Franziska Tiburtius
Marco Wagner
Pfiffe im Präpariersaal
„Sie wollen Ärztin werden?“ Ja, diesen Plan verfolgte Franziska Tiburtius gegen Widerstände. Sie wurde zur Weg­­bereiterin des Frauenstudiums in Deutschland und knackte eine Männerdomäne
20.03.2017

Zürich, Herbst 1871: Im Präpariersaal der Medizinischen Fakultät drängen sich die Studenten, als die jungen Frauen den Raum betreten. Pfiffe und Schreie schallen ihnen entgegen – sie sind hier unerwünscht. Dennoch wollen die Frauen an die Arbeit gehen, sie sind schließlich offiziell eingeschrieben. Doch kurzerhand sperrt man sie im Nebenraum ein. Eine der Medizinstudentinnen ist Franziska ­Tiburtius, 28 Jahre alt. Sie ist hier, weil es in Deutschland Frauen nicht erlaubt ist, Medizin zu studieren. Von den Schikanen ihrer Kommilitonen lässt sich Franziska jedoch nicht beirren.

Auch die anderen Widerstände hält sie aus, angefangen bei der Wohnungs­suche – „Zimmer zu vermieten! Nur an Herren!“ – bis hin zu Petitionsschreiben gegen die Zulassung von Frauen zum Medizinstudium. „Die Ausübung der Medicin widerstreitet und verletzt die besten und edelsten Seiten der weiblichen Natur, die Sittsamkeit, die Schamhaftigkeit, Mitgefühl und Barmherzigkeit, durch welche sich dieselbe vor der männlichen aus­zeichnet“, behauptet der Anatom und Professor Theodor von Bischoff.
1843 auf einem Gut auf Rügen ge­boren, arbeitet Franziska Tiburtius zunächst als Gouvernante, macht das Lehrerexamen und geht nach England. Doch sie langweilt sich, will selbstständiger sein.

Ihr Bruder Karl, ein Arzt, redet auf sie ein, selber Ärztin zu werden. Sie zögert: „Ich konnte mich nicht entschließen. Wer die damaligen Verhältnisse kennt, wird es begreifen. Ein junges Mädchen auf einer Universität und Medizin studierend – undenkbar!“ Dann nimmt sie sich ein Vorbild an Henriette Hirschfeld, ihrer zukünftigen Schwägerin und ersten Berliner Zahnärztin – sie hat in den USA Medizin studiert und sich mit einer Sondergenehmigung dann in Berlin niedergelassen. Erst mit 28 Jahren beginnt Tiburtius ihr Studium, beendet es nach fünf Jahren mit einer Promotion, zieht nach Berlin. Doch in Deutschland darf sie nicht als Ärztin arbeiten – ohne deutsche Appro­bation keine Praxis. Das Examen vor einem deutschen Prüfungsgremium zu wiederholen, gestattet man ihr nicht. Sie wird faktisch Kurpfuschern und Wunderheilern gleichgestellt.

Selbst Damen aus der höheren Gesellschaft kommen

Franziska Tiburtius eröffnet trotzdem eine Praxis – die erste Praxis einer weiblichen Ärztin. Voller Tatendrang will sie mit ihrer Studienkollegin Emilie eine Klinik für Arbeiter
einrichten, mit „Konsultationen für zehn Pfennige“. Denn die Allerärmsten haben kaum Zugang zur ärztlichen Versorgung. Hinzu kommt, dass sich manche Frauen aus Schamgefühl häufig erst zu spät zu den – männlichen – Ärzten trauen. Erst als sie und Emilie Lehmus auf dem Praxisschild hinzufügen, dass sie einen ausländischen Doktortitel tragen, hören die Beschwerden und Klagen auf. Von ihren männlichen Kollegen werden die Ärztinnen gleichwohl lange nicht ernst genommen. Ihre Praxis wird ein Erfolg. Schon in die erste Sprechstunde kommen zwölf Arbeiterinnen. Selbst einige Damen aus der höheren Gesellschaft suchen sie auf – nachdem sie ihre Dienstmägde vorgeschickt haben, um die Behandlung zu testen. Tiburtius und Lehmus erweitern ihre Praxis zur ersten „Poliklinik weiblicher Ärzte“, die schnell zum Anlaufpunkt junger, ambitionierter Medizinerinnen wird. Erst 1899 ist es offiziell so weit: Medizinstudentinnen dürfen in Deutschland ihr Staatsexamen ablegen, wenn auch zunächst nur in Baden.

Mit 64 Jahren zieht sich Franziska Tiburtius aus ihrer Praxis zurück. Weiterhin setzt sie sich für die Rechte der Frauen ein, hält Kontakt zu Vertreterinnen der Frauenbewegung. Ob sie viel hat kämpfen müssen, wird sie später gefragt. „Das weiß ich nicht“, sagt sie, „ich meinte immer nur das zunächst Notwendige tun zu müssen“. Franziska Tiburtius stirbt am 5. Mai 1927. Mit ihrer Standhaftigkeit ist sie eine der Wegbereiterinnen des Frauenstudiums in Deutschland.

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Leider fehlt  im Artikel von Juliane Ziegler ein Hinweis zur ersten promovierten deutschen Ärztin Dorothea Christiane Erleben (1715-1762 Quedlinburg). 1741 Zulassung zur Promotion an Universität Halle -  Wittenberg, 1754 Dissertation;  also mehr als 100 Jahre vor Franziska Tiburtius!!! 

Gruß C. Siegel Leipzig

Antwort auf von Manon Priebe

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Liebe Manon Priebe, sind wir hier in der Schule ? ! Peinlich solche Kommentare ! Tut mir leid, aber wo haben Sie nur Ihre Ausbildung absolviert ?

Ja, Sie haben recht - Dorothea Christiane Erxleben war wohl die erste promovierte Ärztin in Deutschland. In meinem Text sollte jedoch das Leben und Wirken von Franziska Tiburtius im Fokus stehen: Nach meinen Recherchen war sie die erste Ärztin in Deutschland mit eigener Praxis und hat sich gezielt für das Frauenstudium eingesetzt.

Eventuell bietet sich irgendwann an, mit anderem Fokus auch Dorothea Christiane Erxleben zu porträtieren - diese Entscheidung liegt jedoch bei der Redaktion.

Antwort auf von J.Ziegler (nicht registriert)

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"Nach meinen Recherchen war sie die erste Ärztin in Deutschland mit eigener Praxis..."
Auch Dorothea Christiane Erxleben hatte eine eigene Praxis, nämlich die ihres Vaters. Nach dessen Tod führte sie diese ab 1747 alleine weiter, was überhaupt erst zu Ärger und letztlich zur Promotion 1754 führte.

Aber auch Dorothea Christiane Erxleben war ganz sicher nicht die erste Ärztin mit eigener Praxis, denn schon im Mittelalter gab es anerkannte Ärztinnen. Beispielhaft genannt sei die Jüdin Sara, die 1419 in Würzburg mit Erlaubnis des Fürstbischofes praktizieren durfte.

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