Julia Autz
Hier wachsen Missionare auf
In Schwalbach bei Frankfurt am Main entwickelt sich eine koreanische Gemeinde zur größten in Europa, und kaum jemand bekommt etwas davon mit. Die Protestanten am Taunus werben viel für ihren Glauben, unter Koreanern im Rhein-Main-Gebiet – und in Afrika
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
28.06.2016

Der typische Missionar ist nicht blond. Er läuft nicht mit rot verbrannter Haut durch den Dschungel. Er heißt weder Albert Schweitzer noch David Living­stone. Die Missionare von heute haben glatte, schwarze Haare und Mandelaugen. Sie tragen gestärkte weiße Hemden und heißen Park, Kim oder Lee. Über ihre Samsung-Handys und koreanische Websites sind sie weltweit vernetzt.

In den 1960ern war Korea arm wie der Kongo. Binnen einer Generation wurde jeder dritte Südkoreaner Christ, und das Land eines der reichsten der Welt. „Ein Wunder!“, schrieb ein presbyterianischer Pfarrer namens Ha Yongjo 2008: „Als wir hoffnungslos waren, kamen Missionare aus dem Westen und brachten uns die Hoffnung auf Jesus Christus. Wir haben die heilige Verpflichtung, diese Hoffnung mit denen zu teilen, die noch im Elend sind.“

Etwa 12 000 Südkoreaner folgen jährlich dem Ruf. Viele ziehen nach Taiwan oder auf eine pazifische Insel. Wer Abenteuer sucht, geht nach Afrika. Leichtsinnige werben in der muslimischen Welt. Immer wieder ist von ihnen in den Nachrichten zu hören.

2004 köpften radikale irakische Sunniten die Missionarin Kim Sun-il und filmten die grausige Szene. 2007 nahmen Taliban 23 südkoreanische Missionare als Geiseln, ermordeten zwei und ließen die übrigen gegen die Zusicherung der südkoreanischen Regierung frei, dass in Afghanistan nicht mehr missioniert werde. Unter den sieben Ausländern, die 2009 im Jemen entführt und ermordet wurden, war eine 34-jährige südkoreanische Missionarin.

Hochgefährlich sind auch Missionsreisen ins verfeindete Bruderland. 2014 entging der Südkoreaner Kim Jeong-wook nur knapp dem Todesurteil durch ein nordkoreanisches Gericht. Er hatte versucht, eine Untergrundkirche im atheistischen Unrechtsstaat zu gründen. Die Strafe: lebenslang Arbeitslager.

Scharlatane gibt es auch. Die Manmin-Church von Jaerock Lee soll 4000 Gemeinden in Afrika haben. Lee soll sich mit Regenbögen umgeben, Wirbelstürme umlenken, mit der Berührung eines Taschentuchs Kranke heilen und Tote auferwecken können.

Anfang dieses Jahres warnte der Weltanschauungsbeauftragte im Bistum Mainz vor einer Evangelisationsveranstaltung des südkoreanischen Kirchengründers Ock Soo Park. In Afrika veranstaltet seine Good News Mission „internationale Kreuzzüge“ mit Orchestern und Tanzgruppen. In Mainz warb seine Jugend­organisation Ende April mit Streetdance, einem Song-Contest, Taek­wondo, „Mind Lectures“ zur persönlichen Leistungssteigerung und einer „Christmas Cantata“ ihres Gracia Choirs.

Lediglich die Nachbarn nehmen die Koreaner wahr

Europas größte koreanische Gemeinde ist in Schwalbach zu Hause. Dort, am Rande des Taunus, hat sie Räume in einer Hoch- und Reihenhaussiedlung gemietet. „Katholisches Pfarramt St. Martin“ steht vorne an der Backsteinwand des Gemeindezentrums, obwohl die Katholiken längst nicht mehr da sind. Im Schaukasten wirbt immer noch die „katholische Kirchengemeinde Schwalbach“. Nichts weist auf die evangelischen Koreaner hin.

