Berggottesdienst
Foto: Claudius Grigat
Kühe haben Vorrang
Wer auf dem Berg Gottesdienst feiert, muss sich gegen Gewitter und Tiere behaupten – und wird belohnt mit herrlicher Aussicht
21.07.2016

chrismon: Muss man als Pfarrer in den Bergen im Allgäu schwindelfrei sein?

Roland Sievers: Man muss zumindest ohne Angst Seilbahn fahren können. Einer unserer Gottesdienstorte ist das Nebelhorn. Da ist man zu Fuß sonst schon mal drei Stunden unterwegs, bis man oben ist.

Sie feiern an vier Orten Berggottesdienst. Wie unterscheiden die sich?

Das Nebelhorn und das Fellhorn sind mit der Seilbahn zu erreichen. Dadurch kommen in der Regel 100 Besucher, bei Festgottesdiensten, wie zur Sonnenwende, zwischen 600 und 700 Menschen. Zu den anderen beiden Orten kommen im Schnitt 60 Besucher, aber sie haben ihren ganz eigenen Charme. Im Berggasthof Laiter schmücken die Wirtsleute immer sehr liebevoll den Altar. An der Alpe Schrattenwang am Söllereck mussten wir beim letzten Mal in die Wirtschaft ausweichen. Unser Gottesdienstplatz war den grasenden Kühen vorbehalten. Die Kühe haben dort Vorrang, und das ist auch gut so.

Was ist das Besondere an einem Gottesdienst in den Bergen?

Dass wir draußen und in ziemlicher Höhe Gottesdienst feiern. Die Weite kommt der Sehnsucht vieler Menschen entgegen: herrliche Aussichten im Moment und für das ganze Leben. Ich kann hier als Pfarrer aber auch ganz anders das Leben erschließen und Symbole sprechen lassen.

Welche?

Die Berge stehen hier seit ewigen Zeiten. Da kann ich gut über meine eigene Vergänglichkeit nachdenken. Auch: Was habe ich im Leben für Berge zu bewältigen? Von meinen Problemen bis zu den täglichen Anforderungen eines Wäsche- oder Arbeitsbergs. Wenn ich mir die Seilbahn anschaue, kann ich gut darüber nachdenken, was für ein Drahtseilakt das Leben ist und was mir Sicherheit gibt. Ich empfinde mich als eine Art Augenöffner für das, was für Franz von Assisi eine Aufführung Gottes ist: die Berge, Pflanzen und Tiere um mich herum.

Und was ist schwierig auf dem Berg?

Die Atmosphäre ist nicht so konzentriert wie im Kirchenraum. Die Sinne bekommen ja jede Menge Futter: Vögel, Hubschrauber, nahende Gewitterwolken, startende Gleitschirm­flieger, Passanten. Einmal war das Wetter zu unsicher, so dass wir im Bergrestaurant eingekehrt sind. Das ist schon irritierend, wenn hinter mir gerufen wird: Kaiserschmarrn ist fertig! Die Leute verzeihen aber auch eher. Wenn ich sage, dass ich den Kampf mit einem vorbeifahrenden Traktor nicht aufnehme, ist die kurze Unterbrechung völlig in Ordnung.

Was suchen die Menschen im Berggottesdienst?

Urlauber sehen ihn im wahrsten Sinne des Wortes als Highlight und wollen etwas, das sie zu Hause nicht haben. Andere suchen eine Weitsicht, gerade wenn sie im Leben ein Tal durchschreiten und der Blick eng wird. Viele Menschen bitten mich nach dem Gottesdienst um einen Segen. Manchmal bleiben ein paar Wanderer ganz überrascht am Rand stehen, sprechen ein Gebet oder singen ein Lied mit uns.

Was machen Sie anders als in der Kirche?

Der Gottesdienst ist wegen der besonderen Umstände niedrigschwelliger, die Predigt ist auf die Umgebung bezogen, die Liturgie gern experimentell. Eine gute Übung auch für die Predigt im Kirchenraum, um theologische Zusammenhänge allgemein verständlich herunterzubrechen. In der Kirche singe ich die Abendmahlsliturgie. Das würde ich in den Bergen nie machen. Dort nehme ich auch schon vor dem Gottesdienst Kontakt mit den Besuchern auf. Die Leute sind fröhlich. Lassen sich fragen, wo sie herkommen. Lassen sich gewinnen, um unsere Kuhglocke als Kirchenglocke zu läuten. In Zukunft nehme ich auch Alphörner mit auf den Berg. Denen dürfen die Urlauber dann Töne entlocken.

Verhalten sich die Gottesdienstbesucher auf dem Berg anders?

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Die Menschen erzählen mir viel mehr aus ihrem Leben, vermutlich auch, weil das Gelände weitläufiger ist und man keinen Stau verursacht, wenn man am Kirchausgang noch mit dem Pfarrer reden will. Ein Mann kam, um den Tod seiner Frau zu verarbeiten, mit der er jahrelang auf diesen Berg gewandert ist. Ein älteres Ehepaar kommt seit mehr als zwanzig Jahren im Urlaub hierher. Der Mann ist krank und weiß, dass er das in Zukunft körperlich nicht mehr schaffen wird. Mit dem Gottesdienstbesuch wollte er sich von seinem Berg verabschieden. Ich glaube aber auch, dass allein der Besuch eines Berges die Menschen verändert.

Wie?

Rollstuhlfahrer, die mit der Seilbahn hochfahren, oder Wanderer, die vom Aufstieg noch den Puls spüren, erzählen, wie toll dieses Gefühl ist, zu leben. Ein älteres Ehepaar feiert goldene Hochzeit. Die Menschen sagen mir das unaufgefordert. Sie freuen sich einfach, und das muss raus. 

Der Berg als Gegenwelt?

Das kommt auf den Berg an. Auf dem Nebelhorn läuft Massen­tourismus ab, der unserem schnelllebigen Zeitgeist entspricht. Ich erlebe Menschen, die auf den Berg fahren und so unglaublich hektisch bleiben wie im Tal. Das Handy bleibt nicht ruhig. Und manchmal denke ich, einige fahren nur auf den Berg, um sagen zu können, dass sie auch da waren. Ich selber suche in den Bergen die Stille. Die Natur macht mich still und demütig, denn sie ist nicht nur schön, sondern hat auch eine irre Gewalt.

Ist man auf dem Berg Gott näher?

Ich persönlich glaube das nicht. Aber angesichts der Weite des Himmels, der Erhabenheit der Berge und der blühenden Natur werden viele Menschen dankbar. Ein „großer Gott, wir loben dich“ kommt da leicht über die Lippen.

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