Andree Volkmann
Übles Erbe
Das Thema Sünde füllt heute Romane und Filme. Aber so radikal wie die Reformatoren redet darüber lange keiner mehr
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
25.09.2016

Zwar gilt er als viel versöhnlicher als sein Freund und Professorenkollege Martin Luther, aber beim Thema Sünde vergisst auch Philipp Melanchthon seine übliche Zurückhaltung. „Gottlos und fluchwürdig“ nennt er die Theologen, die aus der Bibel ein ganz ­falsches Sündenverständnis herausge­lesen haben. Und dann räumt er auf.  

Sind wir Menschen von Geburt an Sünder? Diese Frage beantwortet Philipp Melanchthon ganz klar mit Ja. Das Böse, so sagt der zweite große Wittenberger Reformator neben Luther, ist ein Zwang, von dem sich Menschen nicht aus eigener ­Kraft befreien können. Sie haben, so schreibt Melanchthon, eine „angeborene Neigung, einen anerzeugten Drang und eine Kraft, die sie zum Sündigen wegzieht“ (in den „Loci Communes“ aus dem Jahr 1521). Nur das Heilswirken Gottes könne die Menschen aus dieser Ver­strickung zur Sünde befreien.

Sündige Schöpfung

So radikal lesen es die Reformatoren in der Bibel, und deshalb wenden sie sich auch gegen die Lehren von Thomas von Aquin. Dessen Scholastik war damals die an den meisten Universitäten ge­lehrte Philosophie und Theologie. Ihr wirft ­Luther, zu Recht oder zu Unrecht, vor, die Sünde zu verharmlosen und den Menschen vorzugaukeln, sie könnten sich aus eigener Kraft das Heil verdienen – wenn sie denn nur Gott lieben und ­gute Werke tun. Luther hält das für einen großen Irrtum: Auch was nach außen gut aussieht, sei innerlich voller Sünde. Und Melanchthon schreibt: „Die Sünde ist ein krummer (verkehrter) Affekt, eine krumme Bewegung des Herzens“, quasi unausrottbar in ihm drin, ganz tief in ihm verwurzelt. 

Im umgangssprachlichen Sinn versteht man die Sünde heute meistens als Einzeltat, als Verstoß gegen eine Regel oder ­Konvention. Vor allem die katholische Kirche, die vom scholastischen Denken stark geprägt ist, hat zur Verbreitung ­dieses Sündenverständnisses beigetragen: früher vor allem durch die Verbreitung ihrer Beichtspiegel – umfangreicher Regelwerke zur Vorbereitung der Beichte. Dagegen betonen die Reformatoren oft die sündige Grundstruktur der Schöpfung. 

Der Mensch erhöht sich

Warum das? Einerseits gelten die wichtigsten Normen als von Gott gestiftet,andererseits besteht zwischen Gott und Mensch ein Treueverhältnis. Dazu gehört die Vereinbarung bestimmter Regeln, wie sie in der Bibel besonders schön im Bundesschluss Gottes mit Noah und den Überlebenden der Sintflut ins Bild gefasst ist. Kündigt der Mensch diese Beziehung auf, begeht er die eigentliche, die größte Sünde: die der Abkehr von Gott. Einzelsünden ziehen immer auch die Beziehung zu Gott in Mitleidenschaft. In diesem Sinne kann man sogar sagen, dass es nur eine Sünde gibt: die der zerstörten Beziehung zu Gott. Im Dekalog, den Zehn Geboten des Alten Testaments, beziehen sich nicht zufällig die ersten drei auf den Glauben an Gott. Und deshalb wurde das missverständliche Wort Erbsünde inzwischen auch abgelöst von dem der Ursünde. 

Die Erbsünde des Augustinus (354–430), des einflussreichsten Theologen des ersten Jahrtausends, stellt demgegenüber eine folgenreiche Verengung dar. Augustinus war geprägt von körper- und sexualitätsfeindlichen christlichen Traditionen und hatte zudem sprachliche Probleme mit den Texten des Paulus. Nach seiner Lehre ziehen sich ausnahmslos ­alle Menschen die Sünde durch die Geburt zu. Sexuelles Begehren und Zeugung übertragen die Sünde auf die nachfolgende Generation. Aus diesem sündigen Verhängnis gibt es kein Entweichen. Die Sexualität ist für Augustinus Ausdruck der süchtigen Eigenliebe der Menschen und ihres Hochmutes gegen Gott. 

Warum der Mensch gleichzeitig gut und böse ist und wie sich das Verständnis von Sünde gewandelt hat, erzählt Pastor Henning Kiene im Gespräch mit Hans-Gerd Martens.
Gut, dass die Bedeutung seiner Sün­den­lehre inzwischen verblichen ist. Für die Auffassung, dass sich die Sünde durch Sex und Geburt fortpflanzt, gibt es keinen Beleg in der Bibel. Aber die grundsätzliche Frage der Reformatoren, warum sich die Menschen über Gott erheben, ­ist eine der ältesten – und von bleibender Bedeutung.

 

Wenn die Panzerknackerbande die Bankfiliale heimsucht, ist klar, was sie will: Bargeld. Was aber ist bitte der vorgeblich wertvolle Inhalt der so hoch geschätzten Religion, dessen sich die Herrscher angeblich bemächtigen können sollen mit fatal-normalem Ergebnis?
Sepp Stramm

Permalink

Nach einem langjährigen Studium der Bibel, komme ich zu der Erkenntnis, dass wir große Sünder sein können aber doch keine bösen Menschen sein müssen. Wir können nicht sündenlos sein, aber der böse Mensch hat Gefallen und Spaß an seiner Sündhaftigkeit.
König David wurde zum Ehebrecher und gab einen Mord in Auftrag. Er war zweifellos ein großer Sünder, doch seine Reaktion auf die folgende Zurechtweisung zeigte, dass er noch ein moralisches Empfinden besaß. Etwas, das ein sog. Böser Mensch nicht mehr hat.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Roller aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.