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"Wie ein orientalisches Märchen"
Autoren und Komponisten machen aus biblischen Stoffen moderne Hörspiele. Der Hessische Rundfunk hat die Reihe in Auftrag gegeben. Was hat er sich dabei bloß gedacht?
05.10.2014

chrismon: Sie produzieren gerade eine Reihe von Hörspielen zur Bibel: zu den Abrahamsgeschichten, zum Buch Esther, den Paulusbriefen und anderem. Was ist das Konzept?

Ursula Ruppel: Es hat mich gereizt, die Vielfalt der biblischen Erzählungen, die Vielfalt ihrer Erzählformen und Strukturen ins Hörspiel übertragen zu lassen. Denn auch in dieser Form gibt es sehr unterschiedliche Erzählweisen. Ich habe mir daher sehr unterschiedliche Autoren mit unterschiedlichen Schreibweisen und unterschiedlichen Zugängen zur Bibel gesucht. Wir sind nicht der Kirchenfunk, sondern die Hörspielredaktion. Mein Ansatz ist ein literarischer. Und es ist eine Reihe entstanden, keine Serie, die ein­zelnen Stücke können also unabhängig voneinander gesendet werden.

Was hat Sie inhaltlich am meisten an der Hörspielreihe gereizt?

Was die biblischen Geschichten den Autoren im Hinblick auf die Gegenwart sagen. Wie sie die Geschichten in der Gegenwart spiegeln.

Bitte mal ein Beispiel.

Doron Rabinovici hat sich eine Therapiestunde ausgedacht: Abraham, Sara und Hagar – die ägyptische Magd, mit der Abraham seinen ersten Sohn zeugte, als Sara noch kein Kind bekommen konnte – reden mit einem modernen Therapeuten. Köstlich! Und sehr aufschlussreich! Hagar, die Ägypterin, sagt zu Sara: „Du bist ja längst vom Opfer zum Täter geworden.“ Und die Israelin Sara antwortet: „Einmal Opfer, immer Opfer oder wie?“ Rabinovici spielt auf einen uralten Konflikt an, der heute noch wirksam ist. Eigentlich zeigen alle diese Hörspiele die Aktualität der Bibel.

Wie haben Sie die Autoren für die Hörspiele gefunden?

Man kann keinen Autor ansprechen, der sich noch nie mit einem biblischen Stoff beschäftigt hat. Wer die Bibel nicht kennt, sagt ohnehin ab. Von den ersten zehn haben aber gleich sechs begeistert zugesagt, darunter die jüdischen Autoren Doron Rabinovici und Barbara Honigmann, der Muslim Feridun Zaimoglu und die evangelische Religionswissenschaftlerin Sibylle Lewitscharoff. Einige haben noch nie ein Hörspiel geschrieben, und deshalb hat sie auch die Form gereizt. Die ers­ten Autoren konnten sich „ihre“ Geschichte noch aus­suchen. Jetzt geht das nicht mehr, denn wir müssen darauf achten, dass alle wichtigen Geschichten vorkommen.

Welche sind die wichtigsten?

Tja, das diskutieren wir hier viel. Man kommt bei einem solchen Projekt sicher nicht ohne Schöpfungsgeschichte aus. Die Schriftstellerin Brigitte Kronauer hatte dazu eine wunderbare Idee. Auch Abraham als Stammvater musste vorkommen und Doron Rabinovici hat spontan diesen Stoff gewählt. Hiob muss dabei sein, wahrscheinlich auch Mose. Auch die starken Frauengestalten: Esther und Judith, vielleicht kommt noch Ruth dazu, mal sehen. Terézia Mora hat sich mit König Nebukadnezar auseinandergesetzt, der amerikanische Theaterautor und Regisseur Robert Wilson mit dem Turmbau zu Babel. Der Apostel Paulus war das Thema für Feridun Zaimoglu. Jetzt überlegen wir weiter: Die Sintflut? Joseph und seine Brüder oder Kain und Abel? Was das Neue Testament betrifft, hat Sibylle Lewitscharoff schon ein „Pfingstwunder“ geschrieben, Patrick Roth sich mit „Magdalena am Grab“ beschäftigt. Wir sprechen weitere Autoren an.