Der Autor

###drp|4TnhcZvMaedoRuTX5AEJCzX_00125944|i-43||###Burkhard Weitz bekam im Gottesdienst einen Kopfhörer. Predigt und Gebete wurden simultan übersetzt.

„Hanmaum“, heißt die Gemeinde, auf Deutsch: „ein Herz“, „Einigkeit“. Jeden Sonntag strömen über tausend Gemeindemitglieder in die drei Gottesdienste und in die Sonntagsschule, rechnet Pfarrer Chan Kyu Lee vor, der dienstälteste unter den fünf Pfarrern. Er ist ein ruhiger Intellektueller. In den 1990ern kam er für eine Dissertation nach Deutschland.

Missionarisch will Pfarrer Chan Kyu Lee sein. Aber seine Gemeinde verhält sich eher unscheinbar, unauffällig. Lediglich die Nachbarn nehmen von den Koreanern Notiz. Manche beschweren sich, dass während der Gottesdienste alles zugeparkt sei. Nur einmal hätten ihn Journalisten angerufen, sagt Pfarrer Chan Kyu Lee, als im Dezember fünf Koreaner einer Landsfrau in einem Frankfurter Hotel Dämonen austreiben wollten. Sie quälten die Frau zu Tode. „Ich kannte die Leute nicht“, sagt Pfarrer Lee, „sie sind nicht von uns.“ Lee und seine Gemeinde lehnen Dämonenaustreibungen ab. Auch Krankenheilungen, Zungenrede und ­andere Wunderdinge kommen bei ihnen nicht vor.

Zu viel Freizeit in Deutschland

Fragt man Pfarrer Chan Kyu Lee, was eine gute Gemeinde ausmacht, antwortet er mit vier Fragen: „Ist die Gemeinde spirituell gesund? Kann ich dort meinen Glauben entwickeln? Hilft die Predigt im Alltag? Treibt die Gemeinde Weltmission?“ Würde er seine Gemeinde evangelikal nennen? „Evangelikal oder evangelisch, das sind irritierende Unterscheidungen“, antwortet er. „Wenn evangelikal ‚bibeltreu‘ bedeutet, dann sind wir evangelikal.“

Pfarrer Chan Kyu Lee ist ein ruhiger Intellektueller. Er kam für eine Dissertation nach Deutschland. Dann warb ihn die Gemeinde an.
Die Hälfte der Gemeindemitglieder sind koreanischstämmige Deutsche. Die andere Hälfte sind Auslandskoreaner, Kirchenmitglieder auf Zeit. Sie bleiben drei bis fünf Jahre und kehren dann heim. Meist arbeiten sie im Rhein-Main-Gebiet bei einem der ­internationalen Familien- und Mischkonzerne: Samsung, Kia ­Motors, Hyundai. Auch der Elektronikkonzern LG zieht demnächst nach Frankfurt, die Hanmaum-Gemeinde wird davon profitieren. Mancher komme erst in Deutschland zum christlichen Glauben, sagt Pfarrer Chan Kyu Lee, und fügt lächelnd hinzu: Hier wüssten sie mit der vielen Freizeit sonst nichts anzufangen. Laut OECD wird fast nirgendwo auf der Welt so lange gearbeitet wie in Korea. Und fast nirgends so kurz wie in Deutschland.

Auch werktags kommen die Gläubigen, jeden Morgen um halb sechs. Ein Samstagmorgen im Juni: Gut 70 Koreaner lassen sich von Klavierklängen einstimmen. Pfarrer Chan Kyu Lee predigt ruhig, eine halbe Stunde lang, ab und zu bringt er seine Zuhörer zum Lachen, manche machen sich Notizen. Pfarrer Lees Predigt geht in ein Gebet über, untermalt von Klavierklängen. Mehr als eine Viertelstunde betet er, dann schaltet er das Licht am Lesepult aus und geht. Die Pianistin spielt weiter. Ein Mann steht von seinem Stuhl auf, er schließt die Augen und wirft den Kopf hin und her. Eine junge Frau wippt mit geballter Faust vor der Brust und zusammengepressten Augenlidern vor und zurück. Ein kleiner Junge krabbelt auf den Schoß seiner Mutter und wischt ihr die Tränen von den Wangen. Sie umschlingt ihn mit ihren Armen.

