Jindrich Novotny
Sieben Gesichter, viele Anliegen
120 Menschen bilden die ­Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Menschen aus ganz unter­schiedlichen Berufen. Auch die sieben, die wir Ihnen hier vorstellen, bestimmen in den nächsten sechs Jahren die Geschicke der Kirche mit
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
28.10.2015

Der Haushaltsexperte: Friedrich Vogelbusch

Als Wirtschaftsprüfer und Berater vieler evangelischer Einrichtungen kennt er die starken und schwachen ­Seiten von Kitas, Schulen und Diakonie genau. Und da beobachtet er: Die Aufgaben wachsen – jetzt eben wieder durch die Flüchtlingsbetreuung. Aber christlich geprägte Mitarbeiter zu finden, gerade in Ostdeutschland, ist nicht leicht. Was tun? In Zukunft diakonische Einrichtungen aufgeben? „Das wird nicht passieren“, sagt der Haushaltsexperte der EKD-Synode. Er sagt voraus: Die Diakonie wird auch in Zukunft „unvermindert gut dastehen“. Es werde aber notwendig sein, für die neuen ­Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Glaubenskurse anzubieten.

Friedrich Vogelbusch, 52, der auch an der Evangelischen Fachhochschule für Soziale Arbeit in Dresden lehrt, hält Vorträge und schreibt über Geldthemen: über die „Spendenmafia“, über „Staatsknete für die Kirche“, über den Skandal in der Berliner Treberhilfe, über Entgelte für Psychiater. Manchmal verwendet er den Begriff „Output-Orientierung“: Kirche und Diakonie müssen den Erfolg ihrer Arbeit messen lassen. Für Pfarrer eine Zumutung? „Nein“, sagt Vogelbusch. „Alles hat zwei Seiten. Wenn ein Pfarrer weiß, was genau man von ihm erwartet, dann kann er auch einmal in Ruhe Feierabend machen.“ Im Osten beobachtet er übrigens eine wachsende Neugier an Glaubensthemen. Schüler und Eltern erkennen: Das gehört zu einer guten Bildung dazu.

Die Pfarrerin: Jacqueline Barraud-Volk

Eine Bronzefigur ist es, die ihr wie ein Programm für die Kirche der Zukunft erscheint: Katharina von Bora, Martin Luthers Ehefrau, durchschreitet entschlossen einen Türrahmen. Die Skulptur steht im Vorhof des Lutherhauses in Wittenberg. Mutig vorangehen und „nur wo es wirklich notwendig ist, verwalten“. Mutig das Evangelium verkünden und diakonisch tätig sein – darin sieht Jacqueline Barraud-Volk die Kernaufgaben der Kirche. Strukturfragen müssen dahinter zurücktreten. Nur nicht einigeln in den eigenen Traditionen!

Die Nähe zu den Katholiken ist ihr ebenso wichtig. „Ich wünsche mir, dass es eines Tages die Möglichkeit gibt, dass Katholiken und Protestanten gemeinsam zum Abendmahl gehen“, sagt sie. „Da bin ich auch nicht leise.“ Fakt ist: Katholiken sind zum evangelischen Abendmahl eingeladen, umgekehrt gilt das nicht. Dass es keine gegenseitige Gastfreundschaft gibt, muss ein Ärgernis bleiben, sagt die 51-jährige Pfarrerin und Religionslehrerin der bayerischen Landeskirche. Seit Mai ist sie Vizepräsidentin der lutherischen Synode, Konfessionalismus ist ihr gleichwohl fremd.

Ihr Traum von der evangelischen Kirche der Zukunft: eine Kirche, die gerade durch den unverkrampften Umgang mit ihren unterschiedlichen Traditionen für die Gesellschaft zum Vorbild wird. Die Spaltungen innerhalb des Protestantismus, die im 16. Jahrhundert begonnen haben, sollen ihre Bedeutung verlieren.

Die Fachfrau für pädagogische Fragen: Tabea Dölker

Die Familie ist ihr Thema – der Schutz der Familie und die christliche Erziehung in Kindergärten und Schulen. Seit 2009 gehört die Sozialpädagogin und Erzieherin dem obersten Leitungsgremium der evangelischen Kirche an, dem Rat der EKD, und wirbt dort für konservative Positionen. Auch wenn es um Inklusion geht oder jetzt um die Hilfe für die Flüchtlinge, schafft es die Schwäbin Tabea Dölker, 57, traditionelle Werte des Chris­tentums hochzuhalten. Zugleich begegnet sie den Muslimen ohne Berührungsängste. „Der Respekt vor den anderen ist sehr wichtig“, sagt sie. „Dabei nehmen wir ihnen gegenüber eine einladende Haltung ein.“ Christen, die freundlich, zugewandt und zuverlässig seien, könnten Menschen dann möglicherweise auch religiös erreichen.

