Ulrike E. auf einer Bank
Als ihre Mutter starb, war Ulrike E., 64, ausgebrannt. Jetzt ist die Heiterkeit zurückgekehrt
Christina Lux
Einmal falsch abgebogen
Sie kümmerte sich 22 Jahre um ihre alte Mutter. Zuletzt empfand sie es nur noch als Falle
undefinedNicole Malonnek
19.03.2016

Es war einige Monate, nachdem meine Mutter gestorben war: ­Ich stand in einem Gedenkgottesdienst neben einer Frau, die weinte. Fast hätte ich sie um ihre Trauer beneidet. Ich fühlte keine Wut mehr, aber auch keinen Schmerz. Dabei bin ich ein Mensch, der gerne pflegt. Auch als Lehrerin kümmerte ich mich um die schwächeren Schüler besonders. Erst wollen sie nicht, aber habe mal Geduld, dann entwickelt sich etwas Schönes.

Ich war 41, da reichte ich bei der Schulbehörde in Köln einen Versetzungsantrag ein, um zurückziehen zu können in das Dorf meiner Kindheit. Mein Vater war schwer erkrankt, meine Mutter überfordert mit der Pflege. Sie hatte ja nicht mal einen Führerschein. Ich dachte: „Du hast Kraft, und jetzt kümmerst du dich noch die paar Jahre um deine Eltern.“ Mein Freund würde erst pendeln und später nachkommen. Nur eine Freundin, die ihre Mutter selbst pflegte, sagte zu mir diesen Satz, dessen Bedeutung ich erst viel später verstand: „Hast du dir das auch gut überlegt?“

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Voller Elan zog ich in die obere Etage meines Elternhauses, und mein Leben änderte sich radikal. Morgens kochte ich ihnen nun das Mittagessen vor. Dann raste ich in die Schule. Nach­mittags, zwischen Korrekturen und Elterngesprächen, fuhr ich meinen Vater zu Ärzten, erledigte für meine Eltern die Einkäufe, die Bankgeschäfte und ihre Wäsche. Als mein Vater anderthalb Jahre später starb, führte ich den Haushalt für meine Mutter ­unverändert weiter. Doch, einen Unterschied gab es: Es bedankte sich niemand mehr bei mir.

„Ulrike, du hast zu viel gekocht, wer soll das alles essen?“ ­Nach dem Essen sagte sie: „Satt geworden bin ich eigentlich nicht.“ Die Wärmflasche war zu heiß oder zu kalt, meine Telefonate nach Köln dauerten zu lang und das Kaffeetrinken mit ihr viel zu kurz. Abends, wenn ich erschöpft in meiner Wohnung verschwand, murmelte sie hinter mir her: „Jaja, die Alten gelten nichts mehr, und die Jungen feiern nur.“ In 30 Jahren als Lehrerin schaffte es kaum ein Schüler, mich aus der Ruhe zu bringen. Aber meine Mutter reizte mich bis aufs Blut. „Stell auf Durchzug“, sagte ich mir, „du hast sie nicht mehr lange.“

Die Flucht ins Haus nebenan

Zwei Jahre später erkrankte mein Freund an Krebs und starb bald darauf. Jetzt saß ich in der Falle. Beruflich festgelegt auf die neue Schule. Privat so beschäftigt mit dem engmaschigen Haushaltsprogramm meiner Mutter, dass mir die Luft zum ­Atmen wegblieb. „Ulrike, komm mal runter, ich bin so allein.“ Es kam zwar mittlerweile zweimal am Tag ein Pflegedienst, aber sie wollte ständige Präsenz, und zwar von mir. „Ulrike, was meinst du, wie lang eine Nacht ist, wenn man nicht schlafen kann?“ ­Meine alte Mutter erschöpfte mich, aber sie rührte mich auch. Wie furchtbar muss es sein, schwach und schlaflos wach zu liegen! Aber was hätte ich tun sollen? Mein Bett neben ihres rücken?

Meine Rettung kam vier Jahre später in einem Urlaub auf ­Norderney. Ich verliebte mich in meinen heutigen Mann, was für ein Glück. Meine Mutter kommentierte es vor unserer Nach­barin so: „Aber sie ist schon fünfzig, ich dachte, über das Thema ­Männer wäre sie mal langsam hinweg!“ Mit meinem Freund im Rücken gelang mir die Flucht in das Haus direkt nebenan. Aber noch immer schreckte ich nachts hoch, schaute aus meinem Dachfenster in ihr Schlafzimmer. Brennt Licht, könnte sie gestürzt sein? Ich fand keine Ruhe. 15 Mal rief sie den Krankenwagen in 22 Jahren. Meistens, wenn wir gerade auf dem Weg in den Urlaub waren. Standen wir atemlos an ihrem Bett, besserten sich ihre Herzprobleme, und sie wollte nach Hause.

In ihren letzten Wochen, ich war inzwischen 64 Jahre alt, zwang mich eine Bronchitis für Monate in die Knie. Mein Körper war ausgebrannt. Nur mit größter Überwindung schleppte ich mich an ihr Bett. Da saß ich, starrte auf ihre knochigen Hände, und mir liefen die Tränen. In was für eine Situation hatte ich mich nur gebracht? Einmal falsch abgebogen.

Im letzten Sommer ist sie dann mit hundert Jahren gestorben. Meine Kraft kehrt zurück. Neulich fiel mir zum ersten Mal auch wieder einer unserer schönen Momente ein. Wie wir aus ihrer Apfelbaumwiese einen Blumengarten machten und wie sie sich freute an den Tulpen und Rosen

Protokoll: Silia Wiebe

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