrüllt: "Ich wünsche Ihnen, dass Sie in Ihrem späteren Leben scheitern werden. Menschen wie Sie brauchen wir nicht." Meine ganze Schulzeit hindurch hatte ich vor diesem Lehrer furchtbare Angst – trotzdem hätte ich aufstehen müssen. Es macht meine Schuld nicht kleiner, dass die anderen auch sitzen geblieben sind. Ich habe nichts gesagt. Das habe ich mir bis heute nicht ganz verziehen.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Stimmt das?

Man darf schweigen. Meine Generation ist ja gesprächsgläubig: Sprich darüber und dir ist geholfen. Man hat aber das Recht, manches in sich abzuschließen und den Schlüssel wegzuwerfen. Das machen einige Figuren in meinem Buch. Vera, die im Krieg Grauenhaftes erlebt hat, würde niemals davon erzählen. Das muss sie auch nicht. Wir haben unserer Eltern- und Großelterngeneration oft vorgeworfen, sie würden nicht sprechen wollen. Aber es gibt Unsagbares, und diese Flüchtlingsgeneration hat Dinge erlebt, die sind unsagbar. Es kann überhaupt sehr klug sein, Dinge zu denken und sie für sich zu behalten.

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