Sorgen macht ihr das Schicksal der Kirchen im Nahen Osten: Sie drohen durch Ab­wanderung und Verfolgung auszusterben. „Diese Kirchen bestehen seit 2000 Jahren – und nun werden sie ausgelöscht.“ In vielen Veranstaltungen macht sie das zum Thema. Die „Vertreibung soll in der Öffentlichkeit sichtbar werden“, die Fluchtursachen müsse man möglichst in den Herkunftsländern bekämpfen. Sie zieht Politiker ins Gespräch, um für evangelische  Werte zu werben, und engagiert sich ganz konkret in ihrer Heimatstadt Holzgerlingen in Sozialprojekten. Den Slogan „Kirche auf dem Marktplatz“ nimmt sie wörtlich: Sie engagiert sich in einer Arbeitsgruppe der Stadt zur Flüchtlingsbetreuung.

Der Kirchenjurist: Michael Germann

Als er mit 35 Jahren Rechtsprofessor in Halle-Wittenberg wurde, hatte er durch etliche Umzüge bereits erlebt, was seit Jahren ein großes Thema in der EKD-Synode ist: das Nebeneinander der evangelischen Konfessionen. Da gibt es lutherische Kirchen, reformierte, unierte mit eigenen Leitungen – für die Öffentlichkeit ist das oft verwirrend. Aber Michael Germann, 48, sieht das ganz entspannt: „Ich gehöre zu einer Minderheit, die sagt: Die ­jetzigen Strukturen sind nicht so reformbedürftig. Man sollte eher im Rahmen dieser Gesetze das Beste draus machen.“ Wichtiger erscheint es ihm, „nach außen zu schauen“, die Kirche für Menschen zu öffnen, die mit ihr fremdeln, damit sie sich nicht auf bestimmte Milieus verengt.

Was die deutschen Gerichte entscheiden, beobachtet er genau: zum Schulkreuz, zum Kopftuch. Hat er den Eindruck, dass die Richterinnen und Richter den Einfluss der Kirchen zurückstutzen wollen? Nein, für so eine Tendenz sieht er keine Anhaltspunkte und auch keinen rechtlichen Spielraum. Das Kopftuchurteil zum Beispiel sei ganz im Interesse der Glaubensgemeinschaften, sagt Germann, es unterstreiche die Religionsfreiheit.

Ist das Reformationsjubiläum 2017 tatsächlich das erste, das ­politisch nicht instrumentalisiert wird, anders als zum Beispiel 1917 im Krieg? „Ich schlage vor, dass wir bis zum nächsten ­Jubiläum in 100 Jahren warten, um das zu bewerten.“ Aber gut findet er, wenn „wir die Einsichten der Reformation für moderne Auffassungen von Demokratie und Freiheit in Anspruch nehmen“.

Die junge Wissenschaftlerin: Judith Filitz

Sie studierte parallel zwei Fächer, die nicht oft kombiniert werden: ­evangelische Theologie und Theaterwissenschaft. Dabei haben gerade ein guter Gottesdienst und eine ernsthafte Inszenierung viel Ähnlichkeit miteinander. Judith Filitz, 31, absolvierte ein theologisches Studienjahr in Jerusalem. Nun ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin in Leipzig, schreibt über den Propheten Habakuk. „Mein Hauptfach ist die Theo­logie, aber die Theaterwissenschaft hat mir den Horizont erweitert“, sagt sie.

Filitz arbeitet mit im Ausschuss „Kirche und Judentum“, eine Beziehung, die ihr besonders wichtig ist. Wie viel Hass Juden in Deutschland aus Mails und Briefen entgegenschlägt, erschreckt sie – und dass sogar in den Köpfen von Theologen antijudaistische Gedanken überdauern. „Vieles ist nicht sichtbar, aber im Denken doch verankert.“ Zum Beispiel, wenn Theologen die Floskel benutzen: Der Alte Bund (Gottes mit dem Volk Israel) sei abgelöst worden durch den Neuen Bund (mit den Christen). Seit 2011 ist Judith Filitz Mitglied im Vorstand, dem sogenannten Moderamen, des Reformierten Bundes.

