Jan Hus  (1369–1415), John Wyclif, Tomáš Garrigue Masaryk und Václav Havel in einer Illustration
Jan Hus (1369–1415), sein theologisches Vorbild John Wyclif, die Staatsmänner Tomáš Garrigue Masaryk und Václav Havel
Eva Hillreiner Fotovorlage: agk-images
Die Macht des Gewissens
Für die Tschechen wurde Jan Hus zum Vorkämpfer der Freiheit. Arnd Brummer über die Faszination des frühen Reformators
Lena Uphoff
03.06.2015

Ein strahlender Tag. Die Konstanzer Ratsknechte schwitzten in der Mittagshitze des 6. Juli 1415. Sie hatten auf der Wiese am Großen Brühl Holz und Stroh zu einem Scheiterhaufen aufgestapelt. Und wie ein Lauffeuer verbreitete sich in der Stadt die Kunde: Heute soll Jan Hus, der böse Mann aus Prag, in die Hölle fahren. Alles, was Beine hatte, säumte den Weg, auf dem der Großketzer vom Versammlungsort der Konzilsväter im Münster zur Hinrichtungsstätte geführt werden sollte.

Ein Ende mit Schrecken für einen der schlimmsten Ketzer aller Zeiten, so wollten es seine Gegner. Es war der Anfang einer weltweiten Wirkungsgeschichte, für die Jan Hus selbst wohl nur eine Erklärung liefern würde: Gottes Wille geschehe!

Als sich die Münsterpforte öffnete, war der Verurteilte unschwer auszumachen, obwohl Hunderte von Bewaffneten ihn umringten. Man hatte Hus die hohe papierene Ketzermütze aufs Haupt gesetzt, nachdem man ihn der Priesterwürde entkleidet und exkommuniziert hatte.

Das also soll der Herold des Teufels sein? – fragten sich viele am Straßenrand. Ein ruhiger, gefasster Mann von 45 Jahren, freundlich lächelnd. Vor dem Scheiter­haufen angekommen, fiel Hus auf die Knie und betete laut: „Herr Jesus Christus, diesen schrecklichen und grausamen Tod wegen deines Evangeliums und wegen der Predigt des Wortes nehme ich geduldig und de­mütig auf mich.“ Da wurden selbst in ­bunter Aufmachung erschienene Huren von Sympathie überwältigt. „Er spricht heilige Worte! Das ist ein heiliger Mann“, riefen einige. Die Knechte beeindruckte das nicht. Sie banden Hus an einen Pfahl, schichteten Holz und Stroh bis zum Kinn des Todgeweihten. Gott und Christus um Erbarmen bittend stand Hus im Feuer und starb.

Der Freund der kleinen Leute

Jan Hus: Vordenker der Reformation

###drp|1rXOUlOBanDeSiZvOwf_4Emg00063104|i-40|Montage: Lena Gerlach|###

Arnd Brummer, chrismon-Chef­redakteur, wuchs in Konstanz auf. Er schrieb das Buch: „Jan Hus. Warum ein frommer Katholik auf dem Scheiterhaufen endete“. 2014 besuchte Brummer die Stätten des Konstanzer Konzils und erzählt Geschichten rund um die turbulente Veranstaltung und ihre Folgen: chrismon.de/konstanzer-konzil. Dabei begab er sich auch auf den Spuren von Jan Hus in Konstanz. Hus kam als Gast zum Konzil - und wurde schon nach kurzer Zeit inhaftiert. Jan Hus: Vordenker der Reformation

In Konstanz wollte Jan Hus seine zentralen Grundanliegen, aus der Heiligen Schrift gewonnen, vertreten oder – falls man ihn widerlege – verwerfen. Dazu hatte ihm König Sigismund freies Geleit von Prag an den Bodensee und dortselbst zugesagt. Die vier Grundanliegen des Jan Hus waren: Bestrafung der Todsünden – wie Ehebruch und Mord – ohne Ansehen von Stand und Person; das Ende der weltlichen Herrschaft der Priester und Bischöfe (im Sinne seines britischen Vorläufers John Wyclif); das Abendmahl für alle Menschen in beiderlei Gestalt, also in Brot und Wein; das freie Predigen des Wortes Gottes in der Sprache des Volkes.

Die Hinrichtung des Jan Hus war ein Justizmord. König Sigismund hatte seine Zusage sofort nach dem eigenen Eintreffen in Konstanz gebrochen. Er wich dem Druck der mächtigen Theologen Pierre d’Ailly und Jean Gerson. Sein Ziel, mit ihnen zusammen das Schisma der drei Päpste in der Konstanzer Versammlung zu beenden, schien gefährdet. Die Partner drohten, das Konzil platzen zu lassen, wenn der König Hus nicht preisgebe. Die Wiederherstellung der einen Kirche und endlich seine Krönung zum Kaiser sollte durch diesen unbedeutenden Böhmen verdorben werden? Nein, das war Hus nicht wert!

Am Tag seiner Verbrennung, heißt es, habe Hus vorausgesagt: Heute bratet ihr eine Gans, aber aus der Asche wird ein Schwan entstehen. Ob er diesen Satz so gesagt hat oder ob er ihm später in den Mund gelegt wurde – es ist etwas Wahres dran. Jan Hus, der volkstümliche Intellektuelle ohne politisches Ziel, der rein auf die christliche Lehre konzentrierte Prediger, der Freund der kleinen Leute, der Religionspädagoge – er trat eine Entwicklung los, die er selbst nicht für möglich gehalten hätte.

