Die griechisch-orthodoxe Basilika St. Stefan am Ufer des Goldenen Horns wurde im Jahr 1898 eingeweiht. Foto: Josep Renalias, Wikimedia Commons
Warum kommt der Kirchenbau in der Türkei nicht voran?
Nachgefragt bei Gerhard Duncker
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
10.02.2015

chrismon: Kürzlich wurde vermeldet, in der Türkei sei erstmals seit 1923 ein Kirchneubau genehmigt worden. Stimmt's?

Gerhard Duncker: Nicht ganz. Die Behörden haben den syrisch-orthodoxen Kirchbau schon vor drei Jahren genehmigt. Neulich fragte ich nach, was da los ist. Die Syrer sagten, sie kämen mit dem Bau nicht voran. Die Behörden erheben ständig Einsprüche.

Warum?

Mal soll der Grundriss verkleinert werden, mal hat die Naturschutzbehörde Bedenken wegen einiger Bäume, mal ist es die Nähe zum Meer. Seit 2003 dürfen Christen in der Türkei Kirchen bauen. ­Keine einzige wurde bislang gebaut.

Politik oder Schlendrian?

Eher eine generelle Rechtsun­sicherheit. Als Türke gilt nach gängiger Auffassung, wer muslimi­schen Glaubens ist. Christen und Juden gelten als unsichere Kan­tonisten. Offiziell gewährt die Türkei Religionsfreiheit. Faktisch dürfen die Minderheiten nichts Neues machen, nur Dinge auf­geben. Die griechisch-orthodoxe Kirche schrumpft. Sie erhält ihre Gottesdienste in fast leeren Kirchen aufrecht, damit sie die Gebäude nicht an den Staat verliert. Die syrisch-orthodoxe Kirche in Istanbul wächst durch Zuzug aus der Osttürkei, kann aber faktisch keine Gotteshäuser bauen und darf auch nicht von den Griechisch-Orthodoxen andere übernehmen.

Die Türkei ist offener geworden

Und die Muslime?

Da herrscht Rechtsungleichheit. Für Moscheebau und Imamausbildung zahlt das Religionsminis­terium. Imame sind Staatsangestellte – und das in einem Land, das sich laizistisch nennt.

Können die Kirchen ihre Rechte einklagen?

Sie klagen ja schon vor dem Europäischen Gerichtshof. So bekam die griechisch-orthodoxe Kirche enteignete Grundstücke und Gebäude zurück. Sie kann sie aber kaum nutzen und verwalten. 1971 wurde die Priesterausbildung in der Türkei verboten. Erst seit kurzem dürfen Priester aus Griechenland ins Land.

2015 jährt sich der Genozid an den Armeniern zum 100. Mal. Tut sich was für diese Christen?

Die Gesellschaft ist unter der Erdogan-Regierung offener ge­worden. Die alten Leute erzählen ihre Geschichten. Ausstellungen zeigen die Vertreibung der Griechen. Erdogan sprach das Los der Armenier an, man liest viel darüber. Die Leute lassen sich nicht mehr alles gefallen. Aber die Zeit arbeitet gegen die Kirchen. Orthodoxe Christen finden oft keine christlichen Ehepartner. Und für die Besetzung kirchlicher Stiftungen fehlen die Leute.

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Solange es in der Türkei keine Religionsfreiheit gibt, kann das Land eine Mitgliedschaft in der EU vergessen. Die Verhandlungen sollten abgebrochen werden!

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