Julie Delpy
Foto: Dirk von Nayhauß
"Ich weiß heute, dass ich eine Geschichte erzählen kann"
Sie hat gerade geheiratet, sie ist glücklich. Aber ­Julie Delpy will auch Raum für sich allein
Dirk von Nayhauß
17.03.2016

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich schreibe – das ist so, als würde ich woanders hingehen. Ich stelle mir die einzelnen Szenen vor, ich höre die Stimmen, ich bin wirklich drin. Ich lache, ich weine, ich erlebe die Gefühle. Ich bin alle Figuren und bin in allen Situationen, ich sehe alles, sehe Details der Umgebung, als wäre ich tatsächlich dort. Es ist ein gutes Gefühl, es ist, als hätte ich viele Leben.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Mein Sohn, er ist sieben, sagt immer: „Ich brauche einen Beweis, Mami.“ Doch eine Nähe Gottes fühle ich nie. Bin ich in der Natur, sehe ich Natur. Ich hatte sehr religiöse Großmütter, aber meine Eltern waren Hippies, so bin ich aufgewachsen. Meine Vorstellung von Gott ist unabhängig von allen Religionen, sie ist vager als die Idee eines Mannes mit einem langen Bart. Wenn es einen Gott gibt, dann ist er überall und in allem, und er ist jenseits dessen, was wir verstehen könnten.  

Muss man den Tod fürchten?

Ich habe Angst vor dem Tod. Es ist doch ganz natürlich, den Tod zu fürchten. Es ist das Ende des Bewusstseins in jener Form, wie wir es kennen. Es bedeutet die Zerstörung des Ichs, ich möchte aber mein Ich nicht einfach loslassen. Ich glaube auch nicht, dass wir nach dem Tod in den Himmel kommen. Ich bin mir sehr sicher, dass es das Ende ist. Meine Mutter, sie starb vor einigen Jahren, hätte mit mir kommuniziert, um mich zu beruhigen – aber es kam nichts.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

"Hat das Leben einen Sinn?“

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Kürzlich habe ich geheiratet, nun habe ich etwas weniger Raum. Früher wollte ich das nie, aber ich habe nun doch jemanden geheiratet, der es verdient. Ich bin glücklich. Und ja, ich brauche meinen eigenen Raum, das war immer ein Problem für mich. Gerade wenn ich schreibe, kann ich keinen Menschen um mich herum ertragen, jedes Geräusch stört mich, da werde ich zu einem Monster. Ich finde es schon furchtbar, wenn jemand auch nur durch den Raum geht. Ich muss komplett für mich allein sein. Sehr glücklich macht es mich, meinen Sohn zu lieben und von ihm geliebt zu werden. Seine Liebe ist nicht völlig uneigennützig, er will ja zum Beispiel das neue Lego-Set haben. Kinder wissen sehr genau, wie sie das bekommen, was sie wollen, und da benutzen sie auch die Liebe. Das ist menschlich, das ist in Ordnung. Und es ist lustig, das bei kleinen Kindern zu sehen, weil sie bereits genau wissen, wie sie dich zum Schmelzen bringen – mein Sohn setzt dann sein niedlichstes Gesicht auf. Und ich? Ich sage ihm: „Du kannst alles haben, was du willst.“ Die Liebe zwischen Eltern und Kind ist wunderschön, sie ist nicht immer rein, aber sie ist sehr stark.

Wie gehen Sie mit Schuldgefühlen um?

Bin ich gemein zu jemandem, der mir wichtig ist, bitte ich um Entschuldigung, kaufe ein Geschenk, ich mache zwanzig Sachen. Streite ich mich mit einer Freundin oder sage etwas Gemeines zu ihr, kaufe ich ihr ein Kleid, rufe sie jeden Tag an, um sicher zu sein, dass es ihr gut geht, um sicher zu sein, dass sie mir vergeben hat. Aber oft hat es ja gar nichts mit dem anderen zu tun, wenn man sich streitet, es geht um einen selbst. Bei mir ist es immer das Gleiche: Ich bin unglücklich, weil etwas im Job nicht richtig läuft; oder ich habe wieder Angst, ins Flugzeug zu steigen. Anstatt zu sagen, was mich bedrückt, breche ich einen Streit vom Zaun.

Wie haben Sie sich verändert – im Lauf des Lebens?

Ich kann bis heute nicht gut mit Stress umgehen, ich schlafe oft schlecht, mache mir dauernd Sorgen. Es war schon besser ge­worden, aber als mein Sohn kam, war es vorbei damit. Ich hatte schon immer viele Ängste, aber jetzt ist es wie die Hölle auf Erden. Natürlich soll er seine eigenen Erfahrungen machen, aber es gibt bestimmte Dinge, die lernt man so nicht. Du willst nicht, dass dein Sohn auf der Straße seine eigenen Erfahrungen macht, er könnte dabei sterben. Andere Veränderungen? Ich weiß heute, was ich mit meinem Leben anfangen möchte. Schon vor 25 ­Jahren wollte ich Regisseurin sein, heute bin ich es. Manche meiner Filme sind gut, manche sind okay, andere nicht – egal, ich mache weiter. Ich weiß heute, dass ich eine Geschichte erzählen kann. Ich kann auch nicht nur eine Sache allein machen. Immer wieder raten mir Leute, mich auf eine Sache zu konzentrieren. Aber jeder ist anders! Mache ich nur eine Sache, werde ich unruhig, ich mag es, viele Dinge gleichzeitig zu tun. Ich habe mich selbst ein bisschen gefunden, und das ist doch großartig.

Quelle: NFP

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