Krone aus Tieren
Lisa Rienermann
Mensch und Tier in der Bibel
Er hat das volle Verfügungsrecht über die Tiere – so lesen viele die Schöpfungsgeschichte. Man könnte sie auch ganz anders verstehen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
17.12.2015

Viele Tiere sind stärker, zäher, hellhöriger, schneller als Menschen. Und doch heißt es immer wieder: Die Menschen sind die „Krone der Schöpfung“, sie sind den Tieren weit überlegen. Das soll so in der Bibel stehen. Stimmt das?

Pastor Henning Kiene erklärt, warum der Mensch irrt, wenn er daran glaubt, dass Mensch die Krone der Schöpfung sei. Das Konzept mit der Krone sei ohnehin stark veraltet.
Die Schlüsselsätze aus dem Schöpfungsbericht (1. Buch Mose 1,26–30) ­lauten: „Und Gott segnete sie (Mann und Frau) und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“

Auch wenn Gott Landtiere und Menschen am selben Tag, dem sechsten, erschuf, unterscheidet er sie doch deutlich. Eine Aufforderung, sich zu vermehren, hatte er auch den Vögeln und Fischen ­mitgegeben,  am fünften Tag. Aber den Menschen trägt er gezielt auf, über die ganze Erde, speziell die Tiere zu herrschen.

Was damit gemeint ist, lässt sich aus vergleichbaren literarischen Quellen erschließen: Vorbild ist der altorientalische Herrscher, der sich um das Wohl der Unter­tanen sorgt. In der Bibel entspricht dies besonders gut dem Bild des Hirten. Ihn beschreiben die Propheten und die Autoren der Psalmen immer wieder. Mann und Frau üben beide diese Fürsorge aus, dem Mann kommt keinerlei Vorrecht zu.

Die Haustiere gegen Leopard & Co. verteidigen

Natürlich konnten die Menschen, die zur Entstehungszeit dieses Schöpfungs­berichtes lebten, also etwa in der Zeit des Babylonischen Exils Israels, im sechsten Jahrhundert vor Christus, nicht im Geringsten ahnen, wie es heute, 2500 Jahre später, um die Erhaltung der Schöpfung und die Ausbeutung der Tiere steht. ­Eine intensive Tierhaltung wie heute war ihnen vollkommen fremd. Sie haben auch nicht annähernd so viel Fleisch gegessen wie wir.

Die meisten Menschen, die mit Tieren Umgang hatten, waren Nomaden und besaßen kleinere Schaf- und Ziegenherden. Ihre größere Not waren nicht die aktuellen Marktpreise, sondern vermutlich die umherstreifenden Raubtiere – Leopard, Fuchs, Schakal zum Beispiel. Da heißt es auf­passen und alle Haustiere fürsorglich im Auge behalten.

Die strikte Form des Schöpfungsbe­rich­tes im ersten Kapitel des ersten Buchs Mose soll Nachdruck auf die Aussage legen: Es gibt nur diesen einen Gott Israels, ­der die ganze Welt beherrscht. Es ist ein Abgrenzungstext gegenüber den vielen Göttern und anderen Schöpfungsmythen des alten Orients.

Beide brauchen sich gegenseitig

Weniger streng komponiert ist übrigens der zweite Schöpfungsbericht, ebenfalls im ersten Buch Mose (1 Mose 2,4b–25). Er ist älter als der oft zitierte und wird oft ab dem Jahr 1000 vor Christus datiert, könnte sogar noch älter sein. Dieser Bericht beschreibt Gott als Gärtner: Er pflanzte einen Garten mit vielen Bäumen und setzte den Menschen hinein, „dass er ihn bebaute und bewahrte“. Später schuf Gott auch die Tiere und trug dem Menschen auf, ihnen einen Namen zu geben. Auch eine Frau schuf er – aus der Rippe des Menschen. 

Wofür sind die Engel da?

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Was auffällt: Dieser ältere Schöpfungs­bericht verzichtet auf Begriffe wie herrschen und untertan machen, spricht stattdessen vom Bewahren. Beide Berichte kommen in ein und demselben Kapitel der Bibel vor. Und das relativiert den Befehl zu herrschen doch ganz gewaltig.

