Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bayerns Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, und die Präses der EKD Synode Irmgard Schwaetzer, aufgenommen während einer EKD-Synode.
Foto: epd-bild / Hanno Gutmann
Wo die Kirche Grenzen zieht
Die Flüchtlingskrise beschert der Kirche eine Grundsatzdebatte über politische Ethik. Zur EKD-Synode in Bremen
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
05.11.2015

Seit Jahren schärfen die Spitzen der evangelischen Kirche Politikern in Bund und Ländern ein, Deutschland für die Zuwanderer offen zu halten. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm hat das ebenso getan wie auch die Präses (Präsidentin) der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer. Vor dem obersten „Parlament“ der evangelischen Kirche forderten beide - mit unterschiedlichen Worten-, den Flüchtlingen ein Höchstmaß an Hilfe zukommen zu lassen.

Mit ihrer bewundernswerten Haltung in der Flüchtlingskrise handelt sich die evangelische Kirche, ohne dass sie es angesteuert hätte, eine Grundsatzdebatte über ihre politische Ethik und das Verhältnis von Staat und Kirche ein. Bundesinnenminister Lothar de Maizière hatte eine solche Debatte schon einmal zu eröffnen versucht ­- bei dem heute als fast marginal wirkenden Thema des Kirchenasyls (für ihn ein systematischer Rechtsverstoß). Nun benötigt der konservative Politiker und Minister dringend die Unterstützung der Kirchen bei der Versorgung der Flüchtlinge, die er in dieser großen Zahl am liebsten gar nicht hätte. Sein Dilemma ist mit Händen zu greifen, aber der Rechtfertigungsdruck der Kirchen (nicht nur) gegenüber dem rechten Kirchenrand ebenfalls.

"Wir sind mittendrin in einer Wertedebatte"

„Unsere Gesellschaft steckt mitten in einer Auseinandersetzung um die Werte des Christentums“, sagte Irmgard Schwaetzer, die Präses der Synode – nicht nur im Umgang mit Flüchtlingen, aber dort gut erkennbar. Die Pegida steht bekanntlich nicht nur Montagsabends vor der Dresdener Frauenkirche, sie sitzt auch beim Gottesdienst in den Kirchenbänken, schickt ihre Kinder in evangelische Schulen und lässt sie konfirmieren. In manchen Gemeinden drängt deshalb die Frage in den Vordergrund, was die Kirche – über ihr unbestrittenes diakonisches Engagement hinaus – dazu berechtigt, politisch Position für den Flüchtlingszuzug zu beziehen.

Dass es inzwischen um grundsätzliche Fragen der politischen Ethik geht, lassen auch die Äußerungen des Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm klar erkennen, auch wenn er die Debatte nicht so etikettiert. In seinem Rechenschaftsbericht spricht er davon, dass er (gemeinsam mit Kardinal Reinhard Marx) „die Bundeskanzlerin immer wieder klar in ihrem Bemühen unterstützt“ hätte, auch unter schwierigen Bedingungen ihren politischen Kurs zu halten und „der Versuchung zu widerstehen, auf einen Kurs der Abschottung und des Einzäunens von Europa einzuschwenken“.

 

"Wer Gift streut, stellt sich gegen alles, was Christentum ausmacht"

Die politisch-ethische Grundsatzdebatte wird bereits in aller Deutlichkeit geführt – und was noch mit dem christlichen Glauben zu vereinbaren ist. Eine klare Grenze zieht Heinrich Bedford-Strohm, wenn er zum Beispiel wenn er vor der EKD-Synode sagt: „Von ‚Volksverräter’-Parolen bis zu Brandanschlägen ist es nicht weit. Deswegen sage ich hier in aller Deutlichkeit: Wer in dieser schwierigen Situation Gift in die deutsche Gesellschaft streut, stellt sich damit gegen alles, was das Christentum in seinem Kern ausmacht!“

In den Ohren von national gesonnenen Demonstranten kann diese Formulierung nur so klingen: Mit euren Ansichten habt ihr keinen Platz in der Kirche! Zwar dürfe man, so Heinrich Bedford-Strohm, über Ängste offen sprechen, „ohne dass sie gleich als politisch unkorrekt oder als unchristlich etikettiert werden. Aber ... auch unser Reden über diese Ängste muss von Empathie geprägt sein. Wenn es das nicht mehr ist, ist unser Nein gefordert.“ Für die beiden christlichen Kirchen, so der oberste Repräsentant der evangelischen Kirche, sei eine Flüchtlingspolitik der Abschreckung und der Abschottung gegenüber Menschen, die vor dem Horror des IS fliehen, nicht akzeptabel.