Dies ist das 24-köpfige Leitungsgremium der reformierten Kirche. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland berief sie nun in die EKD-Synode, eine besondere Anerkennung für die junge Wissenschaftlerin.

Die Spezialistin für Marketing: Merle Fromberg

Verwunderung schwingt mit, wenn Merle Fromberg über die Selbstdarstellung der evangelischen Kirche spricht. „Unser ­Motto ist viel zu oft: Tue Gutes und rede nicht zu viel ­davon!“ Ein ganz kleines Beispiel: Ihre Kirchen­gemeinde in Meldorf in Dithmarschen betreibt mit viel Erfolg eine Kleiderkammer. Im selben Haus sind auch andere Sozialinitiativen untergebracht. Und über die sprechen die Leute irgendwie mehr. „Ich glaube, das ist exemplarisch“, sagt Merle Fromberg. Das findet sie nicht richtig. „Heutzutage darf die Kirche sagen, was sie alles tut.“

Merle Fromberg, 51, ist Marketing-Fachfrau in der Touristikbranche. Sie vermarktet die Nordseeküste, berät Dithmarscher Vermieter, klassifiziert ihre Quartiere. Von außen soll erkennbar sein, was einen erwartet. Auch ihre Kirche betrachtet sie manchmal von außen. Ihr fiel auf: „Wir bedienen uns einer Sprache, die die Menschen oft gar nicht verstehen. Wenn sie dann länger nicht im Gottesdienst waren, fühlen sie sich fremd.“

Vor ein paar Jahren besuchte sie die lutherische Partnergemeinde im Hochland von Papua-Neu­guinea. Kein Bett, keine Dusche, kein WC, kein fließendes Wasser. Das alles zählte nicht, als sie die religiöse Begeisterung und Herzlichkeit der Menschen erlebte. Lutheraner aus dem Pazifikstaat waren auch schon in Meldorf. Und der Funken der Lebensfreude sprang sofort über. Und das in Dithmarschen!

Die Umweltpolitikerin: Nadine Bernshausen

Dass Papst Franziskus mit einem kleinen Fiat beim Weißen Haus in Washington vorfuhr, hat der Marburger Richterin Nadine Bernshausen, 36, gut gefallen. Es ist ein passendes Symbol für ein wichtiges politisches Ziel: Bescheidenheit. „Daran, wie wir uns persönlich verhalten, bemisst sich, ob wir Christen glaubwürdig sind“, sagt sie. Christen sollen Verantwortung für die Schöpfung und ihre Mitmenschen ganz praktisch übernehmen. Sie sollen einen Lebensstandard wählen, der nicht auf Kosten der Menschen in den armen Ländern geht.  

Die gegenwärtige Flüchtlingskrise, so sagt sie, hänge auch mit den Klimaveränderungen und der Verarmung in anderen Ländern zusammen. Viele Menschen sähen Entwicklungs- und Klimapolitik immer noch als politische Nischenthemen. Bernshausen, die zugleich grüne Politikerin in Hessen ist, unterstützt die kirchliche Forderung nach einer ­„Eine-Welt-Verträglichkeitsprüfung“. Demnach soll bei jedem neuen Gesetz und jeder öffentlichen Investition untersucht werden, welche ­Folgen sie für Menschen in anderen Ländern habe. Auch für eine ökologische Landwirtschaft macht sie sich stark. Ihre Hoffnung: „Dafür sind mehr Bauern erforderlich. Der Wohlstand verteilt sich, anders als bei bäuerlichen Großbetrieben, auf mehr Empfänger.“

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"[...] im Vorstand, dem sogenannten Moderamen, des Reformierten Bundes. Dies ist das 24-köpfige Leitungsgremium der reformierten Kirche."

Letzteres habe ich hier aber anders verstanden:

"Der Reformierte Bund ist der Dachverband der etwa 1,5 Millionen reformierten Gemeindeglieder in Deutschland, von denen ein großer Teil der Ev.-ref. Kirche und der Lippischen Landeskirche angehören."
Quelle: http://www.reformierter-bund.de/226-15-57-41.html

Weder leitet ein Dachverband eine Kirche, noch ist ein Dachverband eine Kirche. Einige Mitglieder des Dachverbandes sind allerdings Kirchen. So habe ich das jedenfalls verstanden.

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da ist so ein kleiner Freudscher Verlautbarer, ja kein Wunder ;)). Und genau deshalb stimmen wir Reformierten der Ekklesiologie der EKD-Leitungsebenen nicht zu, wenn wir ab und zu in die BE gucken.
Aber schön, dass es ihnen aufgefallen ist.

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