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Trost im Krieg und Krankenhaus
Die Bibel begleitet viele ein Leben lang. Unsere Leser erzählen ihre persönliche Geschichte mit diesem ganz speziellen Buch
20.06.2016

"Sei getrost und unverzagt"

Brita Wagner, Seeheim-Jugenheim:

Meine erste deutsche Bibel erhielt ich zur Konfirmation. Aufgewachsen in Namibia bei meiner an Krebs erkrankten Adoptivmutter, empfand ich schon als Teenager einzelne Bibelverse als überaus tröstlich und ermutigend. Mit der Zeit wurde mir die Heilige Schrift Kraftquelle und Wegweisung. Seiher begleitet sie mich täglich und hilft mir, alle Hürden und Krisensituationen zu meistern. Zwei markante Beispiele dazu: 1979 lag ich wegen postoperativer Lungenembolie auf der Intensivstation und war dabei im dritten Monat schwanger. Aufgrund von schwerwiegenden Faktoren sei mit „hochgradiger Mehrfach-Behinderung des Ungeborenen“ zu rechnen. Deshalb riet mir der Oberarzt dringend zum Abbruch der Schwangerschaft. Mit Handzeichen gab ich zu verstehen, dass eine Abtreibung für mich nicht in Frage kommt. Auch diesmal beschenkte Gott unsere Familie mit einem völlig gesunden Kind: Seit vielen Jahren versieht Tabea als äußerst engagierte Polizeibeamtin in München ihren oftmals schweren Dienst zum Wohl der Menschen.

Als ich vor einigen Jahren nach einer lebensgefährlichen Notoperation wieder auf Intensivstation lag und nicht zum Lesen fähig war, kamen mir viele motivierende Bibelverse in den Sinn, die sich während der vorangegangenen Jahrzehnte in meinem Gedächtnis eingeprägt hatten, z. B. der göttliche Zuspruch, den König David seinem Sohn Salomo mitgab: „Sei getrost und unverzagt, fürchte dich nicht und lass dich nicht erschrecken." (1. Chronik 22,13) Oder der Vers aus Jes. 40,31: „Aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler…“

Meine Bibel, die mir mein Mann 1971 schenkte, ist schon so zerfleddert, dass sie beim Aufschlagen auseinanderfällt. Die zahlreichen Einträge, die ich mit Bleistift auf vielen unbedruckten Seiten geschrieben habe, sind schon fast gar nicht mehr zu entziffern. Seit 2006 benutze ich eine andere Bibel, die inzwischen auch schon ziemlich abgegriffen ist. Aber ihr Inhalt bleibt mir eine Quelle der Kraft.

Mit Petrus in Kriegsgefangenschaft

Rudolf Sefranek, Roth:

In die linke Brusttasche der Infanteristen-Uniform der deutschen Wehrmacht passte das Neue Testament samt Psalmen gerade hinein. Die Kriegsausgabe kostete, wenn ich mich recht entsinne, 80 Pfennig. Mein Leben konnte ich am 8. Mai 1945 gerade noch über die Elbe retten, aber meine Ausrüstung und mein Neues Testament versanken. Im westlichen Kriegsgefangenenlager gab es Bewacher, die ihre Zigarettenstummeln durch den Stacheldraht warfen. Wie die Hühner liefen die Unsrigen herbei und sammelten sie auf. Das nötige Zigarettenpapier hatten sie schon: Auf der Lagerwiese fand sich ein zerflattertes Neues Testament. Kameradschaftlich geteilt, erhielt jeder eine halbe Seite, ausreichend und gerade passend für eine Selbstgedrehte Zigarette. Sollte ich meinen Anteil, den Anfang des 1.Petrusbriefes, rauchen oder lesen?

Ich lese zum ersten Mal die Anrede "an die Fremdlinge". Deutung meiner Existenz: fremd unter den Kameraden, die sich bestehlen, und fremd in der neuen Zeit. Was vorher gut war, gilt jetzt als böse, was böse war nun als gut. Die Wächter werfen vor unsren Augen einen Schinken lachend ins Feuer. Wir hungern. Wenn wir uns erheben wollen, wird uns schwarz vor den Augen. "Wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung" steht unten auf meinem Abrissblatt, aber – ach! – "durch die Auferstehung von den Toten". Hilfreicheres auf der Rückseite? "Enthaltet euch von fleischlichen Lüsten" Ich wage nicht, das den anderen vorzulesen. Fremde Bibel, weit weg von meinem Leben. Wir aber träumen, wie wir nach der Gefangenschaft leben, das heißt: vor allem essen werden. Ein Schnitzel zum Frühstück, nein: einen Löffel Schweineschmalz als Erstes. Ach, unsere Träume sind noch lebensfremder. Ich erinnere mich Ihrer nur mit Mühe. Meinen Bibelzettel habe ich nicht mit nach Hause gebracht, mir den knappen Text aber in den Monaten eingeprägt, ihn im Geiste bewegt, neu verstanden und bewahrt. Was für ein Schatz!