Feridun Zaimoglu lässt in seinem Hörspiel über Paulus Texte mit strengen Essens- und Opfervorschriften vorlesen. Genau die lehnt der Original-Paulus in seinen Briefen ab. Warum heißt das Hörspiel dann „Paulus“?

Zaimoglu ist ein hervorragender Kenner der Bibel. Er bezieht sich in der Form auf die Korrespondenzen von Paulus. Er nimmt auch apokryphe Texte hinzu, also solche, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden. Mir gefällt die Desorientierung, die sich beim Hören manchmal einstellt. Plötzlich ist da ein Sprung aus der Zeit und man ist nicht mehr sicher, ob es Paulus ist, der da spricht oder ein heutiger evangelikaler Prediger. Letztlich geht es um christlichen Dogmatismus. Regisseur Oliver Sturm hat den sehr dichten, strengen Text dadurch durchlässiger gemacht und zitiert mittendrin auch Texte aus Internetforen.

Warum nahmen Sie das Buch Esther in die Auswahl der 14 Hörspiele auf?

Es ist in der Bibel wunderschön erzählt, wie ein orientalisches Märchen. Esther ist auch eine zentrale Geschichte für den jüdischen Glauben, wie ich jetzt erst richtig ver­standen habe. Sie erzählt, wie das jüdische Mädchen Esther persische Königin wird und durch Umsicht und Geschick ihr Volk vor der Auslöschung bewahrt. Dieses Ereignis feiern die Juden bis heute als Purimfest.

Warum fiel hierfür die Wahl auf Barbara Honigmann?

Ich wusste von ihr, dass sie bewusst jüdisch lebt. Sie hat aber sofort gesagt: „Erwarten Sie bitte kein orientalisches Märchen!“ Stattdessen hat sie eine Art Collage gemacht, in der sie bekannte Rabbiner zitiert, die die Geschichte auf verschiedene Weise auslegen. So erfährt man Details, die man in der Bibel nicht lesen kann.

Hörer schrecken nicht vor schwierigen ­Stücken zurück

Welche Hörspiel-Formen sind noch entstanden?

Sibylle Lewitscharoffs „Pfingstwunder“ ist fast ein Krimi. Das Hörspiel von Patrick Roth über Maria Magdalena ist ein Stück mit einem starken Erzähler. Ich habe auch einen Komponisten gewonnen – für ein Stück über die Psalmen und die Gesetzestexte aus dem Buch Mose. Es gibt ja nicht nur die Zehn Gebote, sondern insgesamt 613 Regeln und Gesetze. Hermann Kretzschmar hat diese Texte mit Psalmenversen verschränkt und vertont. Judith vom Hörspielautor Lothar Trolle ist eher ein akus­tisches Gedicht. Den Text fand ich sehr komplex, aber durch die Produktion mit den verschiedenen Stimmen öffnet er sich und wird sehr lebendig.

Dieses Hörspiel Judith ist zunächst schwer zu verstehen: Es geht nur am Anfang und am Ende um Judith, da­zwischen stehen sehr unterschiedliche Texte und Textfetzen.

Ja, das wirkt wie ein Gedicht, bei dem man das Einzelne auch nicht gleich entziffern kann, aber doch durch Musikalität und Rhythmus und Stimmen in eine fremde Welt gezogen wird. Man erkennt nicht gleich alles deutlich, bleibt aber trotzdem dran. Ich bin von der Produktion begeistert. Lothar Trolle ist ein Autor, der sich viel mit dem Drittem Reich und dem Widerstand auseinandergesetzt hat. Judith ist – wie Esther – eine starke Frau, die ihr Volk aus der Opferrolle befreit. Das steht im Gegensatz zu Textfetzen, die etwa davon erzählen, wie frierende Bauern Soldaten anbetteln – um die Mäntel von Juden, die auf dem Marktplatz erschossen wurden.