Spätestens seit Menschen Haustiere halten ist die gegenseitige Abhängigkeit unübersehbar. Das Wort vom Menschen als Krone der Schöpfung kommt in den Schöpfungsberichten auch gar nicht vor. Es passt eher zur „scala naturae“ (Stufenleiter der Natur), ­einer Systematik, die der antike Philosoph Aristoteles zu entwickeln versuchte. Aber mehr noch entspricht die Rede von der Krone der Schöpfung dem Denken des 20. Jahrhunderts. In keiner Epoche haben Menschen Tiere so ausgenutzt – und auch so geschätzt.

Die simple Frage, wer mehr zu sagen hat und wer über wen bestimmt, wird der komplexen Sachlage nicht gerecht: Beide brauchen sich gegenseitig.

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Guten Tag,

herzlichen Glückwunsch zu diesem Artikel!

Ich erhielt diesen von einem Zimmernachbarn meiner Mutter im Pflegeheim; als Tierrechtsaktivist habe ich selbst seit Jahren wenig Kontakte zu kirchlichen Institutionen, da ich derart deutliche Stellungnahmen zum heutigen Tierleid immer schmerzlich dort vermißte.

Wenn dies Thema nun auch von den Kanzeln verkündet würde, dürften die Kirchen deutlich voller werden!

 

Mit freundlichen Grüßen aus dem Wendland

Karl-H. W. Greve, Clenze

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Liebes Chrismon Team, der Artikel zum Verhältnis Mensch und Tier bezieht deutlich und bibelfundiert Stellung zur Ausnutzung unserer tierischen Umwelt. Super, ich habe mich so gefreut beim Lesen! Können Sie mir sagen, warum sie dann jedoch den Leserbrief von Gerhard Glombik abdrucken, der den Artikel nicht gelesen zu haben scheint und sich an der Aussage "Beide brauchen sich gegenseitig" so stört, dass er den Unterschied zwischen Mensch und Tier als "letzten Rest an christlicher Überzeugung" bezeichnet? Als höchstwahrscheinlich heterosexueller weißer Mann fürchtet er offensichtlich um seine Vormachtstellung in der Schöpfung und möchte, dass seine Kirche für ihn Flagge zeigt. Dass ihm nach der Gleichstellung der Frau und Eingliederung der Andersliebenden auch noch der Letzte Rest an Größe genommen wird, scheint er nicht gut zu verkraften. Als Katholikin sei ihm gesagt, da braucht er sich nur ein bisschen umzuschauen, dann findet er sich als Krone der Schöpfung definitiv bestätigt. Es geht in Sachen Tierschutz nicht um eine Gleichmachung, wo Unterschiede bestehen, sondern um Empathie und Verantwortung, genau wie Sie im Artikel herleiten. Im Zweifel geht also das Einfühlungsvermögen in jedwege Form des Leidens vor und das ist die christliche Überzeugung, die gelebt und gepredigt wird. Der Verfasser des Leserbriefes jedoch fühlt sich zu sehr belastet vom "Wahn des korrekten Essens" und "Gesetzlichkeiten", die empfindlich in seine Komfortzone einzuschneiden scheinen. Bitte, wer erklärt dem beleidigten Mann, dass Tierschutz Menschenschutz ist, denn unsere Form der Massentierhaltung beutet Arbeiter in der Fleischindustrie aus, lässt Bauern der sog. Dritte-Welt-Länder hinsichtlich der Futterherstellung für die Tröge unserer Nutztiere verarmen und global gesehen ist unser eben nicht ethisch korrektes Essverhalten zu einem Großteil für den Klimawandel verantwortlich, der unsere nicht so priviligierten Mitmenschen in Zukunft noch sehr viel härter treffen wird. Es sollte als kein Bedürfnis von Christen sein, "sich dem aktuellen Trend der Tier- und Umweltethik anzupassen", sondern ganz im Gegenteil, eine christliche Grundüberzeugung, für die eingetreten werden muss und gelebte Nächstenliebe, auch wenn unsere Nächsten fern von unseren Augen für unseren Konsum schuften müssen oder in Schlachtfabriken ihr Leben lassen. Alles andere ist nicht christlich!

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