Fotos: Sabine Oberpriller
Unterwegs im Rotlichtmilieu
Die Tour ist eine Art Studienreise für Frauen. Vier Stationen sollen zeigen, dass Bordelle weniger Samt und Federn hätten, als Frau sich das gewöhnlich ausmale. Doch der Schwerpunkt der Tour entpuppt sich als ein anderer: Alle geben sich viel Mühe, uns zu erklären, dass alles hier nur zum Guten geschehe und wirklich nicht so schlimm sei.
30.03.2016

Irgendwann wird einer Teilnehmerin die Ungerechtigkeit bewusst. "Warum gibt es Bordelle nur für Männer?", fragt sie nahezu quengelig. "Warum nicht für Frauen?!" Claudia, Besitzerin der Animierbar My Way, klärt sie auf: Alle Callboy-Konzepte hätten keinen Erfolg. Wir Frauen seien eben anders erzogen. Aha, denke ich mir. Denn im selben Moment habe ich gedacht, dass es mir schäbig vorkäme, wenn jemand sich für Geld vor mich aufs Bett legen würde. Es ist eine von mehreren unbequemen Wahrheiten, die wir auf der Tour durch das Frankfurter Rotlichtviertel lernen.

Die Tour ist eine Art Studienreise für Frauen. Vier Stationen sollen zeigen, dass Bordelle weniger Samt und Federn hätten, als Frau sich das gewöhnlich ausmale, sagt Tourguide Ullrich Mattner. Doch der Schwerpunkt der Tour entpuppt sich als ein anderer: Alle geben sich viel Mühe, uns zu erklären, dass alles hier nur zum Guten geschehe und wirklich nicht so schlimm sei.

Die erste Lektion erhalten wir gleich zu Beginn, da haben wir das berüchtigte Bahnhofsviertel noch gar nicht betreten.

"Sie alle können sofort als Prostituierte anfangen."

Der Dokumentar der Szene

Stille. Jemand lacht. Mattner genießt unsere Überraschung. 25 Frauen jeden Alters und jeder Form. Eine gehbehinderte Frau klackert ihre Krücken gegeneinander. "Auch ich?" – "Auch Sie", bestätigt er. "Die älteste Anschaffende in Frankfurt ist übrigens 75 Jahre alt." Dann geht es los. 25 potentiell für Prostitution geeignete Frauen marschieren in Richtung Rotlichtmilieu, angeführt von Ullrich Mattner.

Mattner ist Fotograf mit betont mittelmäßig gepflegter Mähne. Er wirkt wie eine Kreuzung zwischen Altrocker und Hippie, der sich ausnahmsweise in ein Hemd gezwängt hat. Während der vierstündigen Tour bleibt er sonnig und sonor, selbst bei den Passagen über Elendsprostitution. Diese Touren veranstalte er, sagt er, weil er seit zig Jahren in dem Viertel lebe und den Flair dort liebe. An den Bordellen hege er berufliches Interesse, er dokumentiere die Szene als Fotograf, das ist die offizielle Version am Telefon. Irgendwann im Laufe der Tour outet er sich selbst als Freier.

Eine zweispurige Straße trennt das Viertel von einem der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Deutschlands, dem Hauptbahnhof. Auf der einen Seite kommen die Handelsreisenden, die Messebesucher, die Touristen an. Auf der anderen vermischen sie sich mit Studenten, Bankern, Einwanderern aller Schichten, Bettlern, Huren und Strichern zu einem vielgerühmten Multikulti. Ob sie die Diskussion über die Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes verfolgen, will ich im Gehen von einigen Teilnehmerinnen wissen. Sie fragen zurück: "Ist das eigentlich verboten?", sagt eine.

"Männer sind Pusteblumen"

In den Straßenschluchten, über denen sich wie ein Gebirge die Skyline des Bankenviertels erhebt, lässt sich alles finden, was der geile Freier begehrt. Der Straßenstrich ist zwar verboten, trotzdem finden sich Junkies, Männer wie Frauen, und solche, die auf ausgemergelte Körper stehen. Für manche Banker sei das Spiel mit Krankheit der Kick, ein Kontrast zu ihrem klinischen, überorganisierten Alltag, sagt Mattner. Andere, Einsame mit Helfersyndrom, lassen sich von den Junkies ausnutzen. Später wird er uns das Foto der Stricherin Karin zeigen. Heroinsüchtig, eingefallene Gesichtszüge. Sie gehört zu denen, die das Rotlichtmilieu prägen. Es sei eine Szene mit ganz eigenen Regeln. Das will Mattner damit sagen.

"Ins My Way dürfen auch Frauen. Sex gibt es keinen", betont Inhaberin Claudia
Im Bahnhofsviertel lässt sich alles finden: Stripclubs, Erotikshops, Kinos, Bordelle, Animierbars. Nur zwei Kreuzungen weiter stehen wir vor so einer, dem My Way.

