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Nicht zu akzeptieren
Bundesjustizminister Heiko Maas will Lücken im Sexualstrafrecht schließen. Saarbrückens Oberstaatsanwältin Sabine Kräuter-Stockton fordert weitreichende Änderungen
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31.08.2015

chrismon: Warum muss das Sexualstrafrecht reformiert werden?

Sabine Kräuter-Stockton: Derzeit sind lediglich drei Situationen strafbar. Erstens: Das Opfer wehrt sich körperlich und der Täter reagiert mit Gewaltanwendung. Zweitens: Der Täter droht dem Opfer massiv mit Gewalt. Oder drittens: Er nutzt eine Situation aus, in der das Opfer nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten hat – zum Beispiel fernab jeder Hilfe in einem entlegenen Wald. Dort hätte das Opfer gar keine Chance, sich zu wehren, denn es würde vermutlich sowieso nicht gehört werden.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Es reicht nicht, wenn ein Opfer verbal äußert, dass es die sexuellen Handlungen nicht möchte. Damit steht es vor einer sehr schwierigen Entscheidung: Entweder es wehrt sich und geht damit das Risiko ein, noch mehr Gewalt zu erfahren, oder es wehrt sich nicht, und dann darf der Täter, juristisch gesehen, machen, was er will. Ich halte es für unerträglich, dass ein Mensch grundsätzlich das Recht hat, auf eine unwillige Person sexuell zuzugreifen, solange keiner der drei oben genannten Umstände vorliegt.

Der neue Paragraf 179 soll sexuellen Missbrauch „unter Ausnutzung besonderer Umstände“ strafbar machen. Was ist damit gemeint?

Dabei geht es wohl zum einen um sexuelle Überraschungsangriffe, die das Opfer nicht kommen sieht. Zum Beispiel: Ein Mann greift einer Frau in einer vollen U-Bahn plötzlich unter den Rock. Zum anderen geht es um Situationen, in denen der Täter dem Opfer droht, jedoch nicht mit Gewalt. Sondern beispielsweise mit dem Verlust des Arbeitsplatzes oder dem Ausschluss aus dem Sportverein.

Einige Juristen sagen, solche Fälle könnten auch auf Grundlage der jetzigen Gesetzeslage verurteilt werden.

Nein, das gibt die aktuelle Gesetzeslage eindeutig nicht her und an die sind die Gerichte gebunden. Wenn der Gesetzgeber möchte, dass auf solche Fälle anders reagiert wird, dann muss er das Gesetz ändern. Den Gerichten vorzuschreiben, die jetzigen Gesetze anders auszulegen, wäre mit dem Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar.

Begrüßen Sie den Entwurf des Justizministers?

Der Entwurf ist ja leider noch nicht öffentlich. Doch die beiden angesprochenen Punkte, die der Presse zu entnehmen sind, sind Schritte in die richtige Richtung. Sie gehen allerdings nicht weit genug. Denn es gibt viele Situationen, in denen das Opfer auch ohne konkrete Drohung eingeschüchtert ist. Ein Beispiel: Der Täter ist der Arbeitgeber des Opfers. Das Opfer wehrt sich dann womöglich aus Angst vor beruflichen Nachteilen nicht, auch wenn der Täter damit nicht explizit gedroht hat.

Eine weit verbreitete Annahme ist: Ein Mensch, der keine sexuellen Handlungen möchte, wehrt sich. In der Realität sieht das aber oft anders aus: Es gibt beispielsweise Opfer, die Angst haben, dass ihre Kinder aufwachen, wenn sie laut schreien. Oder die in der Vergangenheit Gewalterfahrungen gemacht haben. Oder solche, sich einfach schämen. Diese Opfer weinen zwar und sagen „Nein“, wehren sich aber oft nicht aktiv. Aus diesem Grund sollte jede sexuelle Handlung strafbar sein, die gegen den erkennbaren Willen des Opfers erfolgt.

Reformgegner befürchten, dass dann in vielen Fällen Aussage gegen Aussage steht.

Diese Fälle wird es geben, die gibt es aber auch jetzt schon. Denken Sie nur an Jörg Kachelmann, der 2011 (also auf Grundlage der jetzigen Rechtslage) aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen wurde. Bei Sexualdelikten handelt es sich nun mal um Fälle, in denen schwer nachzuweisen ist, ob der Täter gegen den Willen des Opfers gehandelt hat oder nicht. Das ist so und wird auch so bleiben. Nur müsste man dem Täter nicht noch zusätzlich nachweisen, dass er Gewalt angewendet oder angedroht oder eine schutzlose Lage ausgenutzt hat – wenn das Gesetz so wäre, wie ich es mir wünsche.

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