Ist der Hörer beim ersten Hören mög­licherweise damit überfordert, solche Verbindungen zu ziehen?

Judith gehört vielleicht zu den schwierigeren Hörspielen. Aber es kann neugierig machen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Hörer nicht vor schwierigen ­Stücken zurückschrecken. Man sollte die Hörer nicht unterschätzen. Gerade bei schwierigeren Stücken kommen oft sehr ­interessierte Reaktionen.

Sie senden erst ein Hörspiel, dann folgt ein Radio-Essay, der die biblische Geschichte einordnet. Warum?

Man kann heute nicht mehr voraussetzen, dass jeder weiß, was das Pfingstwunder ist, wer Esther und Judith waren oder welche Bedeutung Abraham hat. Die Essays sind – unabhängig vom jeweiligen Hörspiel – von Religionswissenschaftlern geschrieben. Hans-Joachim Simm, der frühere Herausgeber des Verlages der Weltreligionen, hat mir geholfen, Autoren zu finden. Ihre Es­says beziehen sich auf den biblischen Stoff. Wir produzieren 21 Hörspiele, 14 basieren auf Geschichten des Alten Testaments, 7 auf denen des Neuen. Das spiegelt natürlich nur einen Bruchteil der Bibel wieder. Die Essays sollen den Stoff auch in einen größeren Zusammenhang stellen.

Warum produzieren Sie mehr Hörspiele zum Alten als zum Neuen Testament?

Das Alte Testament ist viel umfangreicher, deshalb lag das nahe. Und es ist noch we­niger bekannt als das Neue.

An wen richtet sich die Hörspielreihe zur Bibel?

Wir senden zu unserem üblichen Hörspieltermin, auf hr2 kultur sonntags um zwei. Deshalb richtet sich das Projekt an Hörer, die sich für Hörspiele interessieren. Und ­natürlich auch für die Bibel. Man braucht nur eine Portion Neugier.

Warum lohnt es sich, sich mit der Bibel zu beschäftigen?

Sie ist das Werk, auf dem unsere westliche Kultur weitgehend basiert: Drei große Weltreligionen haben mindestens das ­Alte Testament mehr oder weniger gemeinsam. Es gibt kaum ein Buch, das so einen starken Einfluss auf die Literatur genommen hat, jedenfalls in unserem westlichen Kulturkreis. Und über die Kunst wirkt sie ja noch mal auf uns. Uns ist oft gar nicht bewusst, wie sehr die Bibel Einfluss auf uns hat. Deshalb sollte man das Original kennen.

Einige Autoren beziehen sich in den Hörspielen auf Werke der Kunst und Literatur über die Bibel. War das erwünscht?

Nein, aber es erstaunt mich nicht, dass einige einen Zugang so öffnen. Lewitscharoff lässt ihre Pfingstwunder auf einer Dante-Tagung geschehen. Brigitte Kronauer stellt ein streitendes Paar vor den Grabower Altar des Meisters Bertram aus dem 14. Jahrhundert, der in der Hamburger Kunsthalle hängt.

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Brigitte Kronauers Hörspiel „Herr Hagen­beck hirtet“ wird am 19. Oktober als ers­tes gesendet. Worum geht es?

Um die Erschaffung der Welt, die Meister Bertram auf dem Grabower Altar dargestellt hat. Brigitte Kronauer hat einen sehr subtilen Dialog zwischen Mann und Frau geschrieben: Der Mann hat sich viel kunsthistorisches Wissen angelesen, mit dem er seine Freundin nervt, sie dagegen ist einfach von der naiven Frömmigkeit des Bildes berührt. Man kann von beiden ­etwas lernen – oder sich auch nur über ­ihre allzu typische Streiterei amüsieren. Und dann melden sich die Tiere zu Wort, die der mittelalterliche Künstler Bertram gemalt hat. Gerade eben von Gott erschaffene Tiere. Das muss man hören.

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