Ins My Way dürfen auch Frauen. Sex gibt es keinen, betont Inhaberin Claudia. In Animierbars geht es darum, sich nett zu unterhalten. Für Männer, die keine Abfuhr riskieren wollen, gibt es Animiermädchen. Claudias Mädchen sind hübsch, nett, sie machen Konversation, sie hören zu. Dafür kosten die Drinks, die man ihnen spendieren muss, 18 Euro. Männer, erfahren wir von Mattner, lassen sich einen netten Abend etwas kosten.

Zeit, etwas über das männliche Geschöpf zu lernen. Mattners Pusteblumentheorie: "Männer brauchen das", sagt er und meint die Bordelle. "Ihr Frauen müsst von der Evolution her darauf achten, wessen Erbgut ihr an eures ranlasst. Männer sind Pusteblumen. Männer sind geil von 15 bis 50 Jahren. Die müssen Druck ablassen, damit sie wieder denken können. Deswegen kommen die Banker in der Mittagspause ins Viertel, die müssen abspritzen."

Wäre ich ein Mann, ich würde vor Scham versinken. Die Frauen: Lachen.

Offenbar muss ich meine Meinung von Männern nach unten korrigieren.

In der Rotlichtgrotte

Ins Bordell geht es durch eine Vagina hindurch; sie gehört einer anzüglichen Figur, die mit weitgespreizten Beinen über den Treppenaufgang gemalt wurde. Sie ist übergroß, wir sind klein. Einige Frauen ducken sich unwillkürlich hindurch.

Drinnen umfängt uns das Pufflabyrinth. Enge Wendeltreppen führen zu den Stockwerken, es gibt mehrere Aufgänge, es gibt Aufzüge. Die Gänge sind schmal. Lebendige Stille füllt sie. In einem fernen Stockwerk raschelt Kleidung, klappert ein Schuh, ein Geländer, tönt ein Gesprächsfetzen, Musik, allgegenwärtig die Lüftung. Viele Queren und Stiegen lang ist man mit sich allein, weiß man nicht, ob gleich ein anderer Mann auftaucht oder eine Frau, ein Transvestit – oder der Sicherheitsbedienstete. Alle, die sich hier begegnen, teilen sich ein Geheimnis.

Neben dem Aufenthaltsraum hat Avram ein Auge auf die Bilder der Überwachungskameras
Viele reizen diese Spannung aus. Ehe sie sich für eine Prostituierte entscheiden, streifen sie drei bis fünf Stunden durch alle 21 Häuser des Viertels, über 1200 Stufen.

Anders gesagt: Sie tatschen sie durch. Wie Bauern auf dem Markt testen, wie feist ein Ferkel ist, streichen die Männer zwischen langen Beinen, fülligen Beinen, wohligen Busen, knappen Outfits hindurch und befühlen das Fleisch, bevor sie 30 Euro für eine Viertelstunde hinblättern. Schätzungsweise 600 Frauen warten im Viertel auf Kundschaft.

Hinter dem Türstock in der ersten Etage wirkt der Flur wie eine Rotlichtgrotte. Dass eine Horde Frauen sich durch ihren Gang schiebt, irritiert die Prostituierten, obwohl wir nicht die erste Gruppe sind, die bei Domina Maxima* einkehrt. Wir sind Fremdkörper.

 Domina Maxima und das schwarze Knebel-X

Eine sitzt im Türrahmen, die Figur verschwimmt im Rot. Weiter hinten ist durch eine offene Zimmertüre ein Paar Beine zu sehen. 70 Prozent aller Beine hier gehören Frauen, die aus Osteuropa nach Deutschland gekommen sind. "Rotlicht macht alle schön", sagt Mattner. Es macht aber auch körperlos. Ich frage mich, ob die Fassade stark genug ist, dass die Frauen sich hinter ihr verschanzen können. Viele sagen, dass sie trennen: Zwischen Rotlicht und Privatsphäre. Genau wie andere Arbeitnehmer auch. Andere sagen, dass einen die Szene aufsaugt und die Bordelle zu einer neuen, kleinen Welt werden. Ein Zimmer kostet pro Tag 140 Euro, zu bezahlen bis um zwei Uhr nachts. Viele Ostmädchen wohnen hier. Allein für Steuern und Miete brauchen sie im Schnitt 6 Kunden pro Tag. "Es ist nicht toll, aber es gibt einige nicht so tolle Jobs", sagt Mattner, "es ist einfach normal."

