Foto: Issei Kato / Reuters
Sabine Kluger mit einer E-Mail aus Japan.
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09.06.2015

„Haben Sie denn keine Angst vor der Radio­aktivität?“, fragten mich die Frauen in der Stadt Fukushima, als ich das erste Mal dort Unterricht hielt. Was soll man darauf antworten? „Doch, natürlich“, gab ich zu. Die Präfekturhauptstadt liegt etwa 60 Kilo­meter vom zerstörten Atomkraftwerk entfernt. Die Strahlung hier ist höher als in manchen Orten, die näher liegen.

###autor### An vielen Stellen stehen öffentliche Messgeräte, so als wolle man die Bevölkerung beruhigen: Seht her, es ist alles in Ordnung! Wenn ich zu Fuß vom Bahnhof zum Unterrichtsort gehe, sehe ich die ­Werte auch auf dem Display meines Geiger­zählers. Den bekam ich, als klar war, dass ich öfters hierherfahren würde. Er misst die Alpha-, Beta- und Gammastrahlung. Strontium zum Beispiel, das sich in den Knochen anlagert und besonders giftig ist, kann er nicht messen. Dazu bräuchte man ein Profi-Instrument.

Die Zahlen auf meinem Gerät schwanken. An sonnigen Tagen sind sie höher als bei Regen. Manchmal stimmen sie mit den öffentlichen Werten überein, manchmal sind sie höher. Niedriger sind sie nie.

Für mich selbst sehe ich die Strahlung als kalkulierbares Risiko. Ich bin keine dreißig mehr, habe keine kleinen Kinder und kann jederzeit wieder wegfahren. Beim Anblick der Frauen, die mit ihren Familien hier leben, schnürt sich aber etwas in mir zusammen. Sie müssen bleiben. Ihre Kinder dürfen wegen der hohen Strahlenbelastung nur selten im Freien spielen. Manche in der Frauengruppe können nur hier über ihre Sorgen sprechen. Denn die Ehemänner oder Nachbarn glauben der Regierung, die Fukushima und andere Ortschaften außerhalb der Sperrzone für sicher erklärt hat.

Es gibt viele Menschen in Fukushima, die Angst haben – und die wütend sind. Auf das Energieversorgungsunternehmen, auf die Regierung und auf die Behörden. Dabei wissen sie nicht ­einmal, ob sie das überhaupt dürfen: offen wütend sein in einer so sehr auf Harmonie bedachten Kultur wie der japanischen.

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