Fortgeschrittene kommen mit auf Missionsreise

„Koreaner sind sehr emotional“, sagt Pfarrer Chan Kyu Lee. Und sehr missionarisch. „In einem engeren Sinn bedeutet Mission, dass wir das Evangelium hier in der Diaspora verbreiten.“ Nirgends in Deutschland leben mehr Koreaner als im Rhein-Main-Gebiet. Sie haben mehrere evangelische Gemeinden, die Hanmaum-Gemeinde ist die am schnellsten wachsende und die größte in Europa. Sie wurde erst vor 18 Jahren gegründet.

Viermal im Jahr werden Neumitglieder im Gottesdienst begrüßt, etwa 50 Erwachsene und Jugendliche jedes Quartal. Hinzu kommen jeweils etwa 15 getaufte Kleinkinder. Ähnlich wie in südkoreanischen Megakirchen mit 10 000 und mehr Mitgliedern ist auch die Hanmaum-Gemeinde in kleine Zellen unterteilt, in Hauskreise, in denen man sich gut kennt und die selbst auch wachsen und sich teilen sollen.

Südkoreanische Megakirchen gerieten wegen großer Finanz­skandale Anfang der 2000er Jahre in Misskredit. Daher muss Pfarrer Chan Kyu Lee Kirchenmüdigkeit entgegenwirken. Seine Gemeinde soll im Glauben wachsen: im täglichen Frühgottesdienst, in Glaubensseminaren, Einzelgesprächen mit Mentoren. Fortgeschrittene fahren auf Missionsreise nach Afrika. Diese ­Reisen prägen. Hier entstehen missionarische Persönlichkeiten, die sich Pfarrer Chan Kyu Lee für seine Gemeinde wünscht.

Se-il Lee war schon dreimal auf Missionsreise dabei. Er ist selbstständiger Unternehmensberater, in Duisburg aufgewachsen, deutscher Staatsbürger. Deutsch ist seine Hauptsprache. Warum er keine deutsche Gemeinde besucht? „Wenn ich bete oder über meine Gefühle spreche, dann eher auf Koreanisch als auf Deutsch“, sagt Se-il Lee, „obwohl mir manchmal dafür koreanische Vokabeln fehlen.“

„Afrika braucht immer noch Hilfe“

Se-il Lees Vater kam 1977 als Bergarbeiter nach Deutschland – über ein Anwerbeabkommen der Bundesregierung mit dem damals ­armen Südkorea. 1980 folgte die Mutter mit dem sechsjährigen Se-il und seiner Schwester. Die Mutter arbeitete als Krankenschwester. Als er 13 war, nahm ihn der Sohn einer befreundeten Familie zur koreanischen Baptisten-Gemeinde nach Düsseldorf mit. So kam Se-il zum Christentum. Er ließ sich taufen. Den Eltern und der Schwester ist sein Glaube bis heute fremd.

Se-il Lee ist Deutscher. Aber beten, über Gefühle sprechen, das tut er lieber auf Koreanisch. Rechts: Streicherinnen, Leadsänger im zweiten Sonntagsgottesdienst.
In Frankfurt bei Samsung lernte Se-il Lee seine Frau kennen, eine südkoreanische Katholikin, die erst als Teenagerin nach Deutschland gezogen war. Sie heirateten, bekamen drei Kinder. Mit der ältesten Tochter kam die Frage: „Wie koreanisch und wie christlich erziehen wir unsere Kinder?“ Das Mädchen habe die ­koreanische Schule nach einem halben Jahr verweigert, erzählt Se-il Lee. Aber wenn die Eltern Sonntagvormittag in die Hanmaum-Gemeinde nach Schwalbach aufbrechen, kommen die Kinder klaglos mit. Auch wenn sie dort kaum etwas verstehen.