Die evangelische Kirche hat Substantielles zum Umgang mit den Flüchtlingen beizutragen: ihre konkrete Erfahrungen im diakonischen Umgang mit den Zuwanderern; ihr umfangreichen Kontakte zu Kirchen in vielen Ländern; ihr Menschenbild, das sich – vereinfacht formuliert – auf den Nenner bringen lässt: „Vor Gott gibt es keine Ausländer“. Aber ist das schon eine tragfähige evangelische Ethik, auf die sie in dieser Flüchtlingskrise zurückgreifen kann?

Die Zwei-Reiche-Lehre hilft nicht weiter

Die Lehre der „zwei Reiche“, wie sie von und seit Martin Luther verbreitet wurde und wird, hilft in der jetzigen Lage nicht weiter. Sie ist so schillernd und über die Jahrhunderte so oft uminterpretiert worden, dass sie mehr Fragen als Antworten bietet. Sie überlässt dem weltlichen „Regiment“ weite Bereiche der Verantwortung im politischen Handeln, im Zweifel auch für ein massives Vorgehen gegen die Zuwanderer.

Und dann gibt es die bedeutsame Theologische Erklärung der Bekenntnissynode in Barmen vom 31. Mai 1934. In ihrer 5. These heißt es: „Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.“ Auch eine Warnung an die Kirchen, sich nicht in die Richtlinien der Politik und die Praxis der Behörden einzumischen?

Was bedeutet schließlich die Formulierung der Stuttgarter Schulderklärung vom Oktober 1945 für die Herausforderung der Flüchtlingskrise: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Was bedeutet, dass „der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme, in dem allein die gequälte Menschheit Genesung finden kann“ im Jahr 2015? Was damals als erster Schritt verstanden wurde, sich von der schuldhaften Verstrickung in das Nazisystem zu befreien, ist auf heute nicht eins zu eins übertragbar. Für die Haltung der Kirche in politischen Fragen ist diese Erklärung aber durchaus wichtig.

Vom Flüchtlingsthema kann das Reformationsjubiläum nur profitieren

Das Thema Reformationsjubiläum 2017 ist inzwischen völlig überlagert von dem der Flüchtlingskrise. Von dieser Herausforderung kann das Jubiläum allerdings nur profitieren. Die evangelische Kirche kann zeigen, wie ernst sie ihre politische und gesellschaftliche Verantwortung nimmt, wie sie mit politischen Krisen umgeht. Es ist sicherlich kein Thema, dass in Museen und bei Festveranstaltungen für Glanz und glückliche Gesichter sorgt. Aber ein Thema, das mit der wichtigsten evangelischen Glaubenserkenntnis zu tun hat: der uneingeschränkten Zuwendung Gottes zu den Menschen, gleich wer sie sind und woher sie kommen.

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Zitat: "Wir sind mittendrin in einer Wertedebatte".
Wir haben keine vorbeugende Debatte. Wir haben eine bisher sträflich geleugnete Wirklichkeit. So wie wir glauben, dass wir in der Lage sind, Immigranten und Flüchtlinge in unserem Sinne zu verändern, verändern auch die uns und unsere Werte. Mit neuen Gesetzen hecheln wir nur der Entwicklung hinterher und sind nicht mehr Herr dieser Entwicklung. Auch die öffentliche Definition des Begriffes „Gutmenschen“ ist in diesem Zusammenhang falsch. Sie sind wahrlich gut und guten Glaubens. Schade nur, dass sie mit dieser guten Eigenschaft so leicht die willfährigen Opfer ihrer grenzenlosen Toleranz- und Diskussions-Naivität werden. Zu glauben, dass alle Menschen von Natur aus gut sind und es möglich ist, dass auf Dauer immer das Gute siegt, ist eine grenzenlos dumme Naivität. Die Werte des Christentums drohen Opfer von martialischen Religionen und Weltanschauungen zu werden. Zu unserem Glück ist der globale christliche Einfluss und mit ihm unser Zivilisationsdruck so stark, dass wir noch Hoffnung haben dürfen. Auf dem Gebiet der Ökonomie ist dieser Wertewandel aber bereits vollzogen. Einen großen Teil unseres Niveaus der Sprache, Kunst, Musik, Unterhaltung und Zusammenleben haben wir ebenfalls bereits verloren. Jetzt droht, dass sich auch unsere Innenpolitischen- und Glaubens-Werte in Form von neuen Gesetzen dieser Entwicklung anpassen müssen. Es gibt keine wirkliche Debatte. Es gibt nur noch den Nachvollzug und die Naiven merken es nicht. Später folgt das Lamento. Um eigene Grenzen ziehen zu können, müßten die Kirchen in ihre Schneckenhäuser zurück. Das werden sie nicht tun wollen und können.

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