Trost für die Waise

Alfred Schubert, Wunstorf:

Die Familienbibel war das wichtigste Buch meiner Kindheit während der kargen Kriegsjahre. Die mit Stichen des Malers Schnorr von Carolsfeld ansprechend ausgestattete Konstanzer Ausgabe der Lutherbibel hatte mein Urgroßvater seinem Sohn zur Eheschließung geschenkt. Meine Mutter verband mit dem Erbstück eine traurige, tief erschütternde Erfahrung. Im Alter von sieben Jahren verlor sie die geliebte Mutter. Ihre Kindheit war von Sorgen und Sehnsüchten geprägt, da sie in Ersatzfamilien unterkam, bis sich der Patenonkel im Heimatdorf am Habichtswalde ihrer annahm. Eine Seite am Ende der Jesaja-Schrift hatte meine Mutter mit einem getrockneten Blatt der Weißwurzstaude markiert. Sie erklärte uns, dass sie das dort fett hervorgehobene Bibelwort "Ich will dich trösten, wie einen seine Mutter tröstet" als Linderung ihres schweren Verlusts empfunden hat.

Sie wünschte sich, wenn es einmal so weit wäre, dass wir diesen Spruch für ihre Trauerrede vorschlagen sollten. Dieser Bitte kamen wir nach ihrem Tod nach: Ich berichtete dem Pastor vom Schicksal und Leiden der früh Verwaisten. In seiner Predigt sprach der Pfarrer dann auch einfühlsam von der Zuversicht der Verstorbenen, dass Gott sich unser erbarmt wie eine Mutter ihren Kinder.

Dieses Jahr zu Weihnachten jährt sich der Geburtstag meiner Mutter zum hundertsten Mal. Meine Angehörigen werde ich dann an die schwere Kindheit meiner Mutter, aber auch an die Liebe und Fürsorge erinnern, die sie uns allen geschenkt hat. Meine Enkelkinder sind mit der ehrwürdigen Bilderbibel bereits vertraut, sodass sie am Gedenktag die aufgeschlagene Seite in Jesaja mit den trostreichen Worten zu würdigen wissen werden.

"So las ich im Verborgenen"

Gerhard Krumm, Niederdreisbach:

Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen, in dem die Bibel stets geachtet war. Das Mittagessen wurde immer mit einer kurzen Lesung aus der großen Hausbibel abgeschlossen. In den letzten Kriegsjahren gab es keine Bibeln mehr zu kaufen. Meine beiden Brüder wurden zum Militärdienst eingezogen und im Januar 1944 erhielt ich einen Stellungsbefehl, um als Luftwaffenhelfer mit 15 Jahren zur Flak einzurücken. Woher sollten meine Eltern, die ihre Söhne aus dem Haus entlassen mussten, drei Bibeln nehmen? So erhielt ich als letzter ein kleines Neues Testament. Zu meiner Schande muss ich bekennen, dass ich mich schämte, in Gegenwart meiner Kameraden die Bibel zu lesen. So las ich im Verborgenen.

Aber eines Tages war mir auch das nicht mehr möglich. Am 25. August 1944 gab es einen schweren Luftangriff auf Rüsselsheim. 20 Meter von meinem Deckungsloch, in dem ich Schutz suchte, schlug eine Phosphorbrandbombe ein, die unsere Holzbaracke in Sekunden lichterloh in Brand setzte. Auch meine Bibel verbrannte. Nach Kriegsende erhielt ich nach langem Suchen von Bekannten eine arg mitgenommene Bibel, die aus dem Einband herausgerissen war, der außerdem auch fehlte. Und das Johannes-Evangelium fehlte ebenfalls. Ich bekam irgendwoher ein loses Johannes-Evangelium und meine Schwester flickte das alles zusammen. Ich war glücklich eine Bibel zu besitzen, die ich jetzt ungehindert lesen konnte.

Ich habe mir Gedanken gemacht, warum fehlte gerade dieses Evangelium? Ich nehme an, ein Soldat hat das Johannesevangelium herausgerissen, um nicht eine dickes Buch mitzuschleppen. Auf das Evangelium nach Johannes wollte er jedoch nicht verzichten. Und auch mir ist dieses Evangelium im Laufe meines Lebens sehr ans Herz gewachsen. Es zeigt in gut verständlicher Sprache, dass Gott die Welt geliebt hat und Jesus Christus der Sohn Gottes ist und unser Weg zum Heil. Wenn ich heute noch einmal in den Krieg oder in die Verbannung gehen müsste, auf das Johannes-Evangelium würde ich nicht verzichten. 

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