Auf der Kommode bewegen flackernde Duftkerzen das Gesicht einer Madonna
Im Zimmer der Domina Maxima ist das schwarze Knebel-X an der gegenüberliegenden Wand nicht zu übersehen. Davor steht im Eingangsbereich die Knebelbank, über die Maxima Mattner zu Demonstrationszwecken stößt. Maxima ist klein, drahtig, aber nicht dürr, statt Lack trägt sie für uns ein schwarzes T-Shirt. Dominas bieten keinen Sex. In diesem Raum geht es um Macht und Unterwerfung. Auf der Kommode neben der Tür bewegen flackernde Duftkerzen das Gesicht einer Madonna, dazwischen Muscheln und mit Glückscents beklebte Figuren. Wenn Männer bepinkelt werden möchten oder andersrum, geleitet Maxima sie ins angrenzende Badezimmer.

Die Frauen drängen sich um das schwarze Bett herum. Sitzen mag keine.

Dass sie da ist, erleichtert vielen das Leben. Meistens, sagt sie, gehe es um seltsame Spleens, die viele dem Partner nicht sagen möchten. Etwa der Mann, der kommt, um mit Spielzeugautos zu spielen. Maxima soll ihn dann bestrafen. Manche Frauen in der Runde runzeln die Stirn. Was, wenn der eigene Partner solche Wünsche äußert? Mitmachen? Zur Nutte schicken? Spontane Diskussionen finden kein Ergebnis. Mattner grinst.

Avram sorgt für Ordnung 

"Natürlich hören viele auch auf", sagt Maxima, "weil sie keinen Bock mehr haben, Hamster zu zertreten und dann klebt die ganze Pampe am Schuh."

Sie sagt auch, sie habe sich ganz normal für diesen Job entschieden. Vorher hat sie als Prostituierte gearbeitet. Die Eltern wüssten es, ihr Mann wisse es, sie habe einen kleinen Sohn, alles ganz normal. Dann klatscht Mattner in die Hände, die Zeit drängt. Wir müssen weiter.

Weiter zu Avram*, der uns im Gemeinschaftsraum den Kaffeeautomaten zeigt und von der tollen Arbeitsatmosphäre schwärmt. Der erzählt, wie kulant das Haus mit säumigen Zahlerinnen umgehe, obwohl man aufpassen müsse – "die bescheißen einen auch", sagt er. Seine Holzperlenkette mit Kreuz drückt sich unter dem engen Shirt ab. Sandwiches, Küchenpapier und Kondome sind in der Tagesmiete inbegriffen. Besser als nichts. Bei Schwierigkeiten können die Frauen Avrams Hilfe rufen. Meistens passiert das, wenn die Potenzprobleme besoffener Rüpel mit dem bezahlten Zeitlimit kollidieren.

Ich trödele. Kaum ist die Gruppe verschwunden, kommen vier Mädchen, eine spricht deutsch. Eine, sagt Avram, sei im Heim aufgewachsen, sie habe Hygiene nicht gelernt. Immer muss er sie ermahnen. Er greift zu einem Ordner. Meldekarten sind darin, und Unterschriften. Die Mädchen versichern damit, dass sich schon vorher als Prostituierte gearbeitet haben. "Ein Witz", sagt er erbost. "Das unterschreibt jede, keiner kann es prüfen." Dann erzählt er mir, dass er sich schämt, dass er niemandem sagt, wo er arbeitet. Dass seine Schwestern es auf keinen Fall wissen dürfen.

Draußen füllen sich die Gehsteige. Die Nacht kommt in Schwung, während ich über die Tour nachdenke: Wenn Frauen ohne Bordelle auskommen, können es dann auch die Männer? Muss im Kapitalismus akzeptiert werden, dass Menschen ihre Körper zu Geld machen? Wie schützt man die Mädchen und Jungen, denen vorgegaukelt wird, es gäbe keine Alternative? Ein paar Meter vom Club entfernt, pulen neben einem Mülleimer drei zerrissene Gestalten Wäschestücke aus einem Plastiksack. Als ich aufsehe, lehnt an einem Schaufenster Karin, die heroinsüchtige Straßenhure. Bis auf die Knochen dürr, in weitem dunklen Pullover und ausgebeulten Hosen. Mit forschen Augen schaut sie mich an.

Permalink

Der aber leider nur wenig aussagt, 120 € sind schon fast die Tagesmiete. Und das im eher billigen Bereich des Bahnhofs. Wenn man bedenkt was gehobene Prostituierte in Frankfurt für einen saturierten Kundenkreis haben können wird klar warum es Menschen gibt die es Freiwillig machen.
Ansonsten merkt man wieder deutlich wie verschieden Sex wahrgenommen wird, erstaunlicherweise sind Frauen doch oft recht naiv während andere bewusst Kapital daraus schlagen.

Sehr guter und spannender Beitrag

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Fahrrad aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.