Kreuzigungsszene mit Frederik Mayet als Jesus, Passionsspiele Oberammergau 2010
Kreuzigungsszene mit Frederik Mayet als Jesus, Passionsspiele Oberammergau 2010
action press/imagebroker.com
„Das ist meine Freiheit“
Die Leidensgeschichte Jesu – ein Bühnenstoff auch für einen muslimischen Regisseur? Und dann ausgerechnet in diesem traditionellen Theater von Oberammergau? Fragen an Abdullah Karaca
26.08.2015

chrismon: Was reizt Sie als Muslim an der Leidensgeschichte Jesu?  

Abdullah Kenan Karaca: Die Figur Jesus. Er hat uns sehr wichtige Dinge mitzu­teilen. ­Aber viele Menschen zu seiner Zeit verstanden ihn nicht richtig. Manche verstehen ihn vielleicht auch heute nicht. Schon das ist eine wichtige Beobachtung.

Verstehen Sie Jesus?

Nein, das behaupte ich gar nicht. Allein sich Gedanken zu machen, was er gemeint haben könnte, ist produktiver, als alles eins zu eins zu übernehmen, was man auf den ersten Blick sieht und hört. Mich reizen Aussagen, bei denen ich das Gefühl habe, da muss man genauer hinschauen. Zum Beispiel sagt Jesus: „Wenn ein Römer dich zwingt, eine Meile mit dir zu gehen, dann gehe zwei mit ihm.“ Das ist ein Blick auf eine besondere Problemlösung. Für die Gegenwart folgt daraus: Es bringt uns wahrscheinlich mehr, nicht einfach nachzugeben oder gleich einen Konflikt zu provozieren, sondern zu versuchen, ein Mit­einander zu erreichen.  

Sie meinen: Jesus hat solche Grenzen überwunden?

Ja, er hat gewagt, anders als viele andere an die Sachen ranzugehen. Er hat Menschen nicht verurteilt nach den Maßstäben, die zu seiner Zeit gang und gäbe waren. Sondern er hat signalisiert: Wir müssen gemeinsam umdenken.

"Es ist wahnsinnig wichtig, das Vaterunser zu verstehen"

Die Passionsspiele in Oberammergau handeln von Jesu Leiden und Tod. Muslime glauben aber nicht, dass Jesus am Kreuz gestorben ist.

Es ist ein christliches Passionsspiel, da gehört die Kreuzigung dazu. Ich verneine sie auch gar nicht. Ich suche eher: Wie kann das wirklich passiert sein? Viele Menschen glauben an die Leidensgeschichte. Aber auch viele, die nicht daran glauben, ziehen etwas daraus. Man muss jedem seinen Glauben lassen.

Spielt Ihr Glaube für Ihre Arbeit als Regisseur also keine Rolle?

Doch, schon. Wenn ich als Regisseur Stücke auswähle, merke ich, wie sehr mich religiöse Themen reizen. Der muslimische Glaube ist natürlich ein Teil von mir. Ich muss mich nicht mit jedem Inhalt dieses christlichen Passionsspiels persönlich identifizieren. Manche würden wohl behaupten, man könne als Muslim überhaupt nicht zweiter Spielleiter der Passionsspiele sein. Das sei nicht vereinbar mit dem Islam. Wir haben im Islam ja sogar ein Bilderverbot. Aber ich glaube nicht, dass die ­Religion so eng sein muss. Ich denke nicht darüber nach, ob das jetzt kompatibel mit meiner Religion ist oder nicht. Sondern es ist meine persönliche Entscheidung. Ich glaube, diese Freiheit habe ich auch als gläubiger Muslim.

Welche religiösen Themen greifen Sie in Ihren anderen Stücken auf?

In vielen Stücken erreichen Charaktere ­einen Punkt, an dem sie nicht mehr weiter­kommen. Genau da findet manchmal eine Wendung in ihrem Leben statt. Sie suchen einen Zufluchtsort oder jemanden, der ­ihnen zuhört. Für mich hat auch das etwas mit Religion zu tun. Ich bewerte das weder positiv noch negativ. Ich sehe, dass Religion auch eine Hilfe sein kann.
Bei der Inszenierung von „Rose Bernd“, einem Drama von Gerhart Hauptmann, zum Beispiel haben die Dramaturgin und ich Zwischenszenen geschrieben. Es gab eine Szene, in der die Protagonistin Rose Bernd das Vaterunser gebetet hat, aber nicht mit dem Wortlaut, den man gewöhnt ist, den man schnell runterrattert, sondern Satz für Satz, Gedanke für Gedanke. Als Nichtchrist höre ich das Vaterunser ja auch immer wieder und kann es auch auswendig. Aber es ist wahnsinnig wichtig, es zu verstehen. Rose Bernd wird in diesem Stück vergewaltigt. Was heißt das denn in so einer Situation: Ich vergebe meinen Schuldigern? Man sagt es oft so schnell vor sich her. Aber bin ich überhaupt bereit, es in dieser schrecklichen Situation zu sagen? Bin ich überhaupt bereit, demjenigen wirklich zu vergeben?

"Natürlich gab es auch Reibungen"

Welche Szene in der Passionsgeschichte bedeutet Ihnen besonders viel?

Eine zentrale Szene ist für mich das Abendmahl, also das jüdische Pessachfest. Bei den Passionsspielen im Jahr 2010 hat mich ­diese Szene sehr fasziniert. Da wurde auf der Bühne hebräisch gesprochen, gebetet, das Schma Israel wurde vom Chor ge­sungen: „Höre, Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige ist einzig.“ Da bin ich noch stärker in die Geschichte eingetaucht und habe wahrgenommen, wie sehr es eine innerjüdische Geschichte ist. Es ist nicht irgendein Konflikt, der von außen auf das Volk Israel zukommt, sondern er ist von innen heraus entstanden. Es geht im Kern um den Glauben der Juden an ihren Gott.

Was verbindet Sie als Muslim mit dem jüdischen Glauben?

Ich bin muslimisch aufgewachsen. Aber ich habe jüdische Freunde. Ich war einige Male in Israel. Mich fasziniert dort eine gewisse Art von Respekt gegenüber an­deren. Das ist gar nicht auf die Religion beschränkt. Die jüdische Gemeinschaft und die Menschen, die in Israel leben, sind religiös und kulturell sehr gemischt. Diese Mischung ist so bereichernd, dass man aufhört, nach Unterschieden zu suchen oder sie zu schaffen.

Was ist Ihnen in Ihrem eigenen Glauben wichtig?

Eigentlich die Ruhe. Ich versuche immer, so lange zu warten, bis sich das Gebetshaus leert. Ich genieße es, in einem Gebetsraum allein zu sein. Das suche ich auch in Kirchen oder Synagogen. In Indien habe ich auch solche Orte gefunden. Es gibt eben verschiedene Wege und unterschiedliche Orte, Gott zu finden. Ich glaube nicht, dass er räumlich eingeschränkt ist.

Reden Sie mit Christian Stückl, dem ers­ten Regisseur in Oberammergau, auch über Religion?

Ja, darüber unterhalten wir uns oft. Zuletzt haben wir uns darüber ausgetauscht, wie unterschiedlich das Verhältnis der Reli­gionen durch die Zeiten hindurch zuei­nander war. Manchmal ging es mehr, manchmal weniger gut zusammen. Natürlich gab es immer auch Reibungen, aber oft vielleicht auch mehr Geduld und Toleranz. Auf der spanischen Halbinsel zum Beispiel gab es eine Blütezeit der Archi­tektur, als das Arabische und das Spanische zusammen­flossen.
Oder in Istanbul: Da gibt es Viertel, in denen die Gebetshäuser der drei großen Religionen ganz nah beieinanderstehen. Ob es heute noch möglich wäre, sie neu in dieser Nähe zu  bauen? Auch wenn es historisch vielleicht nur ein Versuch war, aber da hat es jemand mal gewagt zu sagen: Jetzt begegnet euch mal!

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Auch wenn man das Vaterunser " herunterleiert", heißt das nicht, dass man sich darüber keine Gedanken macht. Die Worte bleiben ja nicht ohne Wirkung, und wie schwierig es ist, zu vergeben, sieht man an der ganzen Menschheitsentwicklung. Das Bemühen prägt, und führt leider oft nicht zu erwarteten Lösungen.

Die Drei Könige, auch die Drei Weisen aus dem Morgenland, hier gibt es leider viel zu viele Deutungen, geben einen Hinweis auf eine Huldigung der Kulturen dem Neugeborenen gegenüber, was auf Offenheit und Toleranz hindeutet, und eine Begegnung.
Irgendwie verlor sich ihre Bedeutung in der Vieldeutigkeit und Uneinigkeit theologischer und nationaler Interpretationen, was schon auf Verständnisschwierigkeiten innerhalb der Kulturen hindeutet.

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