„In einem zweiten Sinn heißt Mission für mich, eine Brücke zur nächsten Generation zu bauen“, sagt Pfarrer Chan Kyu Lee. Seine Vision: „In zehn Jahren wird das Wort ‚koreanisch‘ aus unserem Namen verschwinden. Die nächste Generation versteht beide Sprachen und Kulturen. Sie wird unsere Spiritualität weiter­leben. Auch den Auftrag, missionarisch zu sein.“

Am Frankfurter Stadtrand in Eschborn hat die Gemeinde ein 6000 Quadratmeter großes Grundstück gekauft. Platz genug für ein zweistöckiges Gemeindezentrum. Der Hauptsaal soll 670 ­Personen Platz bieten. Und es gibt viel Raum für die Jugendlichen, „die nächste Generation, die nach uns das Evangelium weiterträgt“, sagt Pfarrer Chan Kyu Lee. In einem weiteren Gebäude soll die Missionsarbeit außerhalb von Deutschland vorbereitet werden.

Christentum und Wohlstand, ein Mythos

Das ist für Pfarrer Chan Kyu Lee die dritte missionarische Aufgabe: für den christlichen Glauben in Übersee werben. Viermal war er mit Mitgliedern der Hanmaum-Gemeinde in Kamerun, einmal in Burkina Faso, im Tschad, in Uganda. 2014 ging es nach Madagaskar und 2015 nach Äthiopien. Warum nach so weit weg, warum nicht nach Osteuropa? „Afrika braucht immer noch Hilfe“, sagt Pfarrer Chan Kyu Lee. „Osteuropa ist kompliziert.

Die Fotografin

###drp|MclZYZgMu9N6F_h4QCL3pcPm00148892|i-43|Foto: Privat|###Julia Autz hat noch nie so viel Technik in einer Kirche gesehen. Es gab sogar kostenloses WLAN.

Von einem „10/40-Fenster“ sprechen evangelikale Missionare. Den Begriff prägte der argentinisch-amerikanische Missionar Luis Bush 1989 auf einem Kongress für Weltevangelisation in Manila, Philippinen. Luis meinte die Länder der Nordhalbkugel zwischen dem 10. und dem 40. Breitengrad: das muslimische Nordafrika, den Nahen und Mittleren Osten, Indien, China, Japan und das buddhistische Südost­asien. Hier lokalisierte Luis Bush die von den Verkündigern des Evangeliums bislang noch nicht erreichten Völker. 1995 rief eine Versammlung für Weltevangelisation in Seoul, Südkorea, dazu auf, in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts die eigenen Missionsbemühungen auf Länder in diesem 10/40-Fenster zu konzentrieren.

Evangelisation ist das Gegenkonzept der evangelikalen Internationale gegen den vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgerufenen Kampf für soziale Gerechtigkeit. Gerade auf evangelikale Südkoreaner wirke die Idee, dass christliche Mission direkte Hilfe für die Armen der Welt sei, plausibel, schreibt die koreanisch-amerikanische Geografin Ju Hui Judy Han. Viele glaubten, die Kombination aus Christentum und Neoliberalismus habe ihr Land aus der Armut befreit. Mit ihrer Erfahrung könnten sie nun die nichtchristliche Welt aus ihrem Elend erlösen.

Doch diese Deutung der koreanischen Geschichte gehe an der Realität vorbei, kritisiert Ju Hui Judy Han. Längst nicht jeder habe vom koreanischen Wirtschaftswachstum profitiert. Und mancher sei schon vorher reich gewesen. Sie höre von älteren Südkore­anern, früher habe man Essensreste beim US-Militär auflesen müssen. Doch sie sei niemandem begegnet, der das selbst erlebt habe. Vermutlich, so Han, ist die Verbindung von christlicher Mission und Wohlstand ein südkoreanischer Mythos, mehr nicht. 

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