Hus - Luther - Benedikt XVI

In seiner reformatorischen Theologie folgt ihm ein Deutscher, der 102 Jahre nach seiner Hinrichtung die Verdorbenheit des Ablasshandels erneut zum Thema macht: Martin Luther. Und seine Idee der sichtbaren Kirche, die ein weltliches Ding sei, wird fast 600 Jahre später ein römischer Papst durch einen ganz menschlichen Akt bestätigen: Benedikt XVI. mit seinem Rücktritt.

Zurücktreten kann ein weltlicher Amtsträger. Ein Papst, Stellvertreter Christi auf Erden, kann nur durch Tod und Auffahrt in die Ewigkeit sein Amt abgeben, wie ­Johannes Paul II. Dieser traditionell römisch-katholische Papst hat indes an anderer Stelle versucht, eine Brücke zu Jan Hus und seinen Erben zu bauen.

Bei einem Besuch in Prag 1990 mahnte er ein Umdenken seiner Kirche gegenüber Hus an. Dies wiederholte er 1999 bei einem Historikerkongress in Rom: „Heute […] fühle ich mich verpflichtet, mein tiefes Bedauern auszusprechen für den grausamen Tod von Jan Hus und für die daraus folgende Wunde, eine Quelle von Konflikten und Spaltungen, die dadurch in den Geist und die Herzen des tschechischen Volkes gerissen wurde.“

Die Wirkung des Jan Hus ist schon bald nach seinem Tode gewaltig. In den Hussiten-Kriegen (1419–1434) begehren seine Anhänger gegen König und Kaiser auf. Beim Ersten Prager Fenstersturz werfen sie königstreue Ratsherren aus dem Rathaus. Erstmals gelingt es einer Bewegung ohne Führende aus dem Hochadel, Kaiser- und Königreich erzittern zu lassen. In zahlreichen Schlachten siegen die Hussiten. Am Ende werden sie doch geschlagen. Tausende von Menschen fallen oder verlieren Haus und Hof.

Was Jan Hus dazu gesagt hätte? Die Schuld seiner Anhänger an Mord und Gewalt hätte er so wenig bezweifelt wie die ihrer hochherrschaftlichen Feinde. 200 Jahre nach dem Tode des Jan Hus wird der Dreißigjährige Krieg  das Reich erschüttern – ausgelöst erneut im goldenen Prag. Und wieder wird es ein Krieg zwischen Christen unterschiedlicher Bekenntnisse sein. Der Zweite Prager Fenstersturz 1618, verübt von den protestantischen Ständen Böhmens an den Statthaltern des Herrschers, ist eine gewaltsame Reaktion darauf, dass Kaiser und König die verbriefte Religionsfreiheit missachten.

Reformation war immer – und wird immer sein

Den Böhmen im Reich der Habsburger wird Jan Hus im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr zur Symbolfigur ihres Strebens nach Unabhängigkeit. Bei Deutschen wie Tschechen wird Hus im 19. Jahrhundert zum Deutschenhasser, was er – in seinen Briefen nachzulesen – niemals war. Erst der Begründer der unabhängigen ­Republik Tschechoslowakei, Tomáš Masaryk, kann ihn nach dem Ersten Weltkrieg, unterstützt von tschechischen, aber auch deutschen Intellektuellen wie der Familie Mann, aus diesem propagandistischen Gefängnis befreien.

###autor### Für die modernen Tschechen wird Hus nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit seinem Satz „Die Wahrheit wird siegen“ zum Symbol für individuelle Freiheit und die Macht des Gewissens. Allen voran der Dichter im Präsidentenamt, Václav Havel, bekannte sich in diesem Sinn zum Urvater der tschechischen Identität. Noch immer leiden viele Tschechen unter dem Umgang der Deutschen mit Jan Hus, seinem Werk und Sterben. Es ärgert sie, dass ihr Reformator auf dem Wege zum 500. Jahrestag der Veröffentlichung von Martin Luthers Thesen am 31. Oktober 1517 nur am Rande wahrgenommen wird. Zu Recht! Denn die Selbstbezichtigung Luthers, er sei „Hussit“, ist nackte Wahrheit.

In einem Brief an seinen Freund Georg Spalatin schreibt Martin Luther Mitte 1520: „Ich habe bisher unbewusst den ganzen ­Johann Hus gelehrt und gehalten. [...] Kurz, wir alle sind unbewusst Hussiten. Ja, ­Paulus und Augustin sind aufs Wort Hussiten. Siehe, ich bitte dich, in was für Ungeheuerlichkeiten sind wir ohne den böhmischen Führer und Lehrer geraten: Ich weiß vor Staunen nicht, was ich denken soll, da ich so schreckliche Gerichte Gottes an den Menschen sehe. Die ganz offenbare evangelische Wahrheit, nun schon vor mehr als hundert Jahren öffentlich verbrannt, wird für verdammt gehalten, und man darf dies nicht bekennen.“

Es bleibt zu hoffen, dass die Texte und Thesen John Wyclifs und Jan Hus’ überall sichtbar werden, wo der kirchlichen Reformation gedacht wird. Die sichtbare Kirche braucht eine permanente Reformation, wenn sie der unsichtbaren Kirche Jesu Christi geistlich nahekommen will. In diesem Sinne: Reformation war immer – wie der Galater-Brief des Paulus und der dort geschilderte Streit mit Petrus und Jakobus belegen – und wird immer sein! Danke, Jan Hus, für einen unersetzlichen Beitrag!
 

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