Flüchtlinge auf Boot im Mittelmeer.
Flüchtlinge auf Boot im Mittelmeer.
Foto: dpa/Italian Navy
EKD-Chef Heinrich Bedford-Strohm fordert eine "Eine-Welt-Verträglichkeitsprüfung".
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
02.05.2015

Seit vielen Monaten bekommen die europäischen Regierungen keinen politischen Konsens zustande, der den Massentod tausender Flüchtlinge aus Syrien und aus etlichen afrikanischen Ländern verhindert. Statt sich entschlossen und gemeinsam dieser schwierigen Aufgabe zu stellen, rechnen sich die europäischen Länder gegenseitig vor, wer welche Gemeinschaftsleistungen vermissen lässt. Und die von den Flüchtlingsaufnahmen weniger betroffenen Länder pochen wider besseres Wissen darauf, dass das Modell "Rückschiebung ins sichere Herkunftsland" funktioniert. Sie agieren nach dem Sinnspruch: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Von einer moralischen Bankrotterklärung spricht der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm. Vor der Synode der Evangelischen Kirche in Würzburg tat er, was eigentlich verantwortungsbewusste Politiker tun sollten: Er forderte eine umgehende Ausweitung der Seenotrettung im Mittelmeer nach dem Vorbild des früheren Einsatzes der italienischen Marine "Mare nostrum".  Dieser Einsatz hatte den entscheidenden humanitären Vorzug, dass die Boote dichter an der afrikanischen Küste nach den Flüchtlingen Ausschau hielten und viele von ihnen vor dem Ertrinken retten konnten.

Mehr legale Zugangswege für die Flüchtlinge

Es ist Zeit zum Handeln, und zwar akut wie auch grundsätzlich und langfristig  Natürlich ist es dem Ratsvorsitzenden klar, dass man etwas gegen die Schlepperbanden tun muss. Aber viel zu oft dient der Hinweis auf die Schlepper als Ablenkungsargument, nicht zuletzt in den ausländerfeindlichen Lagern.

Aber Abwehr ist keine adäquate Antwort auf das wachsende humanitäre Problem. Bedford-Strohm fordert legale Zugangswege für sie: zum Beispiel ein neues Resettlementprogramm und die großzügigere Vergabe von humanitären Visa. Auch fordert er eine Neuregelung der Aufnahmen europaweit. Staaten sollten in die Pflicht genommen werden, sagt der Repräsentant der evangelischen Kirche, aber nur, sofern die humanitären Standards dort stimmen. Er lässt durchblicken und lobt, dass die Behörden bei der Entscheidung über "humanitäre Fälle" oft einen weiten Rahmen wählen. Aber man spürt und weiß, dass dies keine Antwort auf die grundsätzliche Frage nach einer aktiven, humanitären Flüchtlingspolitik ist. Auch die Aufnahme von Flüchtlingen in Kirchengemeinden, so vorbildlich und lobenswert sie ist, können nur ein paar Tropfen auf den heißen Stein sein.

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Bedford-Strohm, Vertreter einer politisch bewussten "öffentlichen Theologie", fordert, was ethisch geboten ist: Flüchtlingspolitik darf nicht nur Krisenmanagement bei kurzfristig auftretenden "Flüchtlingsströmen" sein. Krieg, Gewalt, Ungerechtigkeit sind oft die eigentlichen, die tieferen Gründe für Flucht und Vertreibung. Klug, was Bedford-Strohm als politische Forderung auftischt: Alle Regierungsbeschlüsse sollen einer "Eine-Welt-Verträglichkeitsprüfung" unterzogen werden. Damit, so darf man das verstehen, könnte das Gegeneinander von Wirtschaftspolitik oder Handel einerseits und der Flüchtlingspolitik andererseits verringert werden. Denn, so Bedford-Strohm, Flüchtlingspolitik ist auch Handelspolitik und Klimapolitik. Spannend wird es sein, zu erfahren, wie dies in die Arbeitsweise der Parlamente, Ministerien und Behörden eingebaut wird. Man ahnt schon jetzt, wie hartnäckig die Lobbys der Wirtschaft gegen jede Beschränkung ihres Handels agieren werden. Bedford-Strohm stellt sich diese Verträglichkeitsprüfung als einen "Zwischendenkschritt" vor, der Effekte verhindern soll, die ja auch viele Unternehmen gar nicht wollen. Wirtschaftliche Entscheidung und ihre Konsequenzen für die Menschen liegen dann klar auf dem Tisch und können zum Beispiel im Blick auf Armut und Gewalt frühzeitig analysiert werden.

Die wiedergewählte Präses der Synode, Irmgard Schwaetzer, will bei der Themensetzung der nächsten Synoden der Flüchtlingsfrage und dem Thema "Eine Welt" weiter Aufmerksamkeit schenken. "Eine Synode hat nicht die Zwänge der Politiker", sagt Irmgard Schwaetzer. Die Synode sei ausdrücklich zum "anwaltschaftlichen Handeln" verpflichtet. Dieser Hilfe bedürfen die Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen versuchen, eindeutig noch mehr als viele andere.

Die Synode nimmt ihre politische Verantwortung ernst

Und die EKD-Synode, eben erst konstituiert, lieferte auch gleich den Beweis, dass sie ihre politische Verantwortung ernst nimmt. Sie forderte in ihrem ersten Beschluss die Bundesregierung zu einem "umfassenden europäischen Seenotrettungsprogramm" und einem ebenfalls "umfassenden, ehrgeizigen europäischen Neuansiedlungsprogramm" auf. Das ist eine Mahnung, die Regierung und Ausländerbehörden in Deutschland nicht so einfach beiseite wischen können.

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