Paste up Production
"Das muss man erst mal auf die Reihe kriegen"
Pfarrerskinder sollen Vorbilder sein - oft eine belastende Rolle. Angela Zumpe hat einen Film darüber gemacht
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
21.03.2017

chrismon: Sie behaupten, dass Sie den Stallgeruch von Pfarrerskindern erkennen könnten. Worin besteht er?

Angela Zumpe: Sie engagieren sich oft sehr, sie brennen für ­etwas, manchmal haben sie auch etwas Unerbittliches. Wenn ich mit Pfarrerskindern ins Gespräch komme, dann erkennen wir oft Gemeinsamkeiten. Auch dass man in Gruppen oft mit einer gewissen Starrköpfigkeit einen anderen Standpunkt vertritt als die anderen.

Angela Zumpe

Angela Zumpe, 63, ist Professorin für audiovisuelle Medien im Fachbereich Design der Hochschule Anhalt ­in Dessau. Ihr Film „Pfarrers Kinder – Punks, Politiker und Philosophen“ wird am 5. März um 15 Uhr bei der Er­öffnung des Pfarrmuseums in Blüthen in der Prignitz gezeigt, ebenso auf Nachfrage in Kirchengemeinden. In der zweiten Jahreshälfte 2017 wird der MDR eine gekürzte Fassung ausstrahlen.

Wie war Ihr Vater?

Ein Nachkriegspfarrer, recht autoritär und konservativ, das hat sich später geändert. Mein Vater war kein Nazi – aber auch kein Widerstandskämpfer. Er hat später durchgesetzt, dass seine ­Kirche in Lankwitz Bonhoeffer-Kirche genannt wird, als hätte er da etwas nachzuholen. Ich habe erlebt, wie mein großer Bruder gegen diesen Vater aufbegehrt hat, wie heftig sie gestritten haben. Mein Bruder war ein richtiger Achtundsechziger. Sie haben sich politisch gefetzt.

Streit kann auch produktiv sein.

Ja, aber die Unerbittlichkeit hat mich überfordert, ich habe ja an ­beiden gehangen. Später hat mein Bruder ein Pamphlet mit Zitaten des nihilistischen Pfarrerssohns Friedrich Nietzsche verfasst. ­Der Streit eskalierte, er trat aus der Kirche aus. Was kann man Krasseres tun, als aus der Kirche des eigenen Vaters auszutreten.

Sie erzählen vom Donnerwetter, das über Sie niederging, wenn Sie im Gottesdienst gealbert hatten.

Ja, im Gottesdienst hat mich mein Bruder angestiftet, Blödsinn zu machen. Wir kommen nach Hause. Meine Mutter steht an der Tür: „Vater erwartet euch im Arbeitszimmer.“ – Allein, dass es so einen halb öffentlichen Raum gab, der für uns tabu war, wenn unser Vater eine Predigt vorbereitete. Und dann kommt man in dieses Arbeitszimmer und wird zur Rede gestellt.

Was ist aus Ihrem Bruder geworden?

Er hat sich mit 21 Jahren das Leben genommen. Ich bekam den Anruf an einem Sonntag, als mein Vater im Gottesdienst war. Dem Vater bis zuletzt die rote Karte zeigen, das ist doch eine krasse Geschichte.

„Ich kenne kein Pfarrerskind, das sagt, bei uns war alles super“, sagt Valentin Kwaschik, ein junger Pfarrer in der Prignitz, den Sie in Ihrem Film interviewen.

Ich habe ihn angesprochen, weil er aus einer jüngeren Generation von Pfarrerskindern stammt als mein Bruder und ich. Ich dachte, dass meine Generation vielleicht noch vom Konflikt mit der ­Nachkriegsgeneration geprägt ist. Kwaschiks Vater war in der Zeit der Wende in der DDR politisch aktiv – und trotzdem reagierte er sehr extrem auf seinen Vater.

Wie?

Mich hat erstaunt, dass ausgerechnet er sagte: „Bloß nicht Pfarrer werden!“

Er wird es dann aber doch.

Ja, Kwaschik hat vor ein paar Jahren im Potsdamer Konvikt seine Prüfung gemacht und ist jetzt junger, engagierter Pfarrer in der Prignitz – aber ganz anders als sein Vater. Valentin Kwaschik ging nach Amerika und erlebte dort, dass man ihm sagte: „Im Christentum geht es um den Glauben, nicht um die Politik.“ Er distanziert sich von seiner linksprotestantischen Herkunft und sagt: „Es geht erst mal darum, wie du dich persönlich zu Gott positionierst und was dein Verhältnis zu Gott ist.“ – Das hat mich überrascht.

Jugendliche beschimpfen ihn: „Du Scheißchrist, du Scheiß­jude.“

Wie erklären Sie sich das?

Was man privat in der Familie erlebt, kann ganz anders sein als das, was man mit dem Vater öffentlich erlebt. Da gibt es bei vielen offensichtlich eine große Diskrepanz. Hinzu kommt, dass sich seine Eltern getrennt hatten. Das ist auch sein großes Thema: Er hat viele Trennungen erlebt, und auch er selber ist inzwischen alleinerziehender Vater.

Sie lassen einen Freund Ihres Vaters zu Wort kommen. Er sagt, er kenne auch Kinder, die im Pfarrhaus sehr glücklich aufgewachsen sind. Das klingt, als wolle er Ihr Bild korrigieren.

Ich habe ihn ja als Freund meiner Eltern befragt. Ich will meinen Eltern gegenüber nicht ungerecht sein. Jürgen Günther ergreift mit viel Empathie Partei für meinen Vater. Das war mir für den Film sehr wichtig.

Ihre Mutter kommt aber gar nicht vor!

Das wäre ein anderes Thema gewesen. Damals waren die Väter sehr dominant – in der Familie und im Namen Gottes. Es war eben auch ein Autoritätskonflikt zwischen Vater und Kindern.

Für wen haben Sie den Film gedreht?

Zunächst ist er eine Spurensuche für mich. Es gibt ja viele Publikationen übers Pfarrhaus. Viele erzählen von prominenten Pfarrerskindern. Andere berichten über das sich wandelnde Pfarrhaus mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, mit Pfarrerinnen in Teilzeit, deren Ehemänner in internationalen Konzernen arbeiten, mit Alleinerziehenden. Mich interessierte das Pfarrhaus als Lebens­mittelpunkt einer Familie und was heute daraus geworden ist.

Also die klassische Pfarrersfamilie.

Ja, weil ich das Gefühl habe, dass Konflikte hier wie in einem Brennglas noch mal deutlicher zutage treten. Ich wollte wissen: Wie ergeht es ihr heute? Ich habe mich gefreut, die Familie von Pfarrer Georg Thimme in Werder an der Havel kennenzulernen. Er und seine Frau haben drei Kinder zwischen 13 und 18. Thimme ist liberal, freundlich, sympathisch, jung, aufgeschlossen. Die Familie lebt in einer durchmischten Gegend mit vielen West­deutschen. Ich dachte, da werden Probleme, wie ich sie im Pfarrhaus erlebt habe, keine Rolle mehr spielen.

Und – spielen sie?

Die Kinder erzählen von vielen Anregungen, die sie bekommen, aber auch von dieser Sonderrolle. Der jüngere Sohn erzählt, wie ihn andere Jugendliche beschimpfen: „Du Scheißchrist, du Scheiß­jude.“ Damit muss er umgehen, und das gelingt ihm ganz gut.

Nietzsches hatte ein sentimentales Verhältnis zum Pfarrhaus

Welchen Beitrag leistet das Pfarrhaus zu unserer Kultur?

Das Pfarrhaus bleibt für mich der Ort, wo die Werte, die unsere Kultur bestimmen, diskutiert und gelebt wurden. Was wir als richtig empfinden, was als falsch, das kommt aus der christlichen Ethik. Das sage ich, ohne kirchlich gebunden zu sein.

Sie zeigen auch Teile aus der Hamburger Inszenierung des Thea­terstückes „Pastor Ephraim Magnus“ von Hans Henny Jahnn.

Ich hörte davon, als ich bereits mit dem Filmprojekt begonnen hatte: Frank Castorf inszenierte gerade ein Fünfstundenstück über das Pfarrhaus am Schauspielhaus. Ein krasses Stück!

Darin sagt der Pfarrer seinen Kindern, er habe nicht richtig gelebt. Er erschießt sich, seine finsteren Gedanken gehen auf die Kinder über. Sie quälen einander, ein Sohn tötet eine Frau und wird zum Tod verurteilt. Überzeichnet Jahnn da nicht maßlos?

Es sind ja Bühnenfiguren, die er durch die Hölle gehen lässt, aber ein bisschen erkennt man sich darin halt auch wieder.

Sie haben den Film in der Berliner Landesvertretung von ­Sachsen-Anhalt gezeigt. Wie reagierten die Pfarrers­kinder im Publikum darauf?

Ein Pfarrerssohn erregte sich über den Film, er könne die Konflikte nicht nachvollziehen. Bei ihm sei alles in Ordnung gewesen, und er glaube, dass viele Pfarrerskinder völlig konfliktfrei aufwachsen. Andere fanden es aber gerade spannend, wie der Film die Konflikte benennt. Er regt zur Diskussion an. Plötzlich rufen mich Pfarrerskinder an und erzählen mir ihre Geschichten.

Sie zeigen auch das Dorf Röcken, in dem Friedrich Nietzsche aufwuchs. Der Philosoph distanzierte sich intellektuell vom Christentum, schwärmte aber stets vom Pfarrhaus seiner Kindheit.

Und das hat mich an ihm interessiert. Von Nietzsches sentimentalem Verhältnis zu diesem Pfarrhaus wissen wenige. Röcken liegt zwischen Leipzig und Naumburg. Nietzsche dichtete später: „Trautes Dörflein! Wie gedenk ich dein. Hätte ich Flügel, ich würde mich über Höhen und Thäler schwingen und dir zueilen.“ Nietzsches Vater war ein liberaler Pfarrer, der kleine Friedrich konnte ihm in seinem Arbeitszimmer zuhören, wie er auf dem Klavier improvisierte. Der Vater starb früh, und Nietzsche kam in den Pfarrhaushalt des pietistischen Stiefvaters.

Sie zitieren auch Gudrun Ensslin, die schwäbische Pfarrerstochter, die sich der Rote Armee Fraktion anschloss, als Terroristin verurteilt wurde und sich im Gefängnis erhängte.

Sie hatte auch etwas Unbedingtes, Kompromissloses. Sie sagte dem Richter: „Ich wollte etwas bewirken.“ Auf dieses Zitat kommt es mir an. Diese Generation wollte etwas wiedergutmachen, ­einstehen für das Unheil, das die Elterngeneration im Nationalsozialismus angerichtet hatte. Ich wünsche mir sehr, dass die jetzt jungen Pfarrerskinder mit dem, was sie aus dem Pfarrhaus mitnehmen, klarkommen, dass sie etwas daraus machen können.

Fragen: Burkhard Weitz

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