Foto: imago/Arnulf Hettrich
Sex als Reisemotiv?
Die Urlaubssaison beginnt - und viele Menschen tun Dinge, die sie zu Hause streng verurteilen würden. Über Sextouristen, Abhängigskeitsverhältnisse und die Notwendigkeit zur Aufklärung spricht Antje Monshausen von Tourism Watch bei Brot für die Welt.
Tim Wegner
30.06.2015

Frau Monshausen, Millionen von Deutschen fahren in den nächsten Wochen in den Urlaub – werden wieder viele Sextouristen unter ihnen sein?

Es ist kein Zufall, dass die Rotlichtbezirke in vielen Tourismushochburgen beliebte Anziehungspunkte für Reisende sind. Für einige ist Sex sogar ein Reisemotiv und einem Flirt im Ausland sind viele Reisende zugetan. Nicht nur im Urlaub, sondern auch auf Geschäftsreisen suchen Menschen sexuelle Abenteuer.

Ist auch Kindersextourismus ein Thema?

Die meisten Menschen haben einen klaren Kompass und verurteilen sexuelle Ausbeutung von Kindern ganz eindeutig. Leider ist aber auch klar, dass für viele Menschen der Urlaub Freiheit bedeutet – auch von gesellschaftlichen Konventionen. So zeigt sich, dass neben dem harten Kern reisender Sexualstraftäter, die bewusst mit dem Ziel verreisen, sich sexuellen Zugang zu Kindern zu verschaffen, auch Menschen zu Tätern werden, die zu Hause vollkommen unauffällig sind.

Gibt es tatsächlich den braven Familienvater, der Frau und Kinder im Hotel lässt und sich im Puff am Strand von einem jungen Mädchen mal schnell befriedigen lässt?

Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass man einen Sextouristen oder eine Sextouristin einfach erkennen könnte. Grundlage der sexuellen Ausbeutung im Urlaub sind oft Abhängigkeitsverhältnisse, die beispielsweise dadurch entstehen, dass Reisende in Ländern unterwegs sind, die von ökonomischer Armut betroffen sind. Dort geraten Kinder aus purer Not in die Prostitution, beispielweise weil die Eltern sie in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Städte oder Tourismushochburgen schicken und sie dort Opfer von skrupellosen Menschenhändlern wurden.

Und Sextouristen beruhigen ihre eigenen Skrupel dann damit, dass sie die Opfer  „aus dem Elend“ holen, da sie ja mit Euro oder Dollar zahlen?

Das ist natürlich eine zynische Verkehrung der Realität. Man verschließt die Augen, will die Wahrheit nicht sehen. Es wird auch die Argumentation genutzt, dass 12- oder 14-jährige Mädchen in den Reiseländern viel weiter seien, weil sie oft bereits mehr Verantwortung tragen, als Gleichaltrige in Deutschland. Auch dies ist eine schwer zu ertragende Rechtfertigung. Unabhängig von den Rechtfertigungen der Täter,  leiden die Betroffenen oft ihr Leben lang unter Traumatisierungen.

Sie sprechen ganz bewusst von „Betroffenen“ – unabhängig vom Geschlecht?

Ja, auch Jungen werden von Sextouristen ausgebeutet. Für die Jungen bedeutet dies oft eine doppelte Kriminalisierung und Ausgrenzung: Nicht nur Kinderprostitution ist in vielen Ländern eine Straftat, auch Homosexualität ist oft streng verboten und gesellschaftlich geächtet.

Aber Mädchen werden schwanger und bekommen Kinder, denen man auf den ersten Blick ihre Herkunft ansieht.

Nicht nur die Mütter werden ausgebeutet, auch ihre Kinder sind oft ein Leben lang stigmatisiert und wachsen unter schwierigen, oft ungeschützten Bedingungen auf.  Da die Väter unbekannt sind, ist auch von dieser Seite keine Unterstützung zu erwarten.

###mehr-extern###Aber der Sex mit Minderjährigen, der ist immer strafbar?

Sexueller Missbrauch von Minderjährigen ist in fast allen Ländern strafbar, auch in Deutschland. Begeht ein Deutscher im Ausland eine Sexualstraftat mit Minderjährigen, wird diese Tat auch nach der Rückkehr in Deutschland verfolgt. Deswegen können auch Reisende aktiv werden und Beobachtungen melden.

Wie?

Das Bundeskriminalamt hat eine Meldeadresse eingerichtet. Wichtig ist eine möglichst genaue Beschreibung der auffälligen Beobachtungen zu liefern, also die Fragen was, wann, wo und wenn möglich wer zu beantworten. Nicht strafrechtlich relevante Informationen können an die Kindesschutzorganisation ECPAT Deutschland gemeldet werden, z.B. wenn ein Taxifahrer sie darauf aufmerksam macht, dass man in der Straße XY Vergnügen mit jungen Mädchen oder Jungen haben kann. Auch diese Informationen sind extrem wichtig und helfen, Kinder zu schützen. So entsteht ein immer genaueres Bild der Risikosituation vor Ort zu bekommen. Sowohl das Bundeskriminalamt, als auch Ecpat erreichen Sie über die  deutsche Meldeplattform. Zu den Strafverfolgungsbehörden anderer europäischer Länder gibt es auch eine Internationale Website

Was kann ich tun, wenn ich vermute, dass andere Reisende, junge Einheimische auf ihr Zimmer mitnehmen?

Sie können das Hotelpersonal ansprechen oder Ihren Reiseveranstalter. In Deutschland hat neben einigen engagierten Reiseveranstaltern auch der Reiseverband DRV den Kodex zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung im Tourismus unterschrieben. Das heißt er hat sich damit  verpflichtet, sein Personal zu schulen und praktiziert eine Null-Toleranz-Politik gegenüber seinen Vertragspartnern, wie beispielsweise Hotels.

Steigt die Zahl der Opfer weltweit?

Wir müssen leider davon ausgehen, dass die Zahl der Opfer durch den weltweit steigenden Tourismus weiter wächst. Und es kommen neue Risikofaktoren hinzu, wie die digitalen Medien.

Ohne den sexuellen Missbrauch in geringster Weise entschuldigen zu wollen – spielt auch Unwissenheit manchmal eine Rolle?

Sex mit Minderjährigen geschieht nie „ aus Versehen“ und man kann immer „nein“ sagen; aber natürlich hilft Wissen und eine grundsätzliche Sensibilisierung für das Thema. Sich die Machtstellung zu vergegenwärtigen, die man als Reisender in vielen armen Ländern hat, ist hilfreich. Reisende sind dann besser gewappnet, einen Flirt nicht abdriften zu lassen in eine Ausbeutungssituation